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Protestzug in Sao Paulo gegen Kürzungen im Bildungswesen.

© Tuane Fernandes/dpa

Global University Leaders Council Hamburg: Unis suchen den Schulterschluss gegen Populismus

Was können Hochschulen im Kampf gegen politischen Populismus ausrichten? Das diskutieren Hochschulleiter aus 25 Ländern in Hamburg.

„Ihr müsst politisch sein, ihr müsst klarmachen, dass Wissenschaft wichtig ist“, ruft Marcelo Knobel, Rektor der Universität von Campinas in São Paulo, im historischen Ernst-Cassirer Hörsaal der Universität Hamburg seinen Kolleginnen und Kollegen aus 25 Ländern weltweit zu. Die Situation der brasilianischen Hochschulen beschreibt er als Kampf ums Überleben. Knobel sitzt am Mittwochabend auf einem Podium mit deutschen und amerikanischen Hochschulstrategen.

Welche gesellschaftliche Verantwortung haben Hochschulen im Rahmen ihrer sogenannten Third Mission? Wie politisch dürfen sie sein? Die Fragen, zu denen der Global University Leaders Council bis zum Freitag in Hamburg tagt, sind in Brasilien schon beantwortet. Seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Jair Bolsonaro im Januar geraten die Universitäten unter massiven politischen und ökonomischen Druck. Der Präsident betrachtet sie als „Nest von Kommunisten und Linken“, die Geistes- und Sozialwissenschaften und insbesondere die Genderforschung als überflüssig. Die Budgets der staatlichen Hochschulen sollen um 30 Prozent gekürzt werden. Die Hunderttausenden, die dagegen auf die Straße gehen, werden als „nützliche Idioten“ verunglimpft, die von einer „Expertenminderheit“ „manipuliert“ würden.

Politisches Gebot, Wissen wirtschaftlich nutzbar zu machen

Die Third Mission, die Hochschulen zum Wissenstransfer in Gesellschaft und Wirtschaft verpflichtet, treibt die Hochschulen hierzulande seit gut zehn Jahren um. Die Aufforderung aus der Politik, vom Elfenbeinturm herunterzusteigen und das universitäre Wissen breit zu kommunizieren und wirtschaftlich nutzbar zu machen, wird allerdings von vielen Unileitungen als Einmischung verstanden. Dabei funktioniert der Wissenstransfer in Richtung Privatwirtschaft und Industrie systematischer als in die Zivilgesellschaft und Politik. Das hat kürzlich eine internationale Vergleichsstudie von Peter Maasen (Universität Oslo) bestätigt, die die Körber-Stiftung im Vorfeld des Hamburger Welttreffens der Unileitungen in Auftrag gegeben hatte (zur Zusammenfassung der Studie geht es hier).

Im 21. Jahrhundert muss die ungeliebte Mission ohnehin neu interpretiert werden. Beim GUC in Hamburg hat jede und jeder sie in jüngster Zeit neu erfinden müssen. Mit den Science Marches, die in den USA als Antwort auf die Leugnung des Klimawandels und die Unterstellung von „Fake Science“ durch Präsident Donald Trump begannen und vielerorts von Unis und Forschungseinrichtungen aufgegriffen wurden, gibt es – 50 Jahre nach ’68 – einen neuen Boom zivilgesellschaftlichen Engagements.

Gegen den Populismus, der akademische Freiheit infrage stellt, müsse die Wissenschaft ihre „Kräfte zusammenziehen“, sagt Peter-André Alt, als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gemeinsam mit Hamburgs Unichef Dieter Lenzen Gastgeber des Global University Leaders Council. Dabei müsse man „auf die Kraft der Argumente setzen und hoffen, dass sie die akademische Freiheit zurückbringen“ – sei es in Brasilien, in den USA oder in Ungarn.

Solidarität im "sicheren Hafen"

Marcelo Knobel jedenfalls ist für ein paar Tage in einem „sicheren Hafen“, wie Anna-Lena Scholz von der „Zeit“, Moderatorin des Auftaktpanels, das deutsche Universitätssystem nennt. An der Uni Hamburg können der Rektor aus São Paulo und andere Bedrängte offen reden, außer bei den öffentlichen Podiumsdiskussionen gilt strenge Vertraulichkeit. Zu Hause werden seine Studierenden aufgerufen, Vorlesungen und Seminare mitzuschneiden, um gegebenenfalls zu beweisen, dass sie „einer ideologischen Gehirnwäsche“ unterzogen werden, wie Bolsonaro und Co. behaupten. Das sei die ultimative Gefährdung der freien Rede an der Universität, klagt Knobel – und freut sich, dass man in Hamburg zusammengekommen ist, um diesen abwegigen Ideen die Stirn zu bieten.

Podium beim Global University Leaders Council Hamburg.
Podium beim Global University Leaders Council Hamburg.

© Claudia Höhne/Körber-Stiftung

Dazu zählt zweifellos auch die Entwicklung in den USA, wo die „Hochschulbildung vom amerikanischen Traum abgekoppelt werden soll“, wie Lynn Pasquerella, Präsidentin des US-Verbandes der Colleges und Universitäten, auf dem Podium berichtet. Im Wahlkampf 2016 wünschte sie sich in der „Washington Post“ einen Präsidenten, der Hochschulen auch als Orte sieht, „an denen unsere Demokratie gestärkt wird“. Unter Trump kam es anders. In Hamburg kritisiert Pasquerella „eine wachsende Spaltung im Land und an den Hochschulen“, die bereits zulasten der Diversität auf dem Campus gehe. Deshalb müssten die Hochschulen den verlorenen Kontakt zu den lokalen Communities aufnehmen, um ihnen zu vermitteln, „was wir an der Universität tun“. Damit nicht andere das Vertrauen in die Wissenschaft und ihren „Drang nach der Wahrheit“ zerstören.

"So viel Förderung wie möglich" als politisches Ziel

„Wir dürfen nicht schweigen“, pflichtet ihr Peter-André Alt bei und will die Hoffnung nicht aufgeben, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch populistische Politiker und ihre Anhängerschaft wieder „in den akademischen Diskurs“ einbinden können. Aber werden die Universitäten auch wirklich gehört? Katharina Fegebank, Wissenschaftssenatorin und zweite Bürgermeisterin Hamburgs, hat zumindest in Großbritannien andere Erfahrungen gemacht.

Die Grünen-Politikerin ist fassungslos, dass Teresa May nicht auf den Rat der britischen Universitäten gehört und den Brexit verhindert hat. Überhaupt schreibt Fegebank den Hochschulen eine gesellschaftliche „Schlüsselrolle bei der Lösung der größten Herausforderungen“ zu – beim Klimawandel, beim demografischen Wandel und bei der Digitalisierung. Third Mission? Öffentlich finanzierte Hochschulen seien elementar für das Gemeinwohl und dafür, „unsere Demokratie am Leben zu erhalten“, sagt die Senatorin für Wissenschaft und Diversität. „Mein politisches Ziel ist es deshalb, den Hochschulen so viel Förderung wie möglich zu geben.“

Das war in Hamburg nicht immer so – und deshalb feiert die Universität ihren 100. Geburtstag derzeit ganz besonders groß. Gegen die Gründung hatte sich die Hamburger Kaufmannschaft jahrhundertelang gewehrt: Eine Hafen- und Handelsstadt brauche keine Hochschule und die Professores könnten den Hanseaten womöglich die geistige Führerschaft streitig machen. 100 Jahre später ringen die Unileitungen darum, sie gegen bornierte Populisten zu verteidigen.

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