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Lenzens Erbe. Es reizt ihn, auch mal Entscheidungen für die ganze Uni zu treffen, sagt Alt.

© Thilo Rückeis

Hochschulen: Im Geist der Freien Universität

Das Studium der Medizin brach er ab. Als Germanist hat Peter-André Alt sich einen Namen gemacht. Jetzt will er Präsident der FU werden.

„Undemokratisch“, „intransparent“ und „bürokratisch“ wird die FU regiert, so sehen es jedenfalls interne Kritiker. Geht es im Präsidialamt in der Dahlemer Kaiserswerther Straße also zu wie in Kafkas „Schloss“? Ob das stimmt, wird Peter-André Alt bald herausfinden. Der 49-jährige Germanist und Kafkaexperte wird sehr wahrscheinlich am 12. Mai zum neuen Präsidenten der Freien Universität gewählt.

Auf Alt kommt einiges zu. Studierendenvertreter werfen ihm schon jetzt die Fortsetzung des „neoliberalen“ „Systems Lenzen“ vor und rufen zu Protesten gegen seine Wahl auf. Ein Bündnis von FU-Mitarbeitern verlangt von Alt, die Professoren in den Gremien zu entmachten. Ferner soll er den vom Exzellenzwettbewerb erschöpften Wissenschaftlern und Beschäftigten eine Atempause verschaffen. Zugleich soll er die neuen Verwaltungsstrukturen mit den alten versöhnen. Natürlich soll er mit der FU wieder im Exzellenzwettbewerb siegen. Er soll den Bachelor reformieren und das ungeliebte Preismodell des Wissenschaftssenators bekämpfen.

Alt sitzt in einer Dahlemer Villa, der Doktorandenschule der FU. Die vielen Anforderungen und das Getöse vor der Wahl scheinen ihn nicht übermäßig zu beunruhigen. Er kennt die FU. Er hat zahlreiche einflussreiche Unterstützer. Und er hat Pläne. In schnellen langen Sätzen spricht er darüber, was er mit ihr vorhat, dutzende Ideen hat er schon im Kopf. Mehr Service für Studierende! Mentoring für den wissenschaftlichen Nachwuchs! Internationalisierungsstrategie vorantreiben! Zwischendurch streift er die jüngere Geschichte der bayerischen Universitäten, lobt Habermas’ „Protestbewegung und Hochschulreform“ oder erinnert sich an das „Kursbuch“ zu Apo-Zeiten. Vor seinem Arbeitszimmer singen die Vögel, die FU liegt in einer Oase der Ruhe. Alt hingegen ist in Bewegung.

Gerade hat er bei einem Besuch in San Francisco versucht, die FU-Germanistik mit Berkeley zu vernetzen. Jetzt macht er sich Gedanken über das wachsende Desinteresse der Amerikaner an dem Fach, das dort noch bis in die achtziger Jahre eine starke Disziplin gewesen sei. Inzwischen hätten sich die US-Unis immer mehr Lateinamerika zugewandt, Germanisten unterrichteten in den USA oft nicht mehr deutsche Literatur, sondern Philosophie.

Alt, geboren und aufgewachsen in Berlin, hat Germanistik zwischen 1979 und 1984 an der FU studiert – nach einem kurzen Fehlstart ins Medizinstudium. „Ich war als Schüler von den Naturwissenschaften fasziniert“, sagt er. „Aber die Verschulung im Medizinstudium habe ich als erstickend empfunden.“ Auch deshalb hat er Verständnis, wenn die Studierenden jetzt mehr Freiräume im Bachelor fordern. Alt fand als Student Freiheit in der Germanistik, in der Politischen Wissenschaft, in Geschichte und Philosophie. Trotzdem haderte er mit der Uni. Im „anonymen Alltag“ ist er „sehr unglücklich“ gewesen, sagt er. Das änderte sich, als er Tutor wurde und „es Leute gab, die mich kannten“.

Damit war die Tür zu einer mustergültigen wissenschaftlichen Laufbahn aufgestoßen: mit vielen Stationen im In- und Ausland, renommierten Stipendien und einer schnell wachsenden Publikationsliste. Nach der Habilitation lehrte Alt zuerst in Rostock, der erste Ruf auf eine ordentliche Professur kam 1995 aus Bochum – Alt war gerade einmal 35. Im Jahr 2002 wechselte er nach Würzburg, von dort 2005 zurück an die FU Berlin. Zwischendurch forschte er in Triest, in Princeton und Cambridge.

Alts wissenschaftliches Zuhause ist riesig. Es reicht vom Barock bis zur Klassischen Moderne. Die „Himmelsbilder der frühen Neuzeit von Giordano Bruno bis zu John Milton“ erforscht er ebenso wie die „Hölderlin-Rezeption Benjamins und Adornos“ oder auch „Blumenbergs Metaphorik und Luhmanns Systemtheorie“. Die Germanistik verdankt Alt ferner neue Ausgaben der Werke Lessings und Schillers (zusammen mit Albert Meier und Wolfgang Riedel) sowie eine beachtliche Reihe an Monographien, darunter eine große Schiller- und eine große Kafkabiographie.

Der Biograph steht vor dem Risiko, „das Zufällige zum Lebensgesetz“ zu überhöhen, schreibt Alt in „Schiller. Leben – Werk – Zeit“. Um dieser „Gefahr der Verklärung“ entgegenzuwirken, müsse er „den Blick auf den intellektuellen Fonds der persönlichen Bildungsgeschichte“ richten: „Anders als die Beliebigkeit der äußeren Daten gehorcht sie genau zu erfassenden Impulsen durch Lehrer, Lektüren und daraus abgeleiteten Geschmacksvorlieben, Vorbildern und Mustern.“ Zu Alts „persönlicher Bildungsgeschichte“ gehört seine Zeit als Assistent des Großgermanisten Hans-Jürgen Schings, der ihn mit seinem „Ethos“ des „unerbittlichen Nachhakens“ und seinem „Anspruch auf Genauigkeit“ beim Umgang mit den Quellen prägte.

Alt hat seine Gedanken über das Risiko biographischer Darstellungen auf seine Homepage gestellt, zusammen mit einem Dutzend anderer schwindelerregend kluger Selbstzitate. Warum diese Sätze dort versammelt sind? Natürlich aus „Eitelkeit“ und aus „fahrlässiger Selbstüberschätzung“, antwortet er ironisch, bevor er erklärt: „Das sind einfach gelungene Sätze.“ Er feile sehr an seiner Sprache, könne sich auch ein Buch über „gelungene Sätze“ vorstellen.

Ist der Mann vielleicht zu geistreich und zu feinsinnig für die profanen Aufgaben, die mit dem Amt des Uni-Präsidenten verbunden sind? Und warum will er sich das antun? Alt antwortet wie ein Politiker: „Es reizt mich, auch mal Entscheidungen für die Gesamtstruktur zu treffen“, sagt er. Im übrigen sei „das Schöne am Amt des Hochschullehrers ja gerade, dass es verschiedene Berufe in sich vereint“. Alt hat schon beschlossen, trotz der auf ihn zukommenden Terminfülle gelegentlich eine Lehrveranstaltung anzubieten. Und sich auch mal zurückzuziehen, „zum Nachdenken“ und um Zeit mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen zu verbringen, vielleicht am Mittelmeer oder an der Nordsee, wo er gerne Urlaub macht.

Tatsächlich steckt Alts Kopf keineswegs nur in ästhetischen und poetischen Wolken. Er zeigt sich bestens informiert über hochschulpolitische Entwicklungen in sämtlichen Bundesländern. Jeden Morgen um halb sechs – Alt braucht nur fünfeinhalb Stunden Schlaf – liest er Zeitung, die politischen Nachrichten vor dem Feuilleton. Gesellschaftlich engagiert hat Alt sich schon als Schüler. Der Sohn eines Steuerberaters war Klassensprecher an der altsprachlich-musisch orientierten Charlottenburger Erich-Hoepner-Schule und beteiligte sich 1973 am Kampf für einen neuen Schulnamen. Das Gymnasium sollte nicht länger wie Hitlers Generaloberst heißen, der „in Öl gemalt in der Aula hing“, wie Alt erzählt. Erst vor zwei Jahren klappte es aber mit der Umbenennung, die Schule heißt jetzt nach Heinz Berggruen.

Vor der akademischen Selbstverwaltung hat Alt sich nie gedrückt. In Bochum und an der FU saß er im Akademischen Senat. Auch Leitungsjobs hat er übernommen: In Bochum und Würzburg war er Geschäftsführender Direktor seines Instituts, an der FU zuerst Studiendekan für den Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften, danach Dekan. Jetzt leitet Alt die Graduiertenschule „Friedrich Schlegel“, die er im Exzellenzwettbewerb an die FU holte. Und nachdem der damalige FU-Präsident Dieter Lenzen ihm antrug, gleich die gesamte neue Doktorandenausbildung der FU zu betreuen, ist er auch Leiter der Dahlem Research School, die 15 Promotionsprogramme vereint.

Dieter Lenzen wird nachgesagt, er habe bisweilen grob geholzt, um die FU zu beschützen und voranzubringen. Die Rolle des Rambos von Dahlem ist für Alt sicher nichts. Heißt das, die FU verliert in Berlin an Gewicht? Ein Insider warnt davor, Alt zu unterschätzen. Er habe andere Mittel, sich Einfluss zu verschaffen. Vor allem seinen „heiligen Ernst“, mit dem er sein Gegenüber schrecklich unter moralischen Druck setzen könne. „Er macht es feiner“, sagt auch der Politologe Hajo Funke, einer der vielen Alt-Fans in der Professorenschaft. „Das muss nicht weniger effizient sein.“

Die Professoren wollen keinen Bruch mit der FU Lenzens, sondern einen anderen Umgang. Ein Präsidium, das Zielvereinbarungen nicht einfach „auf den Tisch knallt“, wie Alt formuliert. Den Kurs halten, aber stärker das Gespräch suchen – für dieses Versprechen wird Alt aller Voraussicht nach am 12. Mai gewählt werden.

DIE FU

An der Freien Universität, gegründet 1948, sind heute 31000 Studierende in 100 Studiengängen eingeschrieben. Sie werden von 380 Professoren betreut.

Die Freie Universität gehört zu den leistungsstärksten deutschen Hochschulen. Im Exzellenzwettbewerb kam sie im Jahr 2007 unter die neun geförderten Unis. Im Forschungsranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) steht sie bundesweit auf Platz 5, in den Geisteswissenschaften auf Platz 1.

Der Landeszuschuss der FU liegt bei 290 Millionen Euro. Zusätzlich wirbt sie zur Zeit 90 Millionen Euro aus Drittmitteln ein.

Präsident Dieter Lenzen verließ die FU während seiner Amtszeit am 1. März und wechselte zur Uni Hamburg. Damit muss die FU ihr gesamtes Präsidium neu wählen. Von den Gremien als Präsidentschaftskandidaten nominiert wurden neben Alt auch der FU-Informatiker Raúl Rojas und die Politologin Christiane Lemke aus Hannover. Beide zogen ihre Kandidatur zurück.

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