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Umstrittene Bohnen. Jedes Jahr werden Millionen Tonnen Soja nach Europa importiert und vor allem als Viehfutter genutzt. Die Bohnen stammen oftmals von gentechnisch veränderten Pflanzen wie diese hier in Brasilien.

© picture alliance / dpa

Grüne Gentechnik: Der Traum von einem gentechnikfreien Land

Nahrungsmittel, Medikamente, Euro-Banknoten: Gentechnik ist aus unserem Alltag kaum wegzudenken. Wer etwas anderes behauptet, ist unehrlich. Ein Einwurf.

Frankenstein-Pflanzen, gnadenlose Agrokonzerne und Glyphosat – diese Worte werden hierzulande oft und gern genutzt, wenn es um Grüne Gentechnik geht. Wie bei anderen modernen Techniken auch, wird die Debatte nur bedingt entlang der Fakten geführt. Einen wesentlichen Anteil daran haben die politischen Akteure, die bei diesem Thema mit unerschrockener Selbsttäuschung und Scheinheiligkeit zu Werke gehen.

Das zeigt etwa ein aktuelles Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion, in dem es heißt: „Die SPD-Bundestagsfraktion will …, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen grundsätzlich und bundesweit verboten werden kann, und somit Äcker und Umwelt in Deutschland gentechnikfrei bleiben. … Die Bundesregierung muss sich bereits beim EU-Zulassungsverfahren gegen die Zulassung aussprechen, um konsequent gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen einzutreten.“

Der gewaltige Milch- und Fleischbedarf ist ohne Importe eiweißreicher Futtermittel nicht zu decken

So viel vorab: Ich halte mich für einen Demokraten und habe kein Problem damit, dass „Deutschland gentechnikfrei bleibt“, wenn dies die Mehrheit seiner mündigen Bürger so will. Wir sollten aber offen und ehrlich aussprechen, was ein „gentechnikfreies“ Deutschland für uns tatsächlich bedeuten würde. Die Nahrungsmittelproduktion in Europa hängt bereits jetzt am Tropf der Produzenten gentechnisch veränderter Nahrungs- und Futtermittel vor allem in Latein- und Nordamerika. Unseren gigantischen Milch- und Fleischbedarf ohne Importe eiweißreicher Futtermittel, insbesondere gentechnisch optimierter Sojabohnen, decken zu können, ist schon vor längerer Zeit unmöglich geworden. Jährlich werden etwa 35 Millionen Tonnen Sojabohnen in die Europäische Union eingeführt, das entspricht ungefähr 65 Kilogramm pro EU-Bürger. Mehr als 80 Prozent der Sojaproduktion basiert inzwischen auf gentechnisch veränderten Sorten, Tendenz steigend. Da die Vorteile der gentechnisch verbesserten Sorten für die Bauern so überwältigend sind, sinkt die Bereitschaft, konventionelle Sorten anzubauen immer weiter. Und das obwohl mit konventionellen Sojabohnen ein höherer Verkaufspreis erzielt werden kann.

Es ist scheinheilig, andere Länder für uns massenhaft Soja anbauen zu lassen

Wenn wir uns also für ein „gentechnikfreies Deutschland“ entscheiden, sollten wir es konsequent tun und auf gentechnische Nahrungs- und Futtermittel komplett verzichten. Vor allem sollten wir uns die Scheinheiligkeit ersparen, andere Länder diese Pflanzen für uns anbauen zu lassen, um sie dann möglichst heimlich nach Deutschland zu verschiffen, während wir uns gleichzeitig öffentlichkeitswirksam zur „gentechnikfreien“ Zone erklären. Das ist nicht nur unmoralisch, sondern kommt auch einer modernen Form von Kolonialismus gleich – ein zu hoher Preis, um eine Illusion aufrechtzuerhalten und eine ökologisch verbrämte Ideologie auch weiterhin gut verkaufen zu können.

