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Medizinstudierende in einer Vorlesung.

© Waltraud Grubitzsch/dpa

Immer Ärger mit Hochschulstart.de: Studienplatz-Service vor dem nächsten Neustart

Bedienungsstress und Pannen: „Hochschulstart.de“ hat nie gut funktioniert. Die jetzt angekündigte Reform kostet die Länder erneut Millionen.

Die Software, mit der „Hochschulstart.de“ jedes Jahr Hunderttausende Bewerber auf Studienplätze verteilt, entspreche „nicht mehr dem Stand der Technik“. Sie sei „fragil“, „schwer wartbar“ und „auf Dauer nicht ökonomisch betreibbar“.

Was die Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) Ende vergangener Woche den Wissenschaftsstaatssekretären der Länder in Berlin präsentierte, war nicht weniger als ein amtlicher Offenbarungseid.

Überraschend kam das Gutachten nicht, das der von der Stiftung berufene IT-Beirat intern erstmals im Oktober 2019 vorgestellt hatte. Jedenfalls nicht für all die Studiensekretariate an den Hochschulen, die sich seit Jahren mit den Zulassungsverfahren von „Hochschulstart.de“ herumschlagen.

Wissenschaftspolitisch bedeutsam ist der Bericht dafür umso mehr, denn nach jahrelanger Hinhaltetaktik und Kleinreden benennt die Stiftung damit erstmals offensiv die Schwächen des Systems.

Serviceverfahren sollte die Studienplatzvergabe revolutionieren

2009 mit Millioneninvestitionen gestartet, sollte das „Dialogorientierte Serviceverfahren“ (DoSV) die Studienplatzvergabe in Deutschland revolutionieren. Vor allem die potenziellen Studienanfänger sollten profitieren: Anstatt drei, fünf oder mehr Einzelbewerbungen an Hochschulen im ganzen Land zu verschicken und vorher entsprechend viele unterschiedliche Formulare ausfüllen zu müssen, sollte künftig eine einzige Online-Anlaufstelle reichen. Nutzerfreundlich sollte das DoSV sein, leicht verständlich und handelbar für die Bewerber – und dazu mit einem Riesenvorteil für die Bildungsgerechtigkeit.

All die Einzelbewerbungen hatten nämlich dazu geführt, dass einige Erstsemester im Extremfall mit fünf oder mehr Zulassungsbescheiden überschüttet wurden, von denen sie natürlich nur einen annahmen. Doch das erfuhren die anderen Hochschulen ja nicht – und mussten die Studienplätze deshalb erst mal freihalten.

Mit dem Ergebnis, dass viele Nachrücker erst im Laufe des Semesters mitgeteilt bekamen, dass sie doch einen Platz hatten. Und selbst mehrere Vergaberunden konnten nicht verhindern, dass am Ende Tausende Plätze frei blieben.

Hochschulen nehmen noch lange nicht mit allen Studiengängen teil

Das DoSV sollte all das ändern, in Echtzeit das Angebot und die Nachfrage nach Studienplätzen koordinieren, bundesweit. Doch konnte Hochschulstart.de die hohen Erwartungen nie erfüllen. Nach zehn Jahren beteiligen sich zwar die meisten infrage kommenden Hochschulen am DoSV, aber nur mit zwei Fünfteln der möglichen Studiengänge. Denn eines hat die Stiftung bis heute technisch nicht richtig in den Griff bekommen: die Administration sogenannter Mehrfachstudiengänge, also zum Beispiel praktisch aller Lehramtsprogramme. Auch bei den Einzelfächern hakte es immer wieder.

Währenddessen schlugen sich die Bewerber mit einer Benutzeroberfläche herum, die alles andere als leicht verständlich und handelbar ist.

Mehrfach mussten der Politik und den Hochschulen versprochene Meilensteine bei der Ausbreitung von DoSV verschoben werden, doch das Fass zum Überlaufen brachte erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende 2017. Die Medizin-Studienplatzvergabe, befanden die Richter, sei teilweise verfassungswidrig. Die Länder wurden verpflichtet, bis Ende 2019 ein neues Zulassungsverfahren umzusetzen.

Nun gehört die Bearbeitung der Bewerber für die bundesweiten NC-Fächer Human-, Tier- und Zahnmedizin sowie Pharmazie zum Kerngeschäft von „Hochschulstart.de“, das einst aus der berühmt-berüchtigten Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) entstanden war. Gleichwohl hatte es die Stiftung bis 2017 nicht geschafft, auch Medizin & Co ins DoSV zu integrieren.

Immer wieder vertröstet

Jahrelang hatten die Wissenschaftsministerinnen und -minister der Länder die immer neuen Vertröstungen durch Hochschulstart.de hingenommen, niemand hatte wirklich Lust, die überfällige Aufräumaktion im Stiftungsmanagement in Angriff zu nehmen. Es lief ja auch irgendwie. Doch spätestens mit dem Druck der Verfassungsrichter ging das Wegducken nicht mehr länger, und tatsächlich wagte die Politik die überfällige Flucht nach vorn.

In den vergangenen zwei Jahren wurde die Stiftung für Hochschulzulassung grundlegend umstrukturiert, der langjährige Geschäftsführer musste gehen. Für die Umsetzung des Medizin-Urteils wurde erst einmal ein technisches Provisorium zusammengestrickt, das die wichtigsten Vorgaben der Verfassungsrichter so weit berücksichtigt, dass das Verfahren legal ist – verbunden mit dem Versprechen, dass nach zwei Jahren eine Dauerlösung kommen sollte. Und schließlich wurden mit dem fünfköpfigen IT-Rat endlich unabhängige Informatik-Experten beauftragt.

DoSV am Ende, Medizin-Provisiorium läuft weiter

Mit deren Gutachten hat die Stiftung es schwarz auf weiß: Das DoSV ist am Ende. Nicht die Idee, aber die Software dahinter. Und noch brisanter: Das Medizin-Provisorium, das nur zwei Jahre laufen sollte, wird voraussichtlich fünf Jahre dauern. Eben weil parallel dazu ein neues DoSV hermuss.

Von einer „Zwei-Wege- Strategie“ ist deshalb die Rede. Auch eine erste Schätzung, was die zusätzlichen „Transformationskosten“ angeht, liegt inzwischen vor. Rund 17 Millionen Euro will die Stiftung von den Ländern erbitten.

„Das ist nicht besonders viel, wenn man bedenkt, dass allein das Studierendenportal an meiner Universität pro Jahr fast eine Million Euro kostet“, sagt der Siegener Universitätspräsident Holger Burckhart, der zugleich einer von zwei Vorsitzenden des SfH-Stiftungsrates ist. „Nehmen Sie die Summe mal 272 Hochschulen pro Jahr, dann haben Sie das Geld, das wir brauchen, ins richtige Verhältnis gesetzt.“

Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass das jahrelange Herumdoktern am DoSV ebenfalls einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen hat, so genau weiß das keiner. Zudem hat man sich in den vergangenen Jahren von einem einzigen Software-Dienstleister abhängig gemacht hat – bis zu personellen Verschränkungen in die Stiftung hinein. Künftig, so verspricht die Stiftung, soll das aufhören, man wolle echte Ausschreibungen machen und für die unterschiedlichen Teilaufträge unterschiedliche Anbieter finden.

Jetzt wird eine moderne Service-Plattform versprochen

Zusammen mit dem vernichtenden Bericht trugen Burckhart und das Management der Stiftung in Berlin auch vor, wie man aus dem Schlamassel herauskommen will. Diese „Vision“ ist im Grunde wieder die alte von vor zehn Jahren: Möglichst alle Hochschulen mit allen infrage kommenden NC-Studiengängen in ein gut funktionierendes DoSV zu bringen – ohne Bewerbungsstress mit unübersichtlichen Links, Eingabemasken und Bürokratendeutsch.

Also ein neuer Anlauf mit alten Zielen? Nicht nur. Tatsächlich will der Stiftungsrat, nachdem er endlich angefangen hat, mit der Vergangenheit aufzuräumen, noch mehr: Eine moderne Service-Plattform für die Hochschulen stelle er sich vor, sagt Burckhart, in der diese auch die Studienplatzvergabe für ihre Nicht-NC-Fächer verwalten können.

Studenten im Hörsaal der Uni Koblenz-Landau.
Studenten im Hörsaal bei der Erstsemesterbegrüßung.

© dpa

In der sie auch alle Studienleistungen ihrer Studierenden speichern können, in die sich diese jederzeit einloggen und ihre Notenlisten, sogenannte Transcripts, ausdrucken können. „Die Studierenden werden dabei gar nicht merken, dass sie auf der Seite der Stiftung sind, sondern die Hochschulen nutzen unser Angebot als Teil ihres eigenen Auftritts.“

Bevor die Hochschulen bereit wären, dabei mitzumachen oder die Wissenschaftsministerien, sie dazu zu verpflichten, müsste die Stiftung indes noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Und vor allem in einem ersten Schritt mal die Medizin-Studienvergabe hinbekommen. Den guten Willen wolle man den neuen Chefs gar nicht absprechen, sagt zum Beispiel Torsten Preuß, Leiter des Studierendensekretariats der Universität Köln. „Aber uns interessiert das konkrete Handeln mehr.“

Die nächste Bewährungsprobe kommt vor dem Wintersemester

Immerhin: Das von einigen prophezeite Chaos beim neuen Medizin-Zulassungsprovisorium ist bislang ausgeblieben. Die Stiftungsmitarbeiter mussten Wochenendschichten einlegen, das Portal musste ein paar Mal überraschend offline gestellt werden. Doch bis zum Bewerbungsschluss am 15. Januar konnten laut Stiftung alle Bewerbungen erfolgreich verarbeitet werden, auch die Erstellung der Ranglisten und die Zuteilung der Studienplätze habe hingehauen, sagt Burckhart – Letzteres mit drei Tagen Verspätung.

Doch einige große Fallstricke kommen noch. Schon in wenigen Tagen beginnt die Verteilung der bislang nicht angenommenen Medizin-Studienplätze zum Sommersemester. Oliver Herrmann, der administrative Geschäftsführer von „Hochschulstart.de“, sagt: „In allen Tests hat die Software funktioniert, aber das sind natürlich kleinere Fallgruppen.“ Die Hochschulen klagen derweil, es habe viel zu wenig Tests gegeben, außerdem seien die Tests zu spät angelaufen.

Richtig spannend wird es im Wintersemester, wenn statt jetzt zehn medizinischen Fakultäten über 30 an den Start gehen – mit einer Vielzahl an Studienplätzen und Bewerbern. „Das ist eine völlig andere Hausnummer“, gibt auch der Stiftungsratsvorsitzende Burckhart zu. Zur Not werde man die nötige Rechenkapazität in externen Rechenzentren einkaufen.

Fast scheint es, als seien die laufenden Baustellen zu groß, um parallel und zügig auch die Generalsanierung der Studienplatzvergabe angehen zu können. Doch die Stiftung muss es jetzt packen, damit „Hochschulstart.de“ endlich richtig an den Start gehen kann.

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