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Was sind tatsächlich die Aussichten?

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Globaler Zusammenbruch, Ende der Menschheit?: Expertenteam drängt auf stärkere Erforschung von Extrem-Szenarien

Klimamodelle zeigen stets eine Bandbreite möglicher „Zukünfte“. Forschende warnen davor, sich darauf zu verlassen. Die Wahrheit liege irgendwo in der Mitte.

Wenn die Emissionen weiter so zunehmen wie bisher, kann der Klimawandel das Ende der Welt bedeuten. Jedenfalls der Welt, wie wir sie kennen. Das muss nicht so kommen. Es ist aber auch nicht unwahrscheinlich: Laut Weltklimarat IPCC könnten die Temperaturen weltweit um 2,5 bis 4,5 Grad steigen, wenn sich der Gehalt des CO2 in der Atmosphäre verdoppelt. Bis heute ist er im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um 50 Prozent gestiegen.

Ob der Kollaps wirklich eintritt, hängt vom Handeln der Menschheit heute ab. Aber was, wenn es misslingt, den Ausstoß von Treibhausgasen zu begrenzen?

Dazu gibt es zu wenig Forschung gemessen an dem Risiko, das damit einhergeht. Meint ein internationales Team um Luke Kemp von der Universität Cambridge. Ihr am Montag im Magazin „PNAS“ erschienener Beitrag skizziert eine Antwort auf die Frage, wie mit dieser Forschungslücke umzugehen ist und was im schlimmsten Fall eintreten könnte.

Die Quintessenz der Ergebnisse: Zwei Milliarden Menschen könnten bis 2070 in Gebieten mit extremer Hitze und Jahrestemperaturen von im Schnitt 29 Grad leben. Die betroffenen Regionen gehörten zu den am dichtesten besiedelten und politisch anfälligsten der Welt.

Aktuell leben erst 30 Millionen Menschen in der Sahara und an der Golfküste unter ähnlichen Temperaturbedingungen. Zum Vergleich: die globale Durchschnittstemperatur liegt bei 13 Grad.

Kriege um verbleibende CO2-Budgets

Hitze ist auch eine große Bedrohung für die Lebensmittelversorgung. Mit zunehmender Wahrscheinlichkeit könnten die Kornkammern der Welt zusammenbrechen, warnen die Forschenden. Global vier Grad mehr würden beispielsweise in den die vier wichtigsten Maisanbaugebieten zu 86 Prozent Ernteausfällen führen.

(Dieser Text stammt aus dem Tagesspiegel Background Klima und Energie)

Heißeres und extremeres Wetter könnte auch neue Epidemien hervorrufen, weil sich Lebensräume von Wildtieren verschieben oder schrumpfen und es zu engerem Kontakt mit Menschen kommt. Der Klimawandel könnte andere Bedrohungen verstärken, etwa Ungleichheit, Desinformation oder die Verletzung planetarer Grenzen.

Eine mögliche Zukunft, die das Papier hervorhebt, sind „warme Kriege“, in denen technologisch aufgerüstete Supermächte um schwindende CO2-Budgets und riesige Experimente kämpfen, die das Sonnenlicht ablenken und die globalen Temperaturen senken sollen.

Selbst ohne Worst-Case zeigt der aktuelle Kurs die Welt auf einen Temperaturanstieg zwischen 2,1 und 3,9 Grad bis 2100, erinnert der Aufsatz an aktuelle Berechnungen. Wenn alle Zusagen unter dem Paris-Abkommen für 2030 umgesetzt werden, sind es 1,9 bis 3 Grad.

Alle langfristigen Zusagen und Ziele zusammen könnten in 1,7 bis 2,6 Grad Erwärmung münden. „Selbst diese optimistischen Annahmen führen zu gefährlichen Pfaden des Erdsystems“, schreibt das Autorenteam.

Hungersnöte, Extremwetter, Konflikte und Seuchen

Studien darüber, wie der Klimawandel einen Dominoeffekt oder größere Krisen auslösen könnte, sind bisher spärlich, heißt es weiter. Es gibt zwar den IPCC-Sonderbericht zu Extremereignissen und Katastrophen von 2012, den Weltbankreport „Turn down the heat” von 2014 oder das EU-Projekt „High-End Climate Impacts and Extremes” (Helix) von 2017.

Das Sachbuch „Our Final Warning” beschreibt, dass bei einer Erderwärmung von mehr als sechs Grad das Überleben der Menschheit selbst in Frage steht.

Doch um noch besser zu verstehen, welche Risiken drohen, schlägt das Team um den Risikoexperten Kemp eine Forschungsagenda vor, die an die vier apokalyptischen Reiter der Bibel angelehnt ist: Die Gefahren von Hungersnöten, Extremwetter, Konflikten und Seuchen müssten genauer untersucht werden.

Außerdem wäre es dringend nötig, die potenziellen Kipppunkte innerhalb des „Treibhauses Erde“ besser auszuloten: vom Methan, das beim Tauen des Permafrosts freigesetzt wird, bis zum Verlust von Wäldern.

