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© Thilo Rückeis

Hochschulen: Marode Unis

Im Hörsaal zieht's, Professoren forschen unterm Regenschirm: Viele Hochschulen sind baufällig, seit Jahrzehnten wird zu wenig investiert. Jede Berliner Uni hat einen Sanierungsbedarf von 250 Millionen Euro. Das Konjunkturprogramm soll helfen.

Günter M. Ziegler kennt die Macken der vier Fahrstühle im Mathematikgebäude der TU Berlin. Der erste fährt nie beim ersten Drücken los. Der zweite hält oft nicht im gedrückten Stockwerk. Der dritte fährt manchmal gleich ganz durch. Und der vierte macht die Türen so schnell zu, dass der Mathematikprofessor nicht aussteigen kann. Manchmal streichelt Ziegler die Wände der Fahr stühle – wohl in der Hoffnung, dass keiner der vier seinen Dienst völlig aufgibt, wie neulich, als der Regierende Bürgermeister mehrere Minuten stecken blieb.

Angehörigen von Hochschulen ist es oft peinlich, wenn Fremde ihren Arbeitsplatz sehen. Ziegler geht es nicht anders. Der mit dem renommierten Leibnizpreis dekorierte, im Exzellenzwettbewerb siegreiche und von der ETH Zürich umworbene Wissenschaftler schämt sich, wenn Kollegen aus dem Ausland oder Vertreter der Wirtschaft ihn besuchen.

Ihr Weg führt sie dann durch das trostlose Foyer aus unverputztem Beton über einen Teppich, der wie eine vergammelte Fußmatte aussieht, vorbei an vollgeschmierten Türen und dämmrigen Schächten, in denen die TU alte Möbel sammelt („Leichenlager für kaputte Tische“, wie Ziegler sagt), durch Flure mit flackerndem Neonlicht, fehlenden Deckenplatten und blinden Fenstern, hin zu den kaputten Fahr stühlen. Schon oft ist Ziegler von Gästen für den Zustand des Gebäudes bemitleidet worden. Er selbst fragt sich in seinen „Albtraumnächten“, ob er den Ruf an die ETH nicht doch hätte annehmen müssen. Wertschätzung für Studierende und Wissenschaftler drückt dieses Gebäude nicht aus.

Der Hochschulbau in Deutschland ist seit Jahrzehnten deutlich unterfinanziert. Der Wissenschaftsrat beziffert den Bedarf für die Sanierung von Gebäuden auf 22 Milliarden Euro. Gerade in armen Ländern im Osten wie Mecklenburg- Vorpommern oder Brandenburg gebe es einen „Investitionsstau“. Aber auch im Westen verfallen die Campus. Mit der Bildungsexpansion wurden in der alten Bundesrepublik ungezählte Gebäude in Billigbauweise aus dem Boden gestampft, die heute von Grund auf erneuert werden müssen, von Bielefeld bis Konstanz. Allein die Uni Bochum beziffert ihren Sanierungsbedarf auf eine Milliarde Euro.

Auch hinterließen viele der damaligen Architekten Bausünden: dunkle Innenräume mit viel Sichtbeton und verwinkelten Treppenhäusern, die im heutigen Wettbewerb um Studierende und Wissenschaftler ein Handicap darstellen.

Trotz des dramatischen Sanierungsstaus spielt der Hochschulbau in der aktuellen Debatte um das nächste Konjunkturprogramm der Bundesregierung nur am Rande eine Rolle. Bundesbildungsministerin Annette Schavan hatte zunächst vorgeschlagen, jede der 350 deutschen Hochschulen solle im Schnitt 500 000 Euro bekommen. Insgesamt wären das aber nur 175 Millionen Euro – weniger als ein Prozent des Gesamtbedarfs, wie die Hochschulrektorenkonferenz kritisierte. Inzwischen will Schavan für Schulen und Hochschulen insgesamt nicht mehr nur 4,6 Milliarden Euro ausgeben, sondern 15 Milliarden. Berlin habe bereits mehrere Projekte aufgelistet, für die das Geld sofort abfließen könnte, sagte der Staatssekretär für Wissenschaft, Hans-Gerhard Husung, dem Tagesspiegel am Montag. Mit wie viel Geld Berlin rechnen könne, werde aber vom Verteilungsschlüssel des Bundes abhängen.

