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Zellsuppe. Um einzelne Zellen untersuchen zu können (hier Herzmuskelzellen), muss das Gewebe erst aufgelöst werden.

© Gotthardt Lab/MDC

Größer als das Human-Genom-Projekt: Eine Karte aller Zellen des Menschen

Die Stiftung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg fördert den Start des „Human Cell Atlas“. Deutsche Forscher sind Teil des Konsortiums.

Aus wie vielen Zellen der menschliche Körper besteht, weiß niemand so genau. Nur dass es Billionen sind, ist sicher. Trotz dieser großen Zahl wagt ein internationales Forscherkonsortium nun mit finanzieller Unterstützung der Stiftung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg den Start des „Human Cell Atlas“ (HCA): Eine dreidimensionale Karte des Menschen soll entstehen, auf der verzeichnet ist, welche Gene in einer bestimmten Zelle gerade aktiv oder stillgelegt sind, wo sie sich im Körper befindet und um welchen Zelltyp es sich handelt.

Noch ein weit entferntes Ziel

„Das ist ein großes, hehres Ziel“, sagt Norbert Hübner vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch. Für den gesamten Körper herauszufinden, welche Zelltypen es gibt, welche Zustände sie im Laufe der Entwicklung eines Menschen, im Zuge einer Erkrankung oder in Reaktion auf Umweltbedingungen einnehmen können, das sei eine gewaltige Herausforderung. „Und natürlich wird uns das nicht sofort gelingen, weil die Technologie noch nicht so weit entwickelt ist, dass man das für Milliarden von Zellen jetzt schon umsetzen kann“, gibt der Mediziner zu.

Doch auch das Human-Genom-Projekt zur Entzifferung des menschlichen Erbguts startete in den 1990ern zu einem Zeitpunkt, wo die nötigen Sequenziertechnologien noch unterentwickelt und kostspielig waren. Damals konzentrierte man sich zunächst auf einzelne Abschnitte eines einzigen Genoms und entwickelte im Zuge dessen bessere Techniken. Heute ist das Sequenzieren von DNS so schnell und günstig, das täglich tausende Genome entzifferbar sind – die Voraussetzung, um ein Projekt wie das HCA überhaupt in Erwägung ziehen zu können.

Das Herz des Projekts

Auch die HCS-Forscher konzentrieren sich erst einmal auf bestimmte Organe, etwa das Gehirn, das Immunsystem, den Darm und die Haut. Hübners Forschergruppe ist an dem Teilprojekt „Towards a Human Cardiac Cell Atlas“ beteiligt, das sich um das Herz und andere Gewebe kümmert, die mit den bisherigen Methoden besonders schwierig zu untersuchen sind. Denn um eine einzelne Zelle charakterisieren zu können, müssen die Forscher zunächst das Gewebe auflösen. Dazu vereinzeln sie die Zellen in einer Art Zellsuppe und schleusen Zelle für Zelle durch ein feines Nanoröhrchen. Dann werden die Abschriften der Gene, die RNS-Moleküle, gesammelt und entziffert, so dass für jede Zelle ein charakteristisches Muster ihrer Genaktivität entsteht. In den Herzmuskelzellen sind andere Gene aktiv, als in den Bindegewebs-, Blutgefäß- oder Nervenzellen im Herzen.

„Allerdings sind all diese Zellen unterschiedlich groß, eine Herzmuskelzelle passt nicht so leicht in das Nanoröhrchen wie eine Bindegewebszelle“, sagt Hübner. Der Forscher ist zuversichtlich, dass diese technischen Startschwierigkeiten zu beheben sind. Der Erkenntnisgewinn durch den Human Cell Atlas sei jedenfalls vielversprechend. „Wir erhoffen uns zum Beispiel, besser zu verstehen, wie die verschiedenen Zellen im Herzen auf den Sauerstoffmangel nach einem Herzinfarkt oder auf erhöhten Blutdruck reagieren“, sagt Hübner.

38 Forschergruppen werden von der Chan-Zuckerberg-Initiative gefördert

Dazu reicht es nicht zu wissen, wie die Gene einer bestimmten Zelle auf die veränderten Bedingungen reagieren. Sondern es muss auch bekannt sein, wo im Herzen diese Zelle sitzt. „Wir wollen die Position jeder einzelnen Zelle im Herzen rekonstruieren“, sagt Hübner. Zwar geht die Positionsinformation der einzelnen Zellen verloren, wenn das Gewebe für die RNS-Sequenzierung aufgelöst wird. „Aber dadurch, dass man außerdem einige Zellen direkt aus dem intakten Herzen isoliert und damit ihre Nachbarzellen und Position kennt, kann man durch eine mathematische Modellierung die Anordnung aller Zellen im Gewebe rekonstruieren.“ Wissen die Forscher erst, welche Zellen im Herzen nebeneinander liegen, lässt sich auch ihre Kommunikation untereinander nachvollziehen. „Daraus kann man dann vielleicht Rückschlüsse ziehen, wie eine Immunzelle im Herzen mit einer Bindegewebszelle wechselwirkt.“

All das sei allerdings leichter gesagt als getan, räumt Hübner ein. „Die technische Umsetzung ist alles andere als trivial.“ Umso wichtiger sei es, dass die Chan-Zuckerberg-Initiative nun eine einjährige Pilotphase von 38 Kernprojekten finanziert, ausgewählt aus insgesamt 481 Einzelprojekten des Konsortiums. Wie hoch die Förderung ausfällt, verrät die Stiftung allerdings nicht. Auch das MDC darf darüber nicht reden. Man wolle das öffentliche Augenmerk auf die Forschung, nicht auf die Fördersumme lenken, lässt die Stiftung wissen.

Selbst wenn die Stiftungssumme eine dreistellige Millionensumme umfassen sollte, wäre das nicht mehr als eine Anschubfinanzierung. Um den Atlas zu verwirklichen, braucht es das Engagement der großen Forschungsförderungsinstitutionen. „Wir reden bereits mit dem Bundesforschungsministerium“, sagt Hübner. Am Ende werde alles davon abhängen, dass die einzelnen Forschergruppen die öffentlichen Geldgeber überzeugen können. Deutschland, das sich beim Humangenomprojekt zurückgehalten hatte, bekomme nun eine zweite Chance, sagt Hübner. „So wie das Genomprojekt dafür gesorgt hat, dass wir heute das Erbgut in einem Ausmaß kennen, wie wir es uns nie haben träumen lassen, wird der Human Cell Atlas ein Datenschatz sein, mit dem wir die Entstehung von Krankheiten besser verstehen kann.“ Beispielsweise hat Hübners Team kürzlich einen Botenstoff identifiziert, der Bindegewebswucherungen im Herzen mitverursacht. „Wenn der Atlas uns sagt, welche Zellen im Herzen diesen Botenstoff produzieren, dann könnten wir viel gezielter behandeln.“

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