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"Ich bin kein hochherrschaftlicher Prof." Michael Kleinaltenkamp (im Bild) wünscht sich Studierende, die den Mut haben, mit ihm in Kontakt zu treten.

© Mike Wolff

Gute Profs, gute Studis: „Ein gelungenes Seminar braucht Querschläger“

Mitreißend reden, kritisch nachfragen, Bourdieu lesen: Was gute Profs und gute Studis ausmacht. Eine Umfrage an den Berliner Unis zum Semesterstart.

Was zeichnet die ideale Professorin aus – und was den Bilderbuchstudenten? Was ist ein gutes Seminar, und welche Lektüre hat das eigene Denken verändert? Wir haben uns umgehört.

Vivien Petras (36), Professorin für Bibliotheks- und Informationswissenschaft, Humboldt-Universität:

Eine gute Professorin begeistert sich für ihr Fach. Wenn der Prof Spaß hat, machen auch die Studis gut mit. Außerdem versteht sie es, ihre Studierenden zu lesen wie ein Publikum: Das meldet sich auch nur selten um zu sagen, dass es etwas nicht verstanden hat. Hier braucht es Intuition, um auf unausgesprochene Schwächen einzugehen. Gute akademische Lehre braucht Face-to-Face-Kommunikation, und vor allem sollten die Professoren nicht vergessen, wie es ist, Ersti zu sein.

Vivien Petras.
Vivien Petras.

© Anna-Lena Scholz

Der ideale Student sollte die Universität allerdings auch nicht als Dienstleistungsunternehmen verstehen. Wir servieren keine Häppchen, sondern fordern analytisches Denken ein. Wir wollen neugierige Studis, die kritisch nachfragen, die mehr als die Pflichtlektüre lesen, die ihr Wissen teilen! Meine Motivation, Wissenschaftlerin zu werden, verdanke ich einem Professor, bei dem ich im dritten Semester Hilfskraft war. Er blühte auf, wenn ich ihm widersprach: Er würdigte mein kritisches Denken. Eine Buchempfehlung? Howard Becker: „Writing For Social Scientists“ – nimmt nicht nur Sozialwissenschaftlern die Angst vor dem weißen Blatt!

Tobias Wandrei, Student der Sozialwissenschaften: "Wenig Angst haben"

Tobias Wandrei (22), Student der Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität: 

Ich komme aus einem 120-Seelen-Dorf, bin ohne akademischen Hintergrund, und meine Eltern konnten mir nicht helfen, mich im geisteswissenschaftlichen Unileben einzufinden. Von meiner ersten Vorlesung – es ging um soziologische Theorie – war ich sofort begeistert, weil der Professor so redegewandt war und sein Wissen aus dem Handgelenk zu schütteln schien. Manche Profs reißen einen allerdings inhaltlich mit, haben im persönlichen Kontakt aber eine arrogante Attitude – etwas, was ich von Dozenten aus dem Mittelbau nicht kenne.

Tobias Wandrei.
Tobias Wandrei.

© Anna-Lena Scholz

Je weniger Angst man hat, umso eher traut man sich, mitzuarbeiten. Manchmal fehlt uns auch einfach die Zeit für eine perfekte Seminarvorbereitung, schließlich müssen wir nebenbei auch noch Geld verdienen.

Gute Seminare bestehen für mich nicht nur aus Textreproduktion, sondern aus kritischem Nachdenken. Neue Medien wie Facebook muss ein Professor dafür nicht unbedingt verwenden, Overhead-Folien sind allerdings ein bisschen antiquiert. Ich habe mich schon immer für Gerechtigkeitsfragen interessiert. Einiges Faktenwissen aus dem ersten Semester habe ich wieder vergessen, aber die erlernte Reflexionsfähigkeit bleibt. Und im Studium geht es doch auch darum, seine Persönlichkeit zu bilden, oder? Ein Buch, das mich inspiriert hat: Pierre Bourdieus „Die feinen Unterschiede“.

Michael Kleinaltenkamp, BWL-Professor: "Inhalten eine Portion Raab beimischen"

Michael Kleinaltenkamp (57), Professor für Business- und Dienstleistungsmarketing, Freie Universität: 

Aus den Augen eines Marketingforschers haben die Studierendengruppen unterschiedliche Bedürfnisse. Die jungen Bachelors kann ich anfangs bei ihrem eigenen Kaufverhalten abholen, bevor wir theoretische Reflexionen darüber erarbeiten. Im Master steht das eigenständige wissenschaftliche Arbeiten im Vordergrund, und die Studierenden aus unserem berufsbezogenen Weiterbildungsstudiengang bringen aus ihrem Job bereits viel praktisches Wissen mit. Gute Lehre bedeutet für mich also, zielgruppenorientiert zu unterrichten.

Michael Kleinaltenkamp.
Michael Kleinaltenkamp.

© Anna-Lena Scholz

Ich überlege, mit welchen Voraussetzungen die Studierenden mir gegenübertreten. Und natürlich schadet es nicht, den wissenschaftlichen Inhalten eine kleine Portion Stefan Raab beizumischen. Manche Studierende haben Scheu, mit uns in Kontakt zu treten. Dabei bin ich kein hochherrschaftlicher Prof! Ich würde mir bei den Studierenden mehr Mut wünschen, denn persönlicher Kontakt gehört zur Wissenschaft dazu.

