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Großbritannien: Ausgesperrte Studierende

Die Briten verschärfen Visaregeln für ausländische Bewerber: Die Regierung fürchtet, dass Terroristen mit Studienvisa ins Land kommen. Die Universitäten bangen um ihren guten Ruf - und um eine lukrative Einnahmequelle.

Als sich die 22-jährige Chinesin Wu Han aus Ningbo, Ostchina, vor kurzem fürs Master-Studium am Imperial College in London bewarb, musste sie nachweisen, dass sie 30 000 Pfund auf dem Konto hat. 20 000 Pfund für die Kursgebühren, 10 000 für die Lebenshaltung in London. Das verlangen die neuen britischen Visabestimmungen für außereuropäische Studierende, die unlängst in Kraft traten. Anträge scheitern so leicht, dass britische Universitäten nun um den Zustrom wirtschaftlich lukrativer Auslandsstudenten fürchten. „Die Regierung ist im Begriff, eine riesige Industrie abzuwürgen“, warnte der Präsident der Amerikanischen Internationalen Universität London, Ian Newbould, jetzt auf einem Seminar in London.

Allein an Kursgebühren nehmen britische Unis von Auslandsstudenten jährlich 2,1 Milliarden Pfund ein. Eine Studie des British Council zählte Bildungsexporte von der Sprachschule über den Bildungsverlag zur Eliteuni zusammen und kam auf 28 Milliarden Pfund – das ist mehr, als die Autoindustrie exportiert. Kein Wunder, dass Lord Peter Mandelson, Minister für Unternehmen, Innovation und Ausbildung, ein offenes Ohr für die Klagen der Unis hatte. Er versprach, das neue System dürfe keine „unbeabsichtigten“ Folgen habe.

Großbritanniens Einwanderersystem und der Bildungssektor liegen immer wieder im Streit. Die Interessenlagen sind konträr: Während die Bildungsindustrie vor den wirtschaftlichen Folgen der neuen Visaregelungen warnt, meldeten Zeitungen wie die „Sun“ vergangene Woche, Zehntausende von Studierenden hätten sich Einreisevisa erschlichen.

Im Mai deckte die „Times“ ein Netz von „Phantom-Colleges“ auf, das Hunderte von Bewerbern aus „dem Herzland von Al Qaida“ als Studenten ins Land schleuste. Im März wurde in Manchester eine Gruppe Terrorismusverdächtiger festgenommen und abgeschoben. Bis auf einen waren alle mit Studentenvisa eingereist, acht waren an einem College eingeschrieben, das mit drei Lehrern 1797 Studenten zu unterrichten vorgab.

Angesichts der Kritik an anschwellenden Einwandererströmen handelte die Regierung. Bereits 2007 kündigte der Einwanderungsminister ein punktebasiertes Einwanderungssystem an, das auch für Studenten gilt. Bewerberinnen wie Wu Han brauchen nun seit dem Frühling dieses Jahres 40 Punkte für ein Visum – 30 gibt es für den Nachweis eines Studienplatzes, zehn für den Nachweis der Unterhaltskosten. Betroffen sind alle Bewerber, die nicht aus Europa kommen. Die Regeln gelten auch für Länder wie China oder Indien, die die größten Gruppen von ausländischen Studierenden stellen.

Laut den Unis werden bis zu 60 Prozent der Visaanträge nach dem neuen System abgelehnt. „Wir sprechen hier nicht von Terrorismusbekämpfung oder illegalen Einwanderern. Es geht um gut qualifizierte Studenten, die wegen kleiner Formfehler abgelehnt werden“, kritisiert Dominic Scott vom UK-Rat für internationale Studentenangelegenheiten. Er glaubt, dass die Nachrichten über das neue System schon um die Welt gereist sind und Studenten vom Studium in Großbritannien abhalten. Britische Unis fürchten um ihren Markennamen. „Es ist bereits großer Schaden entstanden“, sagt Scott.

Erfahrungen der „Study Group“, die jährlich rund 9000 Studenten nach Großbritannien vermittelt, bestätigen das. Laut Geschäftsführer James Pitman wurde wegen des aufwendigeren Bewerbungsverfahren die Zeit für Studierende aus Hongkong zu knapp: Berater empfahlen ihnen stattdessen ein Studium in Australien – dem größten Konkurrenten der Briten. Noch haben britische Universitäten nach den USA den weltweit höchsten Ausländerimport. Aber die Zuwachsraten in Australien und Neuseeland sind in den letzten Jahren dramatisch höher.

Die Unis sorgen sich aber nicht nur um Marktanteile. Sie fürchten, dass ihnen das neue Visaregime zusätzliche Verwaltungskosten aufzwingt. Nach den Regelungen sind die Universitäten „Arbeitgeber“ und müssen als „Sponsoren“ der Studenten auftreten. Damit sind sie verantwortlich, dass Visumauflagen eingehalten werden. „Das ändert von Grund auf die Beziehung zwischen Universität und Student“, warnt die London School of Economics (LSE). Studenten könnten glauben, dass sie von den Universitäten im Auftrag der Regierung überwacht werden.

Eine weitere Furcht der Unis ist, dass strengere Visabestimmungen ausländische Studenten nach dem Studium vom britischen Arbeitsmarkt ausschließen und den Studienplatz in Großbritannien zusätzlich unattraktiv machen. Bisher erhalten Studenten nach dem Abschluss eine zweijährige Visumverlängerung – Zeit, um einen Arbeitsplatz zu finden.

Hinter dem Konflikt um das neue Visasystem lauert ein Konflikt um Ressourcen. Universitäten fürchten um lukrative Auslandsstudenten, aber die Zahl der Inlandsbewerber für das Studium im Herbst ist um 9,7 Prozent gestiegen. Einheimische Schulabgänger drängen verstärkt an die Hochschulen, um der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu entgehen. Während Unis heftig um Ausländer werben, die fünf Mal mehr Gebühren bezahlen, werden 40 000 britische Bewerber keinen Studienplatz bekommen. Schlagzeilen wie „Universitäten schlagen britischen Studenten die Tür vor der Nase zu“, wie jüngst in der „Times“, bereiten den Unis so zusätzlich Kopfzerbrechen.

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