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Ausgestellt. Ein Schimpanse im Zoo von Hannover. Weltweit wird zunehmend darüber diskutiert, ob diese Tiere überhaupt eingesperrt werden dürfen.

© picture alliance / dpa

Grundrechte für Menschenaffen: Tierschützer fordern mehr Rechte für Schimpansen & Co.

Menschenaffen brauchen Grundrechte, finden die Aktivisten des Great Ape Projects. Nun greifen sie die Zoos mit einer Streitschrift an.

Colin Goldner vom Great Ape Project weiß, wie man Empörung erzeugt. Um der versammelten Hauptstadtpresse zu zeigen, wie dringend Menschenaffen Grundrechte brauchen, startet der Psychologe erst einmal einen Film. Deprimierende Innengehege erscheinen auf der Leinwand, er hat sie heimlich in deutschen Zoos aufgenommen. Nackter Betonboden, nur teilweise mit Stroh bedeckt. Wände, deren letzter Anstrich eine Weile her ist. Schimpansen, die ins Leere starren oder stereotyp ihren Oberkörper hin und her wiegen. Vor der Panzerglasscheibe drängen sich trotzdem Besucher. Die Menschenaffen können vor den neugierigen Blicken nicht flüchten.

In 38 deutschen Zoos werden Menschenaffen zur Schau gestellt, er hat sie alle bereist. Das Ergebnis seiner Recherche kann man in einer fast 500-seitigen Streitschrift nachlesen, seit dieser Woche ist sie für 24 Euro im Handel. Er nennt es eine „Studie“. Tatsächlich erzählt er in dem Kapitel, das Empirie verspricht, vor allem die Geschichte der einzelnen Tiergärten und kommentiert anschließend die Haltungsbedingungen. Eine Zusammenarbeit mit den Zoos sei nicht möglich gewesen, sagt er. Als Antwort auf kritische Fragen kämen nur auswendig gelernte Formeln über Artenschutz, Bildung und Erholung. „In der Zoowelt hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus“, sagt Goldner. Einmal flog er als unerwünschter Gast raus. Danach machte er heimlich weiter.

Doch sein Urteil über die Zoos wirkt nicht differenzierter als die Argumente der Gegenseite. Selbst Leipzig, mit der weltweit größten Menschenaffenanlage als Leuchtturm unter den Zoos gefeiert, findet er nur „akzeptabel“. Die Experimente der Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, an denen die Affen freiwillig teilnehmen, böten zwar Ablenkung. „So verblöden die Tiere nicht ganz“, sagt Goldner. Im Rest der Republik sei die Haltung der Menschenaffen „schlecht bis katastrophal“.

„Der Totalangriff auf ihre Natur treibt sie geradewegs in den Wahnsinn“, sagt er. Den Dauerstress ihrer Gefangenschaft könnten unsere nächsten Verwandten nur zugedröhnt ertragen. Zwar gebe es kein Zoo zu, doch Psychopharmaka gehörten in den Tiergärten zum Alltag. „Man kann an den Augen der Affen erkennen, auf welchem Trip sie sind“, sagt er. Die Pupille und der Blick verrate es jedem, der genau genug beobachtet.

Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, hält das für „Unsinn“. Bestenfalls könne man vermuten, ob ein Mensch, geschweige denn ein Menschenaffe irgendein aufputschendes oder beruhigendes Medikament bekommen hat. „Selbst wir, die wir täglich mit Patienten zu tun haben, die Psychopharmaka bekommen, können nicht sagen, um welche Medikamente es sich handelt.“

Auch Martin Brüne von der Ruhr-Universität Bochum, der psychopathologische Phänomene bei Menschenaffen erforscht, ist skeptisch, ob man bei einem Zoobesuch „im Vorbeigehen“ erkennen kann, dass ein Tier Psychopharmaka geschluckt hat. Am ehesten sei das möglich, wenn man das Tier über einen längeren Zeitraum beobachtet und sein normales Verhalten kennt. Wissenschaftlich haltbar sei eine „prima vista“-Diagnose durch die Gitterstäbe nur dann, wenn eine massive Sedierung vorliegt und andere Erklärungen für Verhaltensauffälligkeiten ausgeschlossen werden können.

Für Goldner sind das Details. In 60 Prozent der deutschen Zoos erfüllten die Gehege der Menschenaffen nicht einmal die Mindestanforderungen, die im gerade veröffentlichten Säugetiergutachten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft nach dreijährigem Ringen zwischen Tierschützern, Zoovertretern und unabhängigen Experten festgeschrieben wurden. In Berlin zum Beispiel seien die Innengehege der Orang Utans zu klein. Der neue Berliner Zoodirektor Andreas Knieriem wollte weder das Säugetiergutachten noch das Great Ape Project kommentieren. „Es passt gerade nicht“, sagte seine Pressesprecherin.

Goldner ist nicht um Worte verlegen: Die Zustände in den Zoos seien katastrophal. Das Great Ape Project fordert deshalb in einer Petition den Bundestag auf, Artikel 20a des Grundgesetzes zu ergänzen: „Das Recht der Großen Menschenaffen auf persönliche Freiheit, auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit wird geschützt.“ Die Zurschaustellung – „hinter Gitterstäben, Panzerglas und Elektrozäunen“ – lehnen die Aktivisten ab.

Sie sind damit nicht allein, die amerikanische „Nonhuman Rights“-Initiative hat ähnliche Ziele. Doch anders als das Great Ape Project setzt sie dabei auf naturwissenschaftliche Expertise. Namhafte Primatologen wie Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie unterstützen die Idee, dass Menschenaffen als Person gelten sollen. „In den letzten 20 Jahren ist der Graben zwischen Mensch und Tier immer kleiner geworden“, sagt der Schimpansenexperte Boesch. „Allmählich müssen wir uns fragen: Was folgt daraus?“ (mit skb)

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