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Wissen: Hai frisst Krokodil frisst Fisch

Im Gestein erhielt sich eine 290 Millionen Jahre alte Nahrungskette

Der Fund ähnelt ein wenig einer Matroschka, bei der ein russischer Künstler in einer Holzpuppe eine kleinere Holzpuppe versteckt, in der wiederum sich eine noch kleinere Puppe befindet. In diesem Fall war vor 290 Millionen Jahren allerdings kein Künstler, sondern der Zufall am Werk: Aus unbekannten Gründen starb damals ein kleiner, rund einen halben Meter langer Hai, der gerade ein Amphibium gefressen hatte, das wiederum einen Fisch im Bauch hatte. Und weil der tote Hai samt Beute auch noch versteinerte, ist er heute eine wissenschaftliche Sensation.

„Eine solche dreistufige Nahrungskette ,Hai frisst Amphibium frisst Fisch‘ hat bisher noch niemand gefunden“, sagt Jürgen Kriwet vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart. Allerdings waren bei der Sensation auch der Zufall und das gute Gedächtnis von Florian Witzmann vom Museum für Naturkunde in Berlin erheblich beteiligt. Witzmann hatte seine Doktorarbeit über Amphibien geschrieben, die vor 290 Millionen Jahren lebten und damals sozusagen „Oberräuber“ waren, die kaum Feinde hatten. Schließlich wurde das Amphibium Cheliderpeton latirostre damals einige Meter lang und ähnelte verblüffend den heutigen Krokodilen, die es in jener Zeit noch nicht gab.

Während seiner Doktorarbeit hatte Florian Witzmann irgendwo die versteinerten Überreste dieses Amphibiums gesehen, die in einem Hai zu stecken schienen. Um herauszufinden, ob damals tatsächlich Haie die Oberräuber fraßen, mussten die Forscher nach diesem seltenen Fund fahnden. Im Keller des Pfalzmuseums in Bad Dürkheim wurden sie schließlich fündig. Wie in vielen anderen Museen in Deutschland und anderen Ländern, lagern auch dort viele Funde, die niemand bisher genau angeschaut hat, weil dafür kein Geld vorhanden ist. Immerhin verhalf das gute Gedächtnis von Witzmann dazu, eine dieser Sensationen aus dem Keller ans Licht zu holen.

Am Museum für Naturkunde in Berlin untersuchten der damals noch dort forschende Jürgen Kriwet und Florian Witzmann gemeinsam mit Stefanie Klug dann die ungefähr zwanzig Zentimeter lange Steinplatte genau unter dem Mikroskop. Ganz vorne befinden sich die versteinerten Überreste des Schädels und der Schulterknochen einer kleinen Haiart mit dem wissenschaftlichen Namen Triodus sessilis. Vom Hinterleib des Tieres ist dagegen nichts erhalten geblieben. Direkt hinter dem Haischädel liegen auf der Höhe des Schultergürtels die versteinerten Knochen einer Jugendform der damaligen Riesenamphibien im Krokodil-Look. Hinter dieser ungefähr 15 Zentimeter langen Larve sieht man den Schädel einer zweiten Larve der gleichen Art.

Heutige Haie haben einen extrem sauren Magen, der praktisch jede Beute von Delfinen und Fischen bis hin zu Blechdosen schnell und vollständig auflöst. Da die Forscher an den Knochen der Amphibienlarven keine solchen Ätzspuren entdecken konnten, scheint der Tod den Hai sozusagen auf frischer Tat ertappt zu haben, offensichtlich hatte er seine Beute erst kurz vorher geschluckt. Wie die heutigen Hechte muss der Hai damals regungslos im Wasser des Humberg-Sees gelauert haben, der vor 290 Millionen Jahren Teil des Saar-Nahe-Beckens war, das sich im heutigen Saarland befindet. Als sich ein Jungtier der Riesenamphibien unvorsichtig näherte, hat der Hai dann offenbar blitzschnell zugeschlagen. Dabei überraschte er die Amphibien wohl von hinten, denn beide Larven hat der Hai mit dem Schwanz voraus geschluckt. Kurz nach seiner ersten Beute muss der Hai dann die zweite Larve erwischt haben, die in der Versteinerung heute auf der Höhe des Schultergürtels liegt.

Diese zweite Larve ist die eigentliche Sensation des Fundes. An deren Körper erkannten die Wissenschaftler bei ihrer Untersuchung sehr deutlich die Knochen eines kleinen Fisches und vor allem die Stacheln an den Flossen, mit denen sich dieser Fisch gegen Feinde wehrte. In dem versteinert vorliegenden Fall vor rund 290 Millionen Jahren jedoch half die Stachelabwehr dem Fisch wenig: Er landete im Maul der Amphibienlarve, die wiederum kurze Zeit später vom Hai erwischt wurde.

Während Paläontologen normalerweise aus der Form der Zähne oder versteinerten Kotresten mühsam versuchen, das Puzzle einer Nahrungskette zusammenzustellen, haben sie diesmal ein Gesamtbild der Räuber-Beute-Beziehung am Übergang zwischen den Erdaltern Karbon und Perm erhalten. „Und das liefert durchaus einige Überraschungen“, sagt Jürgen Kriwet, der im Herbst vom Berliner ins Stuttgarter Museum für Naturkunde wechselte.

So wusste bisher niemand, dass zumindest die Larven der damaligen Oberräuber selbst Haien zum Opfer fielen. In heutigen Rochen in südamerikanischen Flüssen finden Forscher zwar die Überreste von Fischen und Schlangen, aber nie Frösche oder andere Amphibien. Vermutlich vertragen die Haie die oft giftige Haut der Frösche nicht. Vor 290 Millionen Jahren hingegen hatten sie gegen eine Amphibienmahlzeit anscheinend nichts einzuwenden. Roland Knauer

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