Deswegen ist auch mein Doktorvater immer noch mein Vorbild. Er konnte toll erklären und hatte ein großes Ethos, sein Interesse am Stoff weiterzugeben. Mein Geheimtipp, um ein verschlafenes Seminar in Gang zu bringen: Körpersprache! Auf die Leute zugehen, sie direkt ansprechen – das wird immer honoriert.

Monika Eisenmann, Mathematik-Studentin: "Es nervt, wenn alle schweigen"

Monika Eisenmann (22), Studentin der Mathematik, TU Berlin:

Seit zwei Semestern habe ich einen kleinen Rollenwechsel vorgenommen: Ich bin Tutorin und unterrichte Mathematik für Ingenieure. Jetzt stehe ich selbst vorne und frage mich: Was kommt eigentlich gut an? Plötzlich bin ich genervt, wenn alle schweigen oder sich immer nur dieselbe Person meldet. Dabei weiß ich ja selbst, dass man manchmal etwas einfach nicht versteht.

Monika Eisenmann.
Monika Eisenmann.

© Anna-Lena Scholz

In meinem ersten Semester habe ich gedacht, meine Fragen seien doof. Zu Hause habe ich dann noch mal alles nachgearbeitet. Umso schöner ist es, wenn man sich durch eine Hausaufgabe durchgekämpft hat und die volle Punktzahl bekommt! Ich glaube, der perfekte Prof sieht für jeden anders aus. Die Kunst ist, uns selbst für langweilige Themen interaktiv zu begeistern.

Anna Seibt, Literatur-Studentin: "Ein Seminar braucht Querschläger"

Anna Seibt (24), Studentin der Angewandten Literaturwissenschaft, Freie Universität: Am Anfang des Studiums verwechselt man Uni und Schule – als ginge es nur darum, Punkte zu sammeln! Als kleine Bachelor-Studentin dachte ich über eine Professorin: Diese Koryphäe darf ich doch nicht belästigen! Später habe ich gemerkt, dass sie unheimlich nett ist. Ein gelungenes Seminar braucht mutige Studierende und ein paar Querschläger.

Perfekt wäre, wenn alle das Selbstvertrauen hätten, kritisch Stellung zu beziehen und sich von beleseneren Leuten nicht verschrecken zu lassen. Ich mag es, wenn die Lehrenden keine Scheuklappen aufhaben und uns auch auf Veranstaltungen außerhalb der Universität hinweisen: Vorträge, Lesungen, Theater. Toll finde ich auch, wenn die Profs Hausarbeiten betreuen, die über das Seminarthema hinausgehen. Obwohl konkrete Poesie eher in der Deutschen Philologie beheimatet ist, durfte ich in der Theaterwissenschaft eine Hausarbeit dazu schreiben.

Als ich 17 war, habe ich im Regal meiner Eltern ein Buch entdeckt: „Anna Blume und ich“. Damals habe ich nicht viel von Kurt Schwitters’ Kunst verstanden, und das begründet zum Teil meine Studienwahl: Ich wollte gern hinter die Dinge steigen. Zur Lektüre empfehle ich allerdings eine Erzählung von Thomas Bernhard: „Wittgensteins Neffe“ – ein toller Text auf dem schmalen Grat zwischen melancholisch-depressiv und rotzig-frech.

Anne Eusterschulte, Philosophie-Professorin: "Ich war auch zurückhaltend"

Anne Eusterschulte (48), Professorin für Philosophie, Freie Universität Berlin: Ich sehe mich heute noch als junge Studentin und erinnere mich gut an ein einschneidendes Erlebnis in meiner Studienzeit: als Lehrende mich plötzlich mit Namen ansprachen. Recht früh durfte ich zu einer Vorlesung über die Philosophie der Antike ein Tutorium leiten. Als Persönlichkeit bemerkt werden, Verantwortung übernehmen dürfen – das war großartig. Heute bemühe ich mich ebenfalls, Studierende kennenzulernen – ihre Namen, oder mir zu merken: Das ist die Studentin mit dem Kind, das ist der aus der Filmbranche. Natürlich freue ich mich über Studierende, die mutige Thesen wagen. Aber ich nehme auch die stillen Leute wahr und bin bereit, abzuwarten, denn ich war früher selbst sehr zurückhaltend.

Anne Eusterschulte.
Anne Eusterschulte.

© Anna-Lena Scholz

Mir fällt auf, dass wir heute immer unter Zeitknappheit leiden, auch die Studierenden. Ich wünsche mir mehr Muße! Deswegen räume ich auch Gesprächszeit außerhalb der getakteten Sprechstunde ein. Zum Semesterstart empfehle ich „Weisen der Welterzeugung“ von Nelson Goodman, der über Formen der Weltaneignung schreibt. Ein diskussionswürdiger Klassiker für ein breites Fächerspektrum!

- Alle Protokolle wurden aufgezeichnet von Anna-Lena Scholz

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