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Studenten-Protest an Jenaer Universität

© - Foto: dpa

Hochschulen: Der bessere Bachelor

Die Universitäten sollen Fehler bei der Bologna-Reform korrigieren, verlangen die Politiker. Zwang ausüben auf die Hochschulen wollen sie aber nicht.

Die Studenten haben gestreikt, zu Tausenden protestierten sie gegen Auswüchse bei der Neuorganisation der Studiengänge im Zeichen von Bachelor und Master. Wird der Streik bald wieder vergessen sein, oder wird er zum Auslöser einer Reform der Reform?

Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) möchte am heutigen Dienstag am runden Tisch mit Hochschulrektoren, Studenten und Politikern über die Folgen der Studienreform diskutieren. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat bereits nach einem Gespräch mit Vertretern der streikenden Studenten eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Noch vor Jahresende im Dezember wollen sie Empfehlungen für das Plenum der KMK vorlegen. In welche Richtung könnte es gehen?

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil hat am gestrigen Montag gefordert, für jeden Bachelorabsolventen, der in den Master wolle, müsse es dort auch einen Platz geben. Weitreichender ist die Forderung, den Master statt des Bachelors zum Regelabschluss zu machen. Das hatten nicht nur die protestierenden Studierenden verlangt, sondern auch der Hochschulverband, die konservative Standesvertretung der Professoren und Privatdozenten. Dass die Kultusminister der Länder ihren einstigen Beschluss revidieren, ist aber unwahrscheinlich. Sie fürchten, dass der Master als Regelabschluss zurück zu den alten überlangen Studienzeiten von früher führen könnte.

Für die Forderung des Hochschulverbandes „solange von einer weiteren Einführung gestufter Studienmodelle abzusehen, bis der Nachweis erbracht ist, dass die neuen Studiengänge den herkömmlichen Studiengängen überlegen sind“, wollen die Wissenschaftsministerien ebenfalls nichts wissen. Diese Forderung würde der Umstellung auf Bachelor und Master jeden Druck nehmen und das einmal verabredete Bologna-Ziel, bis zum Jahr 2010 die Umstellung zum größten Teil zu schaffen, auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben.

Kein Wunder, dass einflussreiche Wissenschaftspolitiker den Hochschulverband scharf kritisieren. Josef Lange, Staatssekretär im CDU-regierten Niedersachsen, sagt unumwunden: „Der Hochschulverband betreibt ein ganz gefährliches Spiel.“ Statt die Reform einfach auszusetzen, müssten die Hochschulen „den Ehrgeiz eines Professors, in den Modulen unbedingt vertreten zu sein, so bremsen, so dass die Module studierbar bleiben.“ Sonst werde ein zentrales Ziel der Bachelorstudiengänge unterlaufen: Die Studierenden sollen exemplarisch lernen.

Auch Jan-Hendrik Olbertz, Wissenschaftsminister in Sachsen-Anhalt (parteilos) und Koordinator der Hochschulpolitik der unionsregierten Länder, kritisiert: „Viele Hochschulen sind der großen Verführung erlegen, mit Diplomstudiengängen alter Art fortzufahren und sich auf das neue System mit Bachelor und Master nicht wirklich einzustellen.“ Da tauchten „wie aus dem Ozean die alten Curricula wieder auf“. Die zeitliche Verdichtung des Bachelor- und Masterstudiums verlange aber zwingend, den Stoff neu zu definieren: „Dieser Mühe müssen sich die Hochschulen unterziehen.“

Bei der SPD sieht man das ähnlich. „In den Modulen muss nicht jedes kleine Spezialgebiet abgeprüft werden. Die zu hohe Prüfungsdichte hat zur Verschulung und ungeheurem Arbeitsaufwand geführt“, sagt Staatssekretär Michael Ebling aus Rheinland-Pfalz. „Perspektivisch brauchen wir ein besseres Verständnis des lebenslangen Lernens.“ Wenn die Hochschulen sich für spätere Weiterbildung öffneten, spreche auch vieles dafür, das Studium „in überschaubaren Zeiten abzuschließen“.

Ebling, der mit Josef Lange nach dem Studentenprotest die Bachelor-Master-Diskussion in der Kultusministerkonferenz vorbereitet, glaubt, dass die meisten Fachbereiche die Reform „beherzt und kreativ“ umgesetzt haben. Dort, wo es „schlechte und kleinteilige Lösungen“ gegeben habe, werde der Streik der Studierenden „eine überwiegende Bereitschaft zur Korrektur“ ausgelöst haben.

