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Kritische Brille? „Institut für Internet und Gesellschaft“ heißt die neue Einrichtung. Ein Forschungsprogramm steht noch aus.

© REUTERS

Hochschulsponsoring in Berlin: Google eröffnet Institut an der Humboldt-Uni

Die Humboldt-Universität bekommt ein "Institut für Internet und Gesellschaft". Bei der Eröffnungsfeier betonen Unternehmen und Universität: Einfluss auf die Forschung soll der Netzgigant nicht bekommen.

Es dauerte nur wenige Minuten, da hatte der reiche Onkel aus Amerika die Herzen der Berliner erobert. Nicht nur, weil Google-Vorstand David C. Drummond den Namensgeber des von Google initiierten „Instituts für Internet und Gesellschaft“, Lokalmatador Alexander von Humboldt, mit den Worten Charles Darwins den größten wissenschaftlichen Reisenden aller Zeiten nannte. Sondern auch, weil er dessen Wirken mit wohldosiertem Biss in Bezug zur Gegenwart setzte. Wenn Humboldt heute noch lebte, ließ Drummond Honoratioren und Gäste im gut gefüllten Audimax der Humboldt-Universität bei der Eröffnungsfeier wissen, würden sich seine Reisen anders gestalten: Humboldt würde zu ihrer Planung den Kartendienst Google Maps benutzen. Und vielleicht ja sogar den Bilderdienst Google Street View.

Mit der spitzen Bemerkung, die mit Gelächter und Applaus aufgenommen wurde, traf Drummond den neuralgischen Punkt der blitzartigen Entstehung des „Google-Instituts“. Seit der Ankündigung im Februar vergingen nur wenige Monate, bis sich die HU, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und die Universität der Künste auf die Gründungsmodalitäten geeinigt hatten. Und ausgerechnet Deutschland wurde von Google ausersehen, ein weltweit nahezu einmaliges Institut zur Erforschung des Netzes zu beherbergen. „Blurmany“ wird die Heimat der Google-Kritikaster und datensensiblen Häuser-Verpixler bei Street View im Unternehmen genannt (engl. to blur = verwischen). Und ausgerechnet hier soll nun, wenn alles gut läuft, die Avantgarde der Google-Erforscher angesiedelt werden.

Was genau den Ausschlag für den Standort Berlin gegeben hatte, ließ sich Drummond denn auch nicht entlocken. Und so kann man nur mutmaßen, dass es just jene Skepsis der Deutschen ist, die Google reizt – und zugleich zu einem denkbar defensiven Auftreten zwingt. So weist im Wappen des neu gegründeten Instituts, das unter dem Brandenburger Tor die Binärziffern Eins und Null zeigt, nichts auf den mächtigen Sponsor. Und auch sonst hat Google in der vom Unternehmen finanzierten Forschungseinrichtung nichts zu sagen, das zumindest sagen die, die offiziell etwas zu sagen haben. „Wie unabhängig kann das Institut sein, mit Google als Initiator?“, fragte HU-Jurist Ingolf Pernice, einer der Gründungsdirektoren des neuen Instituts, am Dienstag im Akademischen Senat der HU und gab sich selbst die erwartbare Antwort: völlig unabhängig. Google sei nur in einer Förder-GmbH aktiv. Ein Vertreter dieser GmbH werde zwar im acht- bis zehnköpfigen Kuratorium der Forschungs-GmbH vertreten sein, die das Institut trägt, genieße dort aber keine Sonderrechte. HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz betonte, dass die Unabhängigkeit der Forschung im Gesellschaftervertrag garantiert worden sei, dem hätten alle Partner zugestimmt. Eine formelle Gründung als An-Institut der Humboldt-Universität käme zudem erst infrage, wenn ein Forschungsprogramm vorliege.

Sensibilisiert ist man durch die Diskussion um ein von der Deutschen Bank gesponsertes Institut an HU und TU Berlin. Bei der inzwischen beendeten Kooperation wurde vor allem ein paritätisch von Bank und Unis besetzter Lenkungsrat kritisiert, in dem sich die Bank das letzte Wort vorbehalten hatte.

Pernice war es dann auch, der als Moderator der Eröffnungsfeier immer wieder die über die „Einsperrung“ der Geldgeber gesicherte Unabhängigkeit des Instituts betonte. Dass Drummond das forsche Auftreten Pernices und den bewussten Bruch mit US-amerikanischen Dankesriten denkbar gelassen – nämlich meistenteils lachend – zur Kenntnis nahm, passte am Ende nur zu gut zu einer hierzulande doch gewöhnungsbedürftigen Konstellation.

Denn das konnten auch alle Versicherungen der Unabhängigkeit nicht überspielen: Mit dem gestrigen Tag ist die in Deutschland so wahrgenommene datengierige Skandalnudel Google endgültig als edler Spender über die deutsche Wissenschaft gekommen. Wenn sich aber eine Forschungsförderung mit zunächst 4,5 Millionen Euro für drei Jahre komplett aus einer Quelle speist, ist eine Abhängigkeit kaum zu umgehen. Zumal, wenn man sich in drei Jahren bei Google um eine Verlängerung bewerben will. Und während schon allein die Personalie Drummond, bei Google als Chefjurist nicht unbedingt allererste Reihe, eine leichte Indifferenz gegenüber dem Ereignis der „Inauguration“ signalisierte, legten sich die Vertreter dieser Wissenschaft am Dienstagabend gewaltig ins Zeug: So dankte Olbertz auf Englisch für die „so generöse“ Spende und bat: „Please pass this message to Larry Page!“ Und WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger dankte gleich der gesamten Wirtschaft – im Namen der Wissenschaft.

Was in dieser unter Umständen historischen Stunde dabei ein wenig unterreflektiert blieb, waren die Forschungsziele des Instituts. Mögen sie erst später ausformuliert werden, müsste aber doch eine Richtung erkennbar sein, ein Charakter. Doch erst einmal durfte sich jeder etwas wünschen. Drummond wollte „Hands-On-Research“, handfeste Lösungen von sozialen, kulturellen und technischen Fragen zu Netzwerken. Olbertz nannte die Auswirkungen globaler Vernetzung auf lokale Konzeptionen wie Staat und Verfassung als einen wesentlichen Punkt des Interesses. Birgit Grundmann, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, stellte Fragen nach Netzneutralität und sexueller Aufklärung im Netz. Allmendinger hatte es das Thema Materialität angetan, die kulturelle Bedeutung des Wegfalls des Speichermediums Papier. So wurde dann auch einmal mehr der Begriff der „Interdisziplinarität“ bemüht. So wollte man die schwer beherrschbare Größe und Vielschichtigkeit des Feldes, das im Institut vorläufig in die Teilbereiche Innovation, Internet Policy, Medienpolitik und Verfassungsrecht untergliedert sein soll, zur Chance und Stärke umdeuten.

Eines betonten indes alle Redner der erstaunlich kurzweiligen Veranstaltung: die revolutionäre Kraft des Internets, seine Bedeutung für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, nicht zuletzt für das eigene akademische Arbeiten. Und alle warben um Verständnis dafür, dass ein Akteur, der die Welt verändert, sich an der wissenschaftlichen Einordnung dieser Veränderung beteiligt.

Was indes mit dem humboldtschen Entdeckergeist und dem akademischen Arbeiten geschieht, sollte Google diesen Geist in drei Jahren zurück in eine Flasche stopfen wollen, darüber wollte in dieser frohen Stunde niemand reden.

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