Seit der Föderalismusreform, die 2007 in Kraft trat, ist die Lage für die Hochschulen noch schwieriger geworden. Bis dahin genoss der Hochschulbau das Privileg, als Gemeinschaftsaufgabe in der Verfassung verankert zu sein. Der Bund gab dafür jährlich eine Milliarde Euro aus, die von den Ländern gegenfinanziert wur de. Mit der heftig umstrittenen Verfassungsreform zieht sich der Bund aus dem Hochschulbau zurück. Er fördert nur noch Bauprojekte und Großgeräte, die eine überregionale Bedeutung haben – mit noch 300 Millionen Euro jährlich (siehe Kasten). Bis 2013 erhalten die Länder zwar die übrigen 700 Millionen Euro der alten Summe noch zweckgebunden für den Hochschulbau. Danach aber können sie das Geld auch für andere Projekte ausgeben. Der Zwang für die Länder, diesen Teil des Bundesgeldes gegenzufinanzieren, ist bereits entfallen. Schon jetzt könne niemand überblicken, welche Länder bereits darauf verzichten, heißt es aus dem Wissenschaftsrat.

In Berlin beziffert allein die Charité ihren dringenden Investitionsbedarf bis 2015 auf 520 Millionen Euro. Auf der Liste der Bauvorhaben des Senats bis 2012 stehen bereits 20 Charité-Projekte. Die drei großen Universitäten sind hingegen mit nur je einem Vorhaben eingeplant. Dabei schätzt jede einzelne ihren Baubedarf auf jeweils 250 Millionen Euro.

Allein die Sanierung des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität würde 40 bis 50 Millionen Euro kosten. Die Dächer aus DDR-Zeiten sind nicht mehr reparabel, im Innern fehlen Rettungswege. Nur wenige Hörsäle sind renoviert, „die engen knarrenden Stuhlreihen sind eine Tortur, durch die Fenster, die noch aus den vierziger Jahren stammen müssen, zieht es“, sagt Wolfgang Hardtwig, Professor für Geschichtswissenschaften. Seit langem ist die Mensa der Hygiene aufsicht ein Dorn im Auge. An der HU wünscht man sich einen Baubeginn im Jahr 2010, in dem die HU ihren 200. Geburtstag feiert. Die Mensa würde in ein zweigeschossiges beheizbares Zelt im Innenhof ausgelagert, in dem auch Jubiläumsfeiern stattfinden könnten.

Der Zustand des Hauptgebäudes sei peinlich und imageschädigend, fasst der Historiker Hardtwig zusammen. Darum sind Vertreter Berliner Universitäten ambivalent, ob sie der Öffentlichkeit ihre Schmuddelecken zeigen und über die Finanzsorgen sprechen sollen. Und tatsächlich gibt es ja auch Fortschritte zu sehen: Gerade erst hat die HU die neue Mensa Nord eröffnet, in diesem Jahr wird die zentrale Unibibliothek fertig. Die FU hat ihren Henry-Ford-Bau saniert, die TU den Vorplatz vorm Hauptgebäude.

Doch das Bauen wird immer schwieriger. Die Berliner Universitäten bekommen im Rahmen der Hochschulverträge jeweils nur um zehn Millionen Euro vom Land für Baumaßnahmen. Bisher haben die Unis das Bauen auch finanziert, indem sie Grundstücke verkauften. Seit dem Jahr 2000 hatte etwa die FU durch Villenverkäufe 24 Millionen Euro zur Verfügung. Aber nun sind fast alle Grundstücke verkauft, die übrig gebliebenen Gebäude werden wohl nie einen Abnehmer finden: „Das ist wie bei leer stehenden Kirchen: Es gibt nicht so viele Rockbands, die sich eine leisten können“, spottet der Kanzler der FU, Peter Lange. Und Ulrike Gutheil, Kanzlerin der TU, stellt fest: „Unsere Goldreserven sind weg.“

Auch die Fachhochschulen stehen unter neuem Druck. So kann sich die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) zwar über den neuen Campus in Oberschöneweide freuen. Dabei sei aber der zusätzliche Platzbedarf für die 1000 Studierenden, die die FHTW wegen des Hochschulpakts bis 2013 zusätzlich aufnehmen muss, nicht berück sichtigt worden, sagt der Präsident der FHTW, Michael Heine. Es fehlten 4000 Quadratmeter.

Angesichts der schwierigen Lage steht die Ästhetik an den Hochschulen auf der Prioritätenliste ganz unten. „Alle meckern, wenn irgendwo nicht frisch gestrichen ist“, sagt Hans-Joachim Rieseberg, Leiter der Bauabteilung der TU Berlin. Zuerst gelte es aber, Gefahren für Leib und Leben zu verhindern. Das Physik- und Chemiegebäude ist eingezäunt, damit keine Fassadenteile auf die Passanten fallen, eine Sanierung ist aber erst fürs Jahr 2014 avisiert. Regnet es an der TU durch die Dächer, sei das bisweilen hinzunehmen. Rieseberg selbst hat einem Professor schon einmal einen Schirm vorbeigebracht. So weit will es die FU in ihrer neuen Foster-Bibliothek nicht kommen lassen. Sie hat die undichten Fugen der Kuppel mit Klebeband abgedichtet, das sich allerdings inzwischen unansehnlich ablöst. Mittlerweile arbeitet sich das Wasser auch von unten in die Hochschulen vor. Seit der Bergbau in der Lausitz aufgegeben wurde, ist der Grundwasserspiegel auch in Berlin gestiegen und drückt in die Keller der Unis.

Was kann getan werden? Um Kosten zu sparen, haben die Hochschulen ihre Campus inzwischen immer weiter konzentriert. So hat die HU ihre einst 500 Gebäude mittlerweile auf 270 verringert. Vor allem Gebäude, für die die Hochschulen Miete zahlen, wurden aufgegeben. Ganz ohne teure Mietobjekte geht es aber nicht. Denn für manche Institute ist kein Platz in eigenen Objekten, ein Neubau ist aber nicht zu bezahlen – ein Teufelskreis.

Die Universitäten wünschen sich deshalb, dringend nötige Projekte mit Krediten finanzieren zu können. Sonder finanzierungsmodelle mit günstigen Zinsen (Leasing oder Mietkauf), die das Abgeordnetenhaus akzeptieren könnte, fehlen aber.

Auch wollen die Universitäten mehr Einfluss auf ihre Bauprojekte. Bislang ist der Senat der Bauherr für alle Vorhaben über vier Millionen Euro – eine Grenze, die „willkürlich und viel zu niedrig an gesetzt“ ist, wie es aus der HU heißt. Der Betreiber der Gebäude „muss bestimmen können, was in welcher Qualität gebaut wird“, schließlich müsse er später auch die Betriebs- und Nutzungskosten tragen.

Unterdessen setzt der Senat Hoffnungen auf die Mittel aus dem neuen Bundestopf. In Zukunft sollen Berlins Hochschulen ihre Bauplanungen möglichst so gestalten, dass dabei größere Forschungs cluster entstehen, die bundesweit ausstrahlen. Dann nämlich könnten ihre Räumlichkeiten vom Bund gefördert werden. Eine Reihe von Projekten, bei denen mit dem Bau eigentlich schon begonnen werden sollte, hat der Senat nach der Föderalismusreform für die Bundes förderung angemeldet.

Für die FU bedeutet das, dass sich zwei Bauvorhaben erheblich verzögern: der Neubau, in dem 17 „Kleine Fächer“ auf dem Obstbaugelände hinter der Silberlaube zusammengeführt werden sollen, und das Forschungshaus für die Molekulare Veterinärmedizin in Düppel. Denn der Wissenschaftsrat, der für Bund und Länder die angemeldeten Projekte begutachtet, vertagte eine Entscheidung über die Empfehlung, weil ihn die wissenschaftlichen Konzepte noch nicht überzeugten. Kann die FU die offenen Fragen klären, könnte eine Finanzentscheidung im kommenden Spätsommer fallen.

Das neue Verfahren kostet Zeit und verursacht einen „Riesenaufwand“, wie die TU-Kanzlerin Gutheil kritisiert. Mit der Föderalismusreform sollte das Bauen mit Bundesmitteln unbürokratischer werden. Das Gegenteil sei der Fall. „Heerscharen von Wissenschaftlern“ würden bewegt, für Neubauten Forschungskonzepte zu entwerfen, „als hätten sie nichts Besseres zu tun“, sagt Gutheil. Dabei seien die Chancen, am Ende tatsächlich Bundesmittel zu erhalten, angesichts der großen Konkurrenz gering. Tatsächlich ist unter bislang 28 Projekten, die der Bund mit seinem neuen Programm fördern will, nur eines aus Berlin: das Forschungszentrum für Neuro- und Immunwissenschaften der Charité bekommt 41,5 Millionen Euro. Zum Vergleich: Allein auf die beiden Münchner Unis entfallen in den kommenden Jahren 225 Millionen Euro.

Unterdessen mokieren sich die Mathematiker der TU über ihre „Tropfsteinhöhle“, ihren Computerpool, in dem die Schimmelkulturen bereits „Stalaktiten“ gebildet hätten, und Günter M. Ziegler beobachtet, wie das Regenwasser durch die Vorhangstange in sein Zimmer rinnt. Angesichts der schwierigen Lage ist die Zukunft der TU-Mathematiker aber sonnig. Ihr Gebäude soll saniert werden, für 2010 steht es auf der Investitionsliste des Senats. Bis die Sanierung abgeschlossen ist, sollten es die Mathematiker vermeiden, ihre Köpfe aus dem Fenster zu halten. Unlängst löste sich eine Außenjalousie aus einem der oberen Stockwerke des Gebäudes und schlug auf ein Vordach.

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