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Wissen: Grausame Versuche

Die DFG hat ihre Geschichte im Nationalsozialismus aufgearbeitet

Es war in den 50er Jahren, als sich der Apparate-Ausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beim Bayerischen Kultusministerium nach dem Verbleib jener medizinischen Geräten erkundigte, die er einst „dem verstorbenen Professor Schilling“ geliehen hatte. Dass Claus Schilling 1946 als Kriegsverbrecher gehängt worden war, erwähnt der Ausschuss nicht. Kein Wort über die Malaria-Versuche, die der Tropenmediziner an über 1000 Häftlingen des Konzentrationslagers Dachau durchgeführt hatte – mit DFG-Unterstützung, und in hunderten Fällen mit tödlichem Ausgang.

Das Beispiel verdeutlicht, was Vergangenheitsbewältigung für die Forschungsgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete. Dass es heute anders ist, zeigt die Studie „Geschichte der DFG 1920-1970“, die jetzt nach achtjähriger Forschungsarbeit im Berliner Harnack- Haus vorgestellt wurde.

„Die Deutsche Forschungsgemeinschaft schönt ihre Geschichte“, schrieb Ernst Klee 2000 in der „Zeit“ – und sprach von einer „Vertuschungsgemeinschaft“. Diesen Vorwurf wollte der damalige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker nicht auf sich sitzen lassen. Er initiierte die Einrichtung einer Forschungsgruppe zur DFG-Geschichte im Dritten Reich. Um „Ursprünge, Kontinuitäten und Brüche“ besser verfolgen zu können, befassten sich die Forscher um Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität) und Ulrich Herbert (Uni Freiburg) nicht nur mit der Zeit des Nationalsozialismus, sondern den Jahren 1920 bis 1970.

„Eine wahrhaft unbequeme Wahrheit“ nennt DFG-Präsident Matthias Kleiner die Ergebnisse. Tatsächlich zeigt die Studie, dass sich die DFG und die von ihr geförderten Wissenschaftler rückhaltlos für die Ziele des NS-Regimes eingesetzt haben – oft in vorauseilendem Gehorsam. So wurden jüdische und demokratische Wissenschaftler bereits zu einem Zeitpunkt aus Instituten und der DFG vertrieben, als das Regime dies noch nicht befohlen hatte. Proteste der Standeskollegen blieben aus. Mit dem Argument, die Wissenschaft sei durch Politik und Militär „missbraucht“ worden oder habe sich bloß der Mitläuferschaft schuldig gemacht, räumen die Forscher gründlich auf. So habe etwa im Bereich der Lebenswissenschaften 1939 eine „Selbstmobilisierung der Antragsteller“ stattgefunden. Es häuften sich biowissenschaftliche Anträge, die auf die Kriegswichtigkeit verwiesen.

Im Bereich der Geisteswissenschaften unterstützte die DFG unter anderem Arbeiten, die nationalsozialistische Vertreibungs- und „Umvolkungs“-Projekte begleiteten, vor allem den „Generalplan Ost“. Im Medizinbereich waren es etwa Arbeiten des SS-Ahnenerbe und „Grundlagenforschung“ für die NS-Erbgesundheitspolitik. Die Humanexperimente, wie sie an KZ-Häftlingen vorgenommen wurden, seien in ihrer inhumanen und tödlichen Konsequenz weit hinter bereits erreichte Standards der Forschungsethik zurückgefallen, sagte Wolfgang Eckart (Heidelberg). „Die Forschung nutzte hier klar die ihr durch das totalitäre und rassistisch orientierte Herrschaftssystem des NS-Staates gewährten Freiräume tötender Forschung.“

Wissenschaft und Regime gingen 1933 eine Symbiose ein. Das wurde nach Auffassung der Forscher dadurch begünstigt, dass die Krise der deutschen Forschung und die Krise der deutschen Nation nach 1918 als Einheit wahrgenommen wurden. Auch die Bezeichnung des 1920 gegründeten DFG-Vorläufers deutet auf die Empfindung hin: „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“. „So entstand eine Wissenschaftskultur, die den Einsatz für die vermeintlichen Interessen der Nation zum deutlichsten Ausdruck seriöser Wissenschaft erhob, der alle anderen Werte relativierte“, so Ulrich Herbert. Eine nationale Grundhaltung habe es in der deutschen Wissenschaft auch in der Nachkriegszeit gegeben.

Die 1949 wiedergegründete DFG hat sich ihrer Vergangenheit lange nicht gestellt: „Pervers“ nennt die Medizinhistorikerin Marion Hulverscheidt die Haltung des Apparate-Ausschusses in dem von ihr recherchierten Fall um Malaria-Forscher Schilling. Aber auch andere geförderte Experimente an KZ-Häftlingen, wie die Zwillingsuntersuchungen des Josef Mengele in Auschwitz, waren jahrzehntelang kein Thema. Vielmehr blieb die DFG bis zur Hochschulreform um 1970 „die Repräsentantin und Bewahrerin der Ordinarienuniversität“, so die Forscher. Ab 1945 wurde allerdings auf „Politikferne“ geachtet. Die Nachkriegs-DFG wollte sich nicht mehr vom Staat bevormunden lassen. Daran hat sich laut DFG-Präsident Kleiner auch nichts geändert. Günter Bartsch

Der Bericht im Internet:

www.histsem.uni-freiburg.de/DFG-Geschichte/Bericht2008.pdf

Günter Bartsch

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