Ein hohes Gefahrenpotenzial liegt dem Aufsatz zufolge in schwindenden Wolkendecken. Die daraus folgenden Rückkopplungen seien noch schlecht verstanden.

Simulationen würden aber darauf hindeuten, dass die Decke aus Stratocumuluswolken bei möglichen CO2-Konzentrationen im Jahr 2100 abrupt verloren gehen könnte. Eine zusätzliche globale Erwärmung von acht Grad wäre dann möglich.

Forscher wollen nicht als alarmistisch gelten

Für den IPCC regt der Aufsatz einen Sonderbericht über katastrophischen Klimawandel an. Den definiert das Team mit einem Bevölkerungsrückgang von 25 Prozent und hohen ökonomischen und kulturellen Verlusten. „Vierzehn Sonderberichte wurden bisher veröffentlicht. Keiner deckte extreme oder katastrophale Klimaveränderungen ab“, bedauern die Autor:innen.

Ohnehin fokussiere sich der IPCC sehr auf 1,5- und Zwei-Grad-Szenarien. Warum? Ein Grund sind die Ziele des Pariser Abkommens. Außerdem seien komplexe Risikobewertungen zwar realistischer, aber auch schwieriger.

Ein dritter Grund ist eine Kultur der Klimawissenschaft, „sich auf die Seite des geringsten Dramas zu schlagen“ – um nicht als alarmistisch zu gelten. Gerade erst hatte der Geophysiker Bill McGuire (Twitter) anlässlich der Publikation seines Buch „Hothouse Earth“ gesagt: „Ich kenne viele Leute, die in der Klimawissenschaft arbeiten und die in der Öffentlichkeit das eine sagen, aber privat etwas ganz anderes. Im Vertrauen haben sie alle viel mehr Angst vor der Zukunft, vor der wir stehen, aber sie werden es öffentlich nicht zugeben.“ Die Welt müsse aber wissen, wie schlimm es werden könnte, um die Krise anzugehen.

Leitautor Kemp formuliert es so: „Wir wissen, dass der Temperaturanstieg einen ‚fetten Schwanz‘ hat, was ein breites Spektrum an weniger wahrscheinlichen, aber potenziell extremen Folgen bedeutet“, sagte er. „Blind gegenüber Worst-Case-Szenarien zu bleiben ist bestenfalls naiv und schlimmstenfalls tödlich dumm“, meint er.

„Sechs-Grad-Szenarien zum Glück nicht mehr realistisch“

Dafür werden allerdings keine extremen Emissionsszenarien gebraucht, sondern ein Fokus auf Risiken mit geringer Wahrscheinlichkeit und hoher Wirkung, widerspricht Carl-Friedrich Schleussner von der Humboldt-Universität.

Dass die Klimaforschung hohe Risikoszenarien vernachlässige, sei ohnehin nicht richtig. „Die mit großem Abstand meisten wissenschaftlichen Studien untersuchen Klimafolgen bei extremen Erwärmungsszenarien.“ Diese seien zum Glück nicht mehr als realistisch anzusehen.

Zutreffend sei aber, dass die Risiken des Klimawandels zurzeit in „einer sonst idealisierten und konfliktfreien Welt“ betrachtet würden. „Die Realität ist eine andere. Im Jahr 2022 und leider vermutlich auch über lange Zeit im 21. Jahrhundert“, sagte der nicht an der Studie beteiligte Schleussner.

Weltuntergangsstimmung kann auch zu Untätigkeit führen

Die Forschenden um Luke Kemp sind sich bewusst, dass ihre Warnungen gesellschaftlich nicht unbedingt hilfreich sind, weil Hiobsbotschaften oft lähmend wirken. Das hat die Klimakommunikationsforschung ergeben. Eine Analyse der extremen Konsequenzen des Klimawandels könnte aber auch zum Handeln anregen und die Widerstandskraft wecken, hoffen die Autor:innen der Studie.

„Wir müssen irreversible und potenziell katastrophale Risiken des menschengemachten Klimawandels in unsere Planung und unser Handeln einbeziehen“, sagte Co-Autor Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er nennt das Absterben des Amazonas-Regenwaldes und das immer schnellere Abschmelzen des grönländischen Eisschilds als Beispiele für Systeme, die schnell von kühlenden Senken zu Quellen der Erwärmung werden.

„Das bedeutet, dass wir uns nicht damit zufrieden geben dürfen, nur Mittelwerte zu betrachten. Wir müssen auch nichtlineare Hochrisiken berücksichtigen. Entscheidend ist, die Katastrophen zu berechnen, um sie zu vermeiden“, leitet Rockström den Blick auf eine doch nicht so dystopische Zukunft. Damit steht er im Einklang mit seiner Zunft: „Wir müssen Weltuntergangsstimmung genauso stark zurückdrängen wie die Verleugnung, denn beide erreichen genau dasselbe: Untätigkeit“, twitterte die Klimawissenschaftlerin Katharine Hayhoe.

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