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Welches Gefühl mit einer Erinnerung verbunden ist, hängt von Nervenzellverknüpfungen im Gehirn ab. Forscher arbeiten daran, solche Erinnerungen zu löschen, die Ursache für posttraumatische Belastungsstörungen sind.

© ALLEN INSTITUTE FOR BRAIN SCIENCE

Hirnforschung: Mit Xenon-Gas gegen das Trauma

Leidvolle Erinnerungen an Krieg oder Unfall könnten mit Hilfe von Medikamenten gelöscht werden - oder mit dem Betäubungsgas Xenon, wie neue Experimente bei Mäusen nahelegen.

Ob es der Krieg in Syrien oder die Vergewaltigung mitten in Deutschland ist, unzählige Menschen leiden unter traumatischen Erinnerungen. Ein Medikament, das solche Erinnerungen vergessen machen könnte, wäre für Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung ein Segen. Mit Hilfe des Betäubungsgases Xenon scheint das möglich zu sein.

Eine Dosis ausreichend

Im aktuellen Fachblatt „Plos One“ stellt Edward Melloni, Psychiater an der Universität Harvard, ein Experiment mit Mäusen vor, denen mit kurzen Elektroschocks Angstreaktionen beigebracht wurden. „Eine einzige Dosis des Gases reicht aus, um diese Angstreaktionen deutlich und langanhaltend, für bis zu zwei Wochen, zu reduzieren“, sagt Meloni. „Es war, als ob die Mäuse sich nicht mehr erinnern konnten, dass sie Angst haben sollten.“

Die Forscher nutzen ein Prinzip, dass Neurobiologen in den letzten Jahren entdeckt haben: „Wenn eine Erinnerung erneut abgerufen wird, wird sie stabilisiert, aber dazwischen ist sie für einen Moment labil“, sagt Dorothea Eisenhardt von der Freien Universität Berlin. „In dieser Rekonsolidierungsphase kann die Erinnerung, mit Hilfe von Medikamenten manipuliert und auch gelöscht werden.“ Die Neurobiologin entschlüsselt mit Hilfe von Bienen, wie Nervenzellen eine Erinnerung, zum Beispiel an den Ort oder Geruch einer Blüte, mit einer positiven Assoziation verknüpfen.

Xenon ist nicht das einzige Medikament, das infrage kommt, um Erinnerungen zu ändern oder zu löschen. Zebularin ist beispielsweise ein Stoff, der das Ein- und Auspacken von Genen beeinflusst. Forscher der Universität von Alabama in Birmingham hatten Ratten Angst vor einem Elektroschock gelehrt. Wenn die Forscher Zebularin in den Hippocampus, den Ort der Erinnerungsbildung im Hirn, spritzten, hatten die Tiere ihre Angst tags darauf vergessen. Valérie Doyère vom Centre national de la rechereche (CNRS) in Paris experimentiert mit einem Wirkstoff namens U0126. Wird der in die Amygdala gespritzt, wo das Hirn Gefühle wie Angst generiert, wird offenbar der Prozess gestört, mit dem das Gehirn die gelernte Verknüpfung einer Erinnerung mit einem positiven oder negativen Gefühl verstärkt oder aufrechterhält. Deshalb muss ein Medikament, das diese Verknüpfung manipulieren soll, möglichst genau im Moment der Erinnerung verabreicht werden.

Anders als andere Medikamente hat das Gas Xenon den Vorteil, dass es sehr schnell ins Hirn hinein- und hinausgeht. „Xenon kann für kurze Zeit aber genau dann gegeben werden, wenn die Erinnerung reaktiviert wird“, sagt Meloni.

Gefühl auf Knopfdruck geändert

Um zu wissen, welche Medikamente für welche Erinnerung am besten wirken könnten, müssen allerdings die Nervenzellnetzwerke im Gehirn bekannt sein, die die Erinnerungen mit positiven oder negativen Gefühlen verknüpfen. In der aktuellen Ausgabe des Fachblatts „Nature“ beschreibt die Forschergruppe um Susumu Tonegawa vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge ein Experiment, bei dem sie bei Mäusen mit Hilfe eines gentechnischen Tricks eine Erinnerung an einen bestimmten Ort mit einer emotionalen Reaktion verbanden. Indem sie einzelne Nervenzellen im Hippocampus einschalteten, konnten sie die zu einer Erinnerung gehörende positive oder negative Emotion nach Belieben ändern.

Ethische Bedenken

Ob sich das menschliche Gehirn mit Medikamenten ebenso einfach manipulieren lässt, ist noch offen. Oder ob es überhaupt Substanzen gibt, die nur einzelne Erfahrungen löschen können, ohne das übrige Gedächtnis eines Patienten zu beeinträchtigen.

Selbst wenn es irgendwann die nebenwirkungsfreie Vergessens-Pille geben sollte, stellt sich die Frage: Verschwinden beim Patienten mit der Erinnerung an die Ursache seines Traumas auch wirklich die posttraumatischen Folgen? Und wären solche Gedächtnismanipulation ethisch vertretbar? Die Folgen könnten erheblich sein, wenn sich Menschen die schlechten Erinnerungen einfach wegspritzen lassen können wie Falten mit Botox. „Alle Erinnerungen, auch die schmerzvollen, erfüllen einen wichtigen Zweck. Sie können uns helfen, die gleichen Fehler nicht zu wiederholen“, sagt der Gedächtnisforscher Joe Tsien.

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