Wird sich bei den zeitlichen Vorgaben etwas ändern? SPD-Generalsekretär Hubertus Heil hat am Montag mehr sieben- oder achtsemestrige Bachelor-Studiengänge gefordert. In der Tat wäre das möglich. Nach dem Beschluss der Kultusminister von 2005 müssen Bachelorstudiengänge nicht nur sechs Semester lang sein, sondern dürfen auch sieben oder acht Semester dauern. Die Dominanz von dreijährigen Bachelorstudiengängen ist eine alleinige Vorgabe der Hochschulen und auch mancher Akkreditierungsagenturen. So gibt es bundesweit 3886 Bachelorstudiengänge mit einer Dauer von sechs Semestern gegenüber 982 Bachelor-Studiengängen mit sieben Semestern und 262 Studiengängen mit acht Semestern.

Warum setzen die Universitäten überwiegend auf sechssemestrige Bachelor? Sie sehen den Maßstab ihrer Profilierung im Master. Wenn die Gesamtdauer eines Studiums fünf Jahre nicht überschreiten darf und dem Master die maximale Dauer von zwei Jahren eingeräumt wird, dann bleiben für den Bachelor nur sechs Semester übrig. So mussten die Soziologen der TU Darmstadt erst unlängst den geplanten achtsemestrigen Bachelor auf ein sechssemestriges Programm umschreiben, berichtet der Eliteforscher Michael Hartmann. Die Hochschulgremien und die Uni-Leitung hätten eine durchgängige Orientierung am von den Ingenieurwissenschaften favorisierten Modell gewünscht. Danach kann der Bachelor ohnehin nicht in den Beruf führen, so dass für ihn sechs Semester reichen. Die Folge dieser Haltung ist ein enormer Zeitdruck im Bachelor.

Dabei gibt es pragmatische Lösungen. In Spanien müssen sich die Studierenden nach dem sechsten Semester entscheiden: Wenn sie direkt nach dem Bachelor in den Beruf wollen, können sie insgesamt acht Semester im Bachelor studieren. Wählen sie den Master als Abschluss, dann schließt sich an den sechssemestrigen Bachelor das viersemestrige Masterstudium an. Diese Lösung gab es auch an den inzwischen abgeschafften Gesamthochschulen in Nordrhein-Westfalen, die nun Unis sind und das dominante Bachelor–Modell der Unis übernahmen.

Wäre der spanische Weg eine Lösung für Deutschland? Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Olbertz hält sich zurück: Es handle sich um „eine intelligente Lösung“. Der niedersächsische Staatssekretär Josef Lange wird deutlicher: „Die deutschen Hochschulen können das nicht, weil sie die Binnendifferenzierung nicht beherrschen. Deutsche Hochschulen können nur entweder oder. Eigentlich müsste man das spanische Modell flächendeckend einführen.“

Änderungen am Bachelor sind in der Sicht der Politiker aber die alleinige Aufgabe der Hochschulen. So wünscht man sich in Nordrhein-Westfalen Nachbesserungen, wie es aus dem Wissenschaftsministerium heißt: Man wolle mehr Flexibilität für einen Auslandsaufenthalt, die wechselseitige Anerkennung der Bachelorabschlüsse für die Qualifikation zum Masterstudium und eine Verringerung der hohen Stoffdichte in einigen Studiengängen. Dass die Politiker Prozentangaben in Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen vorgeben, erscheint dem Ministerium aber „nicht erfolgversprechend“, sagt ein Sprecher. „Korrekturen anzubringen ist in erster Linie eine Forderung an die Hochschulen.“

Auch in anderen Ländern wollen die Ministerien nicht eingreifen. Mehr Autonomie war eine jahrelange Forderung der Hochschulen, die nach 1998 auch schrittweise ermöglicht wurde. Den Hochschulministern bleibt seitdem als letzte Kontrolle, Zielvereinbarungen mit den Universitäten nach dem Muster „Geld gegen Reformen“ auszuhandeln. Aber eine inhaltliche Fixierung der Module in den einzelnen Studiengängen war den Politikern versagt. Dabei soll es bleiben.

Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Jan-Hendrik Olbertz sagt: „Die Politik sollte sich bei Korrekturen zurückhalten.“ Die Politiker sollten keine Quoten vorgeben, wie viele Bachelor-Studiengänge sechs oder acht Semester dauern sollen. „Nur aus der Logik des Faches kann sich eine Dauer von acht Semestern für den Bachelor ergeben.“ Josef Lange aus Niedersachsen plädiert ebenfalls für eine Zurückhaltung des Staates. Aber zugleich äußert er eine deutliche Warnung: „Die Hochschulen haben Autonomie eingefordert und nicht verstanden, dass das Eigenverantwortung bedeutet. Irgendwann wird sich die Politik diese Haltung nicht mehr bieten lassen.“

Uwe Schlicht

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