„Nein“ zu Tierversuchen, aber „Ja“ zu sicheren Medikamenten

Und doch passt es zur inzwischen in unserer Gesellschaft salonfähig gewordenen Entkopplung als problematisch empfundener Methoden auf der einen Seite und ihrem unbestreitbaren Nutzen auf der anderen: „Nein“ zu Tierversuchen, aber „Ja“ zu sicheren Medikamenten und unbedenklichen Kosmetika; „Nein“ zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen, aber „Ja“ zur Forschung an importierten Stammzellen, und so weiter.

Die Unehrlichkeit setzt sich bei der Kennzeichnung gentechnisch hergestellter Produkte fort. Sie ist richtig und wichtig, denn sie schafft Wahlfreiheit. Das hat sich bei Bioprodukten hervorragend bewährt, im positiven wie im negativen Sinne. Wer Bio bewusst kaufen will, erkennt es am großen Schriftzug auf der Verpackung und greift zu. Wer Bio aktiv vermeiden will, sei es aus Angst vor Keimen und Mykotoxinen oder aufgrund der regelmäßigen schlechten Qualitätsbewertungen bei der Stiftung Warentest, muss nur nach Produkten schauen, wo nicht in riesigen Lettern „Bio“ draufgedruckt ist.

Der EU-Grenzwert für gentechnische Bestandteile ist unsinnig

Genauso sollten alle Produkte gekennzeichnet sein, die mithilfe von Gentechnik hergestellt wurden. Der von der Europäischen Union eingeführte Grenzwert für eine Kennzeichnungspflicht ab 0,9 Prozent gentechnisch veränderte Bestandteile ist willkürlich und daher unsinnig. Dafür gibt es keinerlei wissenschaftliche oder sonstige Begründung. Warum sollte ein Lebensmittel mit 0,8 Prozent gentechnischer Beimischung anders behandelt werden als eine Lebensmittel mit 1,0 Prozent?

Es sollten ausnahmslos alle Produkte gekennzeichnet werden, die bei der Herstellung mit Gentechnik in Kontakt gekommen sind, mindestens aber alle Produkte, in denen die gentechnisch erzeugten Bestandteile nachweisbar sind – sei es DNS, Enzyme oder Vitamine. Alles andere erfüllt den Tatbestand der Verbrauchertäuschung, ist allerdings recht nützlich, um Feindbilder zu pflegen, Ängste zu schüren und die Illusion aufrechtzuerhalten, dass wir uns „gentechnikfrei“ ernähren und unsere Politiker sich dafür heldenhaft engagieren. Das Dilemma ist offensichtlich. Eine vollständige Kennzeichnung hieße schon heute, Gentechnikaufdrucke überall im Regal: auf sehr vielen Lebensmitteln wie Käse und Wurst, auf nahezu allen Medikamenten und auch die bunten Euro-Geldscheine würden einen Aufdruck tragen, der darauf hinweist, dass sie aus gentechnisch veränderter Baumwolle hergestellt wurden (hier ist die Wahlfreiheit zugegebenermaßen etwas schwieriger umzusetzen, aber Münzgeld wird momentan noch gentechnikfrei hergestellt und Kartenzahlung ist schließlich auch vielerorts möglich …).

Wie viele Studien sollen noch angefertigt werden - die doch zum gleichen Ergebnis kommen?

Willkommen in der Realität – ein Leben ohne Gentechnik auf dem Teller, im Arzneischrank, im Portemonnaie und im Kleiderschrank ist in Deutschland schon heute kaum mehr möglich. Ob wir es wollen oder nicht.

Es geht weiter im Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion, wobei es auch in anderen Parteien ähnliche Forderungen gibt: „Wir wollen eine stärkere Gewichtung der gentechnikkritischen Forschungen, um dem Vorsorgegrundsatz der Umwelt- und Naturschutzpolitik besser gerecht zu werden.“ Was heißt das genau? Wollen Sie die Forscher in Deutschland so lange gängeln, bis sie sich Ihren Wunschthemen zuwenden und verzweifelt versuchen, mit der zigtausendsten Studie doch noch den Nachweis zu erbringen, dass Gentechnik Krebs auslöst, Marienkäfer tötet und heimische Orchideen bedroht? Reicht es nicht mehr aus, dass das seit Jahren mit der Ressortforschung in Bundesanstalten und Bundesinstituten geschieht, wo Wissenschaftler bevormundet und unliebsame Aktivitäten par ordre du mufti eingestellt werden, wie im Fall der Risikoforschung mit transgenen Pflanzen an der Biologischen Bundesanstalt in Braunschweig?

