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„Wenn diese Freiheit existiert“. Hélène Cixous bei der Hegel-Lecture im Henry-Ford-Bau der Freien Universität.

© Carolin Luise Schmidt/Freie Universität

Hélène Cixous an der FU: Der Schrei der Literatur

„Ay yay!“ Die französische Literaturwissenschaftlerin und Feministin Hélène Cixous beeindruckt an der Freien Universität.

Der Rhythmus des Abends: wie Meeresrauschen. Textfließen. Innehalten. Ein Schluck aus dem Wasserglas. Stille. Und weiter, Textfließen. Was Hamlet mit Celan zu tun habe, könne sie zwar länger ausführen, sagt Hélène Cixous, aber: „Diese Meditation“, habe man sie vorher wissen lassen, solle „nicht länger als sechzig Minuten“ dauern. Sprach’s, und spülte ihren Zuhörerinnen ein Kafka-Zitat ins Ohr, dann Dostojewski, dann Proust.

„Meditation“, das war in der Tat der passende Begriff für die diesjährige Hegel-Lecture an der Freien Universität Berlin. Zum fünften Mal hatte das Dahlem Humanities Center einen illustren Gast in den Henry-Ford-Bau geladen – auch Judith Butler, Homi Bhabha und Slavoj Žižek haben hier bereits mal engere, mal losere Fäden zum Namensgeber der Vortragsreihe geknüpft.

Jetzt also Hélène Cixous. Eine der großen französischen Intellektuellen. Literaturwissenschaftlerin, Autorin, Feministin. Jahrgang 1937. Grazile Gestalt, silbernes Haar, blutroter Lippenstift – französische Eleganz, vor allem im Denken. Der rauschende Ton ihres Vortrags täuscht über ihren analytischen Schneid nicht hinweg. Für die Einladung im Geiste der hegelschen Freiheit bedankt sich Cixous am Beginn, und fügt hinzu: „Wenn diese Freiheit existiert.“

Hélène Cixous geht es um Freiheit

Darum ging es ihr schließlich immer – ob es Freiheit gibt, und für wen. Das Lachen der Medusa, ihr frauenstürmischer Aufsatz von 1975, war ein politisches Manifest gegen das Patriarchat. Cixous wollte den traditionellen Ausschluss der Frau aus Gesellschaft, Literatur und Philosophie nicht einfach umkehren, sondern den Blick auf die Frau selbst verändern. Die griechische Gorgone Medusa, mit Schlangenkopf und irre gefährlichem Blick, wird bei ihr zur Heldin für eine neue Geschichtsschreibung. Glaubt nicht dem Mythos, argumentierte Cixous: Medusa sei gar nicht tödlich. „Sie ist schön und sie lacht.“ Als écriture féminine, weibliches Schreiben, gingen Cixous’ Abhandlungen in die feministische Theoriegeschichte ein. Bis heute ist ihr Werk nur bruchstückhaft ins Deutsche übersetzt. Das ist bedauerlich, auch wenn das die Geschlechterforschung zur nationenübergreifenden Kenntnisnahme genötigt hat.

Cixous spricht vom Dunklen. In literarischen und autobiografischen Szenen bildet sie Todesszenen ab. Cixous selbst ist, wie ihr Freund und Denkgefährte Jacques Derrida, in Algerien geboren. Ihre Mutter stammt aus Osnabrück, und nun liegt sie, im Text der Tochter, als siecher Pflegefall auf dem Sterbebett. „My mother and I, in einem Grenzland zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft“, sagt Cixous in einem Sprachgemisch. Dann trägt sie die Szene zurück zu Hamlet, dem der Tod des Vaters zu Leibe rückt: „Ich sterbe, Horatio.“

„Die Literatur gibt den dunklen Kräften in uns Asyl“

Den Titel ihres Vortrags – „Ay yay! The Cry of Literature“ – ruft sie mehrfach laut in den Saal. „Ay yay yay!“ Schrill, am Ende ganz leise. Cixous behauptet die lebensnotwendige Bedeutung literarischer Sprache – weil diese „den Rhythmus unserer Angst verzaubert“, ihr einen Herzschlag gibt: „Die Literatur gibt den dunklen Kräften in uns Asyl.“ Die Autoren und literarischen Zitate ihrer „Meditation“ fließen unmarkiert in eins und verstärken einander, wie in einer Echokammer. Celan, Proust, Kafka. „Ich weiß nicht, wer schreibt. Bin ich es? Bist Du es, Derrida?“

Die jüngere Literaturwissenschaft beklagt bisweilen das kraftlose Nebeneinander literarischer, philosophischer und politischer Diskurse. Cixous aber verbiegt, was in der Akademie überhaupt als wissenschaftlich tragfähiger Wahrheitsdiskurs gelten darf. „Die Gerüste der Institution zerstücken“, „die Wahrheit vor Lachen biegen“, nannte sie das im Lachen der Medusa.

"Das Lachen der Medusa" war eine Provokation

Dieser Text war damals eine Provokation, auch für viele Feministinnen. Kritikerinnen empfanden das mäandernde Schreiben als unpolitisch und die glühende Affirmation des Weiblichen als essentialisierend. Bestärkte sie nicht den patriarchalen Mythos, die Frau sei eine irrationale Medusenfigur, zuständig für das Emotionale statt die Macht der Ratio? Dabei ist Cixous alles andere als eine Biologistin. Sie nutzt die bisexuelle Frau als Denkfigur, die etablierte Ordnungen stört: „Ihre Libido wird weit radikalere politische und soziale Umgestaltungen bewirken als man sich denken möchte.“ In ihrer Hegel-Lecture reformuliert sie das als „die Wollust und den Terror, sich selbst zu spüren“. Und eben dafür braucht es die Literatur: Hier wohnt der Schrei, mit dem sich die Frau Gehör verschaffen kann. „Mein Körper, er ist hier“, spricht der Cixous-Körper in den Raum. Man kann diesen Satz nicht ernst genug nehmen in Zeiten, in denen das Sexualstrafrecht die Verfügungsgewalt über den weiblichen Körper immer noch zur Disposition stellt.

Paul Nolte, Zeithistoriker und seit kurzem Sprecher des Dahlem Humanities Center, hatte zu Beginn der Veranstaltung gesagt, die intellektuelle Kraft der Hegel-Lecture ebne den Weg aus dem geisteswissenschaftlichen Elfenbeinturm. Das war gut gesagt, stimmte aber nicht. Cixous’ Rede war alles andere als massentauglich, wohl aber ein Glück für die Geisteswissenschaften. Warum nicht einfach dazu stehen?

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