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People enjoy the sunny weather, as the spread of the coronavirus disease (COVID-19) continues, at the Mauerpark, in Berlin, Germany, May 9, 2021.

© REUTERS/Annegret Hilse

Gruppe mit vielen sozialen Kontakten: Vorrecht für Jüngere? Wer als Nächstes geimpft werden müsste

Berlin hebt ab Montag die Impfpriorisierung in Praxen auf. Schon gibt es eine neue Debatte: Sollten nun nicht erst Jüngere geimpft werden? Die Argumente.

Für die in Deutschland zugelassenen so genannten Vektor-Impfstoffe gilt die Priorisierung der Über-60-Jährigen seit Kurzem nicht mehr. Bayern und Baden-Württemberg – und jetzt auch Berlin – haben zusätzlich für RNA-Impfstoffe diese Regeln für Praxen aufgehoben, ab kommendem Montag. Die Ständige Impfkommission (StiKo) dagegen empfiehlt nach wie vor eine Priorisierung der Über-60-Jährigen.

Es sind politische Entscheidungen. Die Gründe liegen auch darin, dass Vektor-Vakzine aufgrund der seltenen schweren Nebenwirkungen schwerer an den älteren Mann und und die ältere Frau gebracht werden konnten. Auch, dass nun insgesamt mehr Dosen verfügbar sind, verringert den Druck zu priorisieren.

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Parallel wird eine andere Diskussion geführt: Wäre es in einer Situation, in der Hochrisikopersonen zunehmend geimpft sind oder sich aktiv gegen einen der Impfstoffe entscheiden, nicht sinnvoll, nun Jüngere zu priorisieren?

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Dafür gibt es verschiedene Argumente. Eines ist schlicht Generationengerechtigkeit – für jene, die seit Beginn der Pandemie zum Schutz der Älteren und Anfälligen massiv in ihrer Freiheit eingeschränkt waren. Ein anderes Argument lautet, dass man Infektionszahlen und Inzidenzen – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass Personen aus Risikogruppen sich anstecken – vielleicht am effektivsten senken kann, wenn vor allem jene geimpft werden, die viele soziale Kontakte haben.

Indonesien impfte zuerst Junge - Erfolg unklar

Daten aus der realen Welt, wie dies sich auswirken würde, gibt es kaum. Ein Land, das statt der Über- die Unter-Sechzigjährigen priorisiert, ist Indonesien. Als Erfolg wertet die Strategie bislang niemand, denn das Land hat in Südostasien die derzeit höchsten dokumentierten Fall- und Todeszahlen – bei zudem wahrscheinlich auch noch sehr hoher Dunkelziffer. Bislang sind aber auch schlicht zu wenige geimpft.

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Von 270 Millionen Einwohnern haben derzeit etwas mehr als acht Millionen bereits beide Dosen erhalten. Dazu kommt, dass dies meist Injektionen mit dem Sinovac-Impfstoff waren, dessen Effektivität nach wie vor als nicht vergleichbar hoch gilt wie etwa die der in Europa genutzten Vakzine.

Dass es sinnvoller und auch ethisch richtig sein könnte, zuerst Personen mit vielen sozialen Kontakten zu impfen, wurde schon diskutiert, bevor der erste Impfstoff überhaupt verfügbar war. Letztlich würden so auch mehr Menschenleben gerettet und schwere Verläufe vermieden, argumentierte etwa der in Oxford lehrende Philosoph und Autor des Buches „The Ethics of Vaccination“ (erschienen 2019), Alberto Giubilini.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen

Es gebe „starke ethische Gründe“, sogar die ganz jungen Menschen zuerst zu impfen, „sofern die Risiken, die man Kindern damit zumutet, vertretbar sind, selbst wenn es bedeutet, Kinder als Mittel zum Schutze älterer und Anfälliger Personen zu nutzen“.

Genau hier liegt aber nach wie vor ein wichtiges Problem: Kinder haben ein vergleichsweise geringes Risiko für schwere Verläufe. Das verschiebt die Abwägung gegen mögliche Risiken der Impfung in die entgegengesetzte Richtung wie bei Senioren. Zudem, sagt der Bremer Virologe Andreas Dotzauer, seien Kinder „keine kleinen Erwachsenen“.

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Man könne etwa die Dosis nicht einfach gemäß des Körpergewichts reduzieren und brauche erst einmal „vernünftige Studiendaten von Kindern“. Die gebe es aber bisher nicht.

Ein Kind erhält eine Schutzimpfung in den Oberarm (Symbolbild).
Zur Coronaimpfung auch von Kindern fehlen bisher ausreichende Studien (Symbolbild).

© Karl-Josef Hildenbrand/picture alliance

Eine drittes Argument für eine Priorisierung jüngerer Erwachsener ist, dass sie es sind, die die Wirtschaft am Laufen halten. In Indonesien wurde dies ganz offiziell so ausgesprochen. In Deutschland standen von Anfang an die Rettung von Leben und die Kapazitätsgrenzen des Gesundheitssystems im Vordergrund. Hajo Grundmann, Leiter des Instituts für Infektionsprävention der Uni Freiburg, hält die Diskussion deshalb für verfrüht.

Die Zahlen auf den Intensivstationen seien „gegenwärtig noch zu hoch“. Es sei „sinnvoll die Priorisierung, mit dem Ziel Personen, die ein hohes Risiko haben, schwere Verläufe zu entwickeln, beizubehalten“.

In einer durch das Science Media Center organisierten Pressekonferenz fragte die Moderatorin kürzlich mehrfach die Experten, ob nicht Folgendes sinnvoll wäre: die wahrscheinlich risikoärmeren RNA-Impfstoffe prioritär Jüngeren zu geben, bei denen die Risikoabwägung wegen der geringeren Wahrscheinlichkeit schwerer Verläufe anders aussehe als bei Älteren.

Einige Gruppen sind nur schwer erreichbar

Niemand wollte dies klar beantworten. Sowohl das StiKo-Mitglied Christian Bogdan von der Uni Erlange als auch der Münsteraner Epidemiologe André Karch betonten aber, dass die Risikogruppen noch gar nicht ausreichend geschützt seien. Es sei notwendig, jetzt Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um weiterhin „der Risikopopulation Zugang zu Impfstoff zu ermöglichen“.

Als Gründe für die zunehmend schwere Erreichbarkeit dieser Zielgruppe nannte Karch etwa lange Wege zum Impfzentrum in ländlichen Gebieten. Es gehe aber auch um „Personen, die nicht mehr aktiv kommen, sondern erreicht werden müssen“.

Es könnte also eine andere politisch motivierte Priorisierung bevorstehen: eine, bei der es nicht mehr primär um Impfangebote geht, sondern um eine Steigerung der Impfnachfrage – über die Generationen hinweg. In den USA etwa wird dieses Problem bereits offen angesprochen und angegangen.

Lokal und regional versuchen dort sowohl Behörden als auch Privatinitiativen es längst mit Impf-Anreizen. Diese gehen von Freibier, Gutscheinen und Umsonst-Donuts bis hin zu 100 Dollar auf die Hand.

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