Warum nicht gleich das Grundgesetz ändern und die Forschungsfreiheit abschaffen?

Liebe SPD-Abgeordnete, nutzen Sie die Gunst der Stunde: Mit der großen Koalition können Sie das Grundgesetz ändern und die Forschungsfreiheit in Deutschland abschaffen. Dann können Sie den Wissenschaftlern im Lande endlich flächendeckend die Themen verordnen, die sie Ihrer Meinung nach beforschen sollten. Und im Idealfall können Sie vielleicht auch gleich die „gentechnikkritischen“ Forschungsergebnisse mitbestellen, die Sie sich zu erhoffen scheinen. Weltweit mehr als 10 000 aus Steuergeld finanzierte Studien und Metastudien müssen einfach irren!

Wissenschaftliche Beratung wird kaum angenommen

Jeder wird Verständnis dafür haben, dass Berufspolitiker nur begrenzte Zeit haben, um sich in ein ihnen weitgehend fremdes Thema einzuarbeiten, über das sie parlamentarisch entscheiden wollen und sollen. Noch größer ist die Herausforderung, wenn das fragliche Thema umfangreiches Hintergrundwissen über wissenschaftliche und ökonomische Zusammenhänge verlangt. In vielen anderen Ländern wird dieses Defizit kompensiert, indem Abgeordnete, Senatoren und Präsidenten einen oder mehrere wissenschaftliche Berater haben. Sie erklären ihnen bei Bedarf komplizierte Sachverhalte und stellen Informationen aus verlässlichen Quellen zur Verfügung. Auch die geballte Expertise der Mitgliedschaft einer Nationalen Akademie der Wissenschaften anzuzapfen, hat sich in anderen Ländern als ein probates Mittel der Politikberatung erwiesen. Deutsche Politiker hingegen scheinen eine Universalkompetenz zu besitzen, die eine unabhängige wissenschaftliche Beratung überflüssig macht und sie ausreichend qualifiziert, um Positionspapiere zu verfassen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beschloss unmittelbar nach seiner Wahl, den Posten des „Chief Scientific Advisor“ auf europäischer Ebene einfach abzuschaffen.

Gentechnische Veränderungen werden immer schwerer nachzuweisen sein

Vielleicht hätte ja ein kompetenter wissenschaftlicher Berater, der nicht einmal Pflanzenwissenschaftler sein müsste, den SPD-Bundestagsabgeordneten erklären können, dass es keinen Sinn ergibt, Herstellungsverfahren regulieren zu wollen, anstatt pragmatisch Produkte und ihre Eigenschaften zu bewerten, wie es sich seit Jahrhunderten bewährt hat. Eine konventionell gezüchtete Erdbeere ist für den Allergiker gefährlich, eine gentechnisch veränderte krankheitsresistente Kartoffel ist es nicht. Im Zeitalter der „Genome-Editing“-Technologien werden gentechnische Veränderungen ohnehin zunehmend ununterscheidbar von natürlich entstandenen Erbgutveränderungen sein.

Wie will man in Zukunft etwas regulieren, dessen gentechnischer Ursprung sich im Zweifelsfall nicht einmal nachweisen lässt? Wie kann mir mein SPD-Bundestagsabgeordneter in Zukunft garantieren, dass „Deutschland gentechnikfrei bleibt“? Ich bin mir sicher, ein mehr oder weniger plumper juristischer Kniff wird auch dafür gefunden werden – und wenn dafür alle Gesetze der Logik ausgehebelt werden müssen.

Der Autor ist Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm. Seine Forschung ist öffentlich gefördert, Zuwendungen von der Gentechnikbranche oder der Protestbewegung erhält er nicht. Er steht allen politischen Parteien in diesem Land fern und betrachtet sich auch sonst in seiner Meinungsbildung als ziemlich unabhängig. Dieser Text ist eine gekürzte Fassung eines Essays, der zuerst im „Laborjournal“ erschienen ist.

Ralph Bock

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