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Hochschul-Medizin: Einschnitte an der Charité

Notfall-Versorgung: Karl-Max Einhäupl, der Chef der Uniklinika will mehrfach vorhandene Abteilungen teilweise verkleinern.

Schon zu seinem Amtsantritt kündigte der Vorstandschef der Charité, Karl Max Einhäupl, an, das Universitätsklinikum stehe vor „erheblichen Einschnitten“. Sparauflagen und hohe Investitionskosten machen Europas größtem Universitätsklinikum zu schaffen, die veraltete Infrastruktur sorgt Jahr für Jahr für ein immenses Defizit. Und tatsächlich handelte Einhäupl bei einem Problemfall für das Uniklinikum schnell: Auf dem Forschungscampus Buch löste er die umstrittene enge Kooperation mit dem Klinikkonzern Helios auf und überführte sie in eine neue, projektbasierte Form der Zusammenarbeit.

Doch wie könnte ein neues Konzept für die gesamte Charité aussehen? Immer stärker deutet sich jetzt an, dass die Charité mit dem derzeitigen Konzept brechen will, an allen drei großen Standorten prinzipiell alle wichtigen Disziplinen in Forschung, Lehre und Krankenversorgung abbilden zu wollen. Das sagte Einhäupl gegenüber dem Tagesspiegel. Auch die geplanten Investitionen am Bettenhochhaus in Mitte und beim Klinikum in Steglitz stehen auf dem Prüfstand.

Neben dem kleineren Buch ist die Charité an den großen Campi in Mitte, Steglitz sowie im Wedding vertreten. Vor kurzem hatte Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner Veränderungen an der Charité eingefordert. Zöllner, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Charité ist, schien zwar an den Standorten der Charité nicht zu zweifeln – sehr wohl aber daran, dass alles an allen Standorten angeboten werden muss: „Entscheidend ist, dass wir eine Organisationsform finden, um medizinische Forschung auf Weltspitzenniveau durchzuführen“, sagte Zöllner. „Das ist die Messlatte.“

Auch Einhäupl sagt jetzt, seine Hauptaufgabe sei, „dass die Charité in ihren wissenschaftlichen Leistungen die Nummer eins in Deutschland bleibt“. Elf Sonderforschungsbereiche sind derzeit an der Charité angesiedelt. Ein Großcluster der Forschung ist im Rahmen des Elitewettbewerbs an die Charité gekommen. 129 Millionen Euro an eingeworbenen Drittmitteln hat die Charité für 2008 in der Bilanz. Wäre die Charité eine eigenständige Universität, würde sie die drei Berliner Universitäten mit dieser Bilanz klar übertreffen. „Diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen und die Leistungen an die internationale Messlatte anzuheben – in diesem Punkt ist sich der Charité-Vorstand mit Wissenschaftssenator Zöllner einig“, sagt Einhäupl.

Was könnte sich ändern, wenn die Forschungsleistung zum entscheidenden Maßstab für die Charité-Planung wird? Einhäupl betont zwar: „Die Erhaltung von drei bettenführenden klinischen Standorten und des Forschungsstandortes in Buch ist für die Charité ein nicht zu überschätzender Vorteil im internationalen Wettbewerb.“ Das ist eine wichtige Aussage für die stets um ihre Existenz fürchtenden Mediziner der Charité am Standort Steglitz. Gleichwohl sagt auch Einhäupl: „Es müssen nicht drei gleichartige Standorte sein. Es sollen jedoch drei gleichwertige Standorte sein.“ Was ist damit gemeint?

Einhäupl setzt damit eine Politik mit anderen Akzenten fort, die schon 1997 und 2003 nach der schrittweisen Fusion der Universitätsklinika der Freien Universität und der Humboldt-Universität begonnen hat: Bisher ist die Charité in 17 Zentren gegliedert, in denen insgesamt 107 Kliniken und Institute zusammenarbeiten. Das Problem mit den drei Standorten wurde so gelöst, dass wichtige Disziplinen wie die Kardiologie und die Chirurgie an allen drei Standorten vertreten waren, aber mit einer unterschiedlichen Ausstattung. Diese Tendenz wird sich verstärken und wahrscheinlich auch die 17 Zentren verändern.

Einhäupl erläutert die Lösung an einem Modell. Bisher bildete das eigentliche Zentrum in einer der Disziplinen das „Standbein“ und wurde mit 60 Betten ausgestattet. Das „Spielbein“ musste sich mit 30 Betten begnügen, bot aber trotzdem mit Forschung, Lehre und Krankenversorgung alles an, was zu einem Universitätsklinikum gehört. Anstelle des Konzepts von „Standbein und Spielbein“ spricht Einhäupl jetzt von einem Konzept von Zentren und „Portalkliniken“.

Er verdeutlicht das am Beispiel der Neurochirurgie: Sie hat zukünftig ihr Zentrum in Forschung, Lehre und Krankenversorgung in Mitte und wird dort mit den meisten Betten ausgestattet. An den anderen Standorten in Wedding und Steglitz – den künftigen „Portalkliniken“ – sind lediglich Notfallversorgung und Ambulanzen zu gewährleisten. Ein interdisziplinärer Bettenverbund innerhalb der Charité soll dafür sorgen, dass im Bedarfsfall Patienten in der Neurochirurgie jederzeit an jedem Standort aufgenommen werden können, zu komplexen Eingriffen jedoch nach Mitte verlegt werden.

Ein weiterer Punkt der Neuordnung: In der Charité der Zukunft wird nicht mehr jede Klinik mit der vollen akademischen Ausstattung rechnen können. Die Ausstattung wird sich wesentlich nach den Forschungsleistungen und den Schwerpunkten richten. Herausragende Praktiker, die in der Forschung nicht die Leistungen erbrächten, die man bei der Berufung erwartet hatte, bekämen keine oder nur eine geringere akademische Ausstattung. Dennoch könne es in den „Portalkliniken“ „hervorragende Versorgungsleistungen für die Kranken geben“. Auch seien Chefärzte, die sich neben der Patientenversorgung ganz auf die praktische Lehrtätigkeit für die Studenten konzentrierten, für die Charité wertvoll, selbst wenn sie keine Forschungsausstattung hätten. Auf diese Weise könne sich ein so großes Universitätsklinikum wie die Charité „die Flexibilität als Chance erhalten“. Denn die hohen Investitionskosten werden immer mehr zum Problem der Charité und der Stadt.

Schon kurz nach der Wiedervereinigung wurde über die Sanierung des Betten-Hochhauses in Mitte gesprochen. Zuletzt war unter der Regie von Detlev Ganten nicht mehr von einem Abriss des Betten-Hochhauses die Rede, sondern von einer Erneuerung der Fassade und einer Aufstockung. Die Aufstockung dürfte sich als zu teuer erweisen. Jetzt sind Zahlen für die Sanierung des Betten-Hochhauses in Höhe von 129 Millionen Euro nach Einschätzung der Senatsverwaltung im Gespräch. Von Sanierungskosten in Höhe von mehr als 200 Millionen sprechen Architektenbüros. Unter Einhäupl kommen alle diese Überlegungen erneut auf den Prüfstand. Obwohl auch Einhäupl die hohe Funktionalität des Betten-Hochhauses anerkennt, lässt er selbst die Möglichkeit eines Neubaus prüfen.

Auch die dreistelligen Millionenbeträge für die Sanierung des ehemaligen FU-Klinikums Steglitz, das in den 60er Jahren errichtet worden ist, lässt Einhäupl überprüfen. Die Entscheidungen werden voraussichtlich während der Aufsichtsratssitzung im Mai getroffen.

Die Charité leidet immer noch unter den Folgen der Sparauflagen von 2002. Der Staatszuschuss wird demnach ab 2010 jährlich 98 Millionen weniger betragen als 2002. Die Einsparungen addierten sich schon jetzt auf 362 Millionen Euro, sagte Einhäupl. Außerdem muss sich die Charité mit einem Defizit im laufenden Betrieb herumschlagen, das auf über 50 Millionen Euro geschätzt wird. Einhäupl nennt als Ziel: „Die Charité muss in kürzester Zeit in der Lage sein, in der Krankenversorgung eine schwarze Null zu schreiben. Das ist aber nicht in einem oder zwei Jahren zu schaffen.“ Es sei sehr schwer, ein so hohes Defizit ohne Minderung der Personalkosten abzuarbeiten. „Als Berliner Bürger bin ich froh, dass wir in Berlin nicht betriebsbedingt kündigen können, als Leiter der Charité weiß ich jedoch, wie schwer es ist, unter diesen Bedingungen unsere Ziele zu erreichen.“

Bleibt der Streit der Charité mit den privaten Helios-Kliniken um die Trennungsrechnung für Forschung und Lehre gegenüber der Krankenversorgung. Der Streit hat nicht zu einem Ende der Kooperation in Berlin-Buch, dem vierten Standort der Charité, geführt. Die Charité ist vielmehr auf die Zusammenarbeit mit dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin angewiesen, und das MDC wiederum arbeitet mit Helios zusammen. Schwerpunkt für die Dreierkooperation ist eine große Studie zu Volkskrankheiten wie Schlaganfall, Krebs und Demenz. 50 000 Probanden sollen vom Max-Delbrück-Centrum betreut werden. Dazu braucht das MDC die Hilfe der Charité, aber auch die Hilfe der Herz-Kreislauf-Spezialisten in den Helios-Kliniken.

Beim städtischen Krankenhauskonzern Vivantes setzt Einhäupl auf eine enge Kooperation: „Die Vorstände beider Unternehmen arbeiten mit Hochdruck daran, die Labors an einem Ort zusammenzuführen und gemeinsam zu betreiben.“

Uwe Schlicht

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