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Abfangjäger. Antikörper haben die Form eines Y. Die beiden oberen Enden passen wie ein Schlüssel zum Schloss zu einer Struktur auf Fremdkörpern im Blut, etwa Viren (grün). Aber auch das andere Ende spielt bei der Immunabwehr eine wichtige Rolle.

© imago/Science Photo Library

Immuntherapie: Schalter der Immunabwehr

Antikörper können Krebs stoppen – auch dank Jeffrey Ravetch, dem nächsten Robert-Koch-Preisträger.

Allenthalben sind öffentliche Geldgeber bemüht, Forschung in die Anwendung zu überführen. Ganze Institute werden der „Translation“ verschrieben, dem Übersetzen medizinischer Grundlagenforschung in Therapien. Schön und gut und wichtig. Doch dabei handelt es sich nicht um eine Einbahnstraße, so manches Behandlungskonzept pendelt jahrzehntelang zwischen Kliniken und Forschungsinstituten, bis es funktioniert. Wie wichtig solide, detailversessene Grundlagenforschung für eines der wichtigsten Therapiekonzepte, die Antikörperbehandlung, war und ist, zeigt die Geschichte von Jeffrey Ravetch. Erst durch die Arbeit des Biophysikers und Immunologen der Rockefeller University wurden Antikörper, die heute aus der Behandlung von Krebs- oder Autoimmunerkrankungen wie etwa Arthritis oder Schuppenflechte nicht mehr wegzudenken sind, so erfolgreich. Dafür wird er Anfang November in Berlin einen der weltweit renommiertesten Wissenschaftspreise, den mit 120 000 Euro dotierten Robert-Koch-Preis, bekommen, wie der Tagesspiegel erfuhr.

Die Abfangjäger des Körpers

Antikörper sind die Abfangjäger des Körpers. Gelangt etwa ein Virus in den Organismus, gibt es unter Abermillionen verschiedenen Antikörpern in Blut und Lymphe eines Menschen immer ein paar, die sich an der Oberfläche des Eindringlings festkrallen können, weil sie zufällig wie ein Schlüssel ins Schloss zu einem Molekül in der Virushülle passen. Schon der Charité-Forscher Emil von Behring ahnte in den 1870er Jahren, dass es Antikörper geben müsse. Er bezeichnete sie allerdings noch als „Gegengifte“ (Antitoxine). Hundert Jahre später hatte man die Antikörper zwar schon entdeckt und auch ihre typische Y-Struktur erkannt, aber ein entscheidendes Geheimnis blieb ungeklärt: Wie kann der menschliche Körper mit nur etwa tausend Antikörper-Genen Milliarden verschiedene Antikörper-Varianten herstellen, die praktisch jede mögliche Oberflächenstruktur eines Fremdkörpers erkennen können?

Erst in den 1970er Jahren lösten Forscher allmählich das Rätsel. In den heranreifenden B-Zellen des Immunsystems, von denen der Körper täglich Millionen neue bildet, werden die Antikörper-Gene nach dem Zufallsprinzip gewissermaßen neu gemischt wie Karten – und neu kombiniert. Dadurch wird jedes Antikörper-Molekül zu einer Art Schlüssel. Der „Bart“, das obere Ende des Y, passt nur zu einer bestimmten „Schloss“-Struktur, etwa auf einem Virus oder Bakterium. Das andere Ende, der „Griff“ des Schlüssels, ist hingegen immer gleich aufgebaut und galt als konstant – und irgendwie langweilig. So dachten es jedenfalls praktisch alle Forscher in den 1970ern und auch lange danach noch.

Forschen gegen den Mainstream

Nur Jeffrey Ravetch, damals Jungforscher in Washington, war skeptisch: „Die Evolution entwickelt so wichtige Moleküle nicht ohne Grund auf eine ganz bestimmte Weise.“ Während das Rätsel der Antikörper also offiziell für gelöst erklärt wurde und man sich daran machte, Antikörper als Medikamente zu nutzen, entschied sich der damals gerade 30-jährige Forscher, seine Karriere dem „langweiligen“, konstanten Ende der Antikörper zu widmen. Kollegen warnten ihn, er werde seine kostbare Zeit verschwenden. Doch Ravetch blieb stur. „Das ist die Schönheit der Wissenschaft, dass wir unserer Neugier nachgehen können“, sagt der gebürtige New Yorker.

Pure Spekulation war Ravetchs Schritt allerdings nicht. Er hatte Hinweise dafür, dass Antikörper nicht einfach nur wirken, indem sie Fremdkörper binden und irgendwie „verkleben“, sondern dass sie eher wie Späher agieren, die Immunzellen alarmieren, die dann Infektionen oder Krebszellen bekämpfen. 1982 gründete er sein eigenes Labor und es folgten zehn harte Jahre voller Experimente.

Alles andere als konstant

Tatsächlich entdeckte er auf Immunzellen Andockstellen (Rezeptoren), an denen die Stiele der Antikörper verankert werden können. Doch die Skepsis blieb. Der Durchbruch kam erst, als Ravetch Mäuse präsentierte, denen die Rezeptoren fehlten. Denn bei diesen Tieren funktionierten die Antikörper plötzlich nicht mehr. Entweder brachten sie keine korrekte Immunreaktion etwa gegen ein Virus oder Krebs mehr zustande. Oder die Abwehrreaktion war so stark, dass sie sich gegen den eigenen Körper richtete, also eine Autoimmunreaktion auslöste, wie sie bei Arthritis, Schuppenflechte oder der Hirnerkrankung Multiple Sklerose vorliegt.

„Die Idee, dass ein Antikörper eine Tumorzelle einfach nur erkennen muss, damit sie ‚tot umfällt‘, dieses Gedankenmodell brach mit diesem Experiment in sich zusammen“, sagt Falk Nimmerjahn, Professor für Experimentelle Immunologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, der eine Zeit lang bei Ravetch forschte. Ravetch hatte bewiesen: Antikörper erkennen ihr Ziel nicht nur, sondern sie regulieren die Reaktion der Immunzellen – mithilfe des konstantes Endes des Moleküls.“

Der „langweilige“ Teil der Antikörper (im Fachjargon Fc-Region) entpuppte sich als ein wichtiger Schalter, der bestimmt, was passiert, sobald der Antikörper einen Fremdkörper ergreift. Die Struktur des Fc-Endes bestimmt, ob die Immunreaktion stärker oder schwächer ausfällt. Über tausend verschiedene strukturelle Varianten des „konstanten“ Antikörperendes haben Ravetch und andere inzwischen entdeckt, die sich vor allem durch Anhängsel bestimmter Zuckermoleküle (Glykane) unterscheiden. „Die konstante Region der Antikörper ist alles andere als konstant“, sagt Ravetch.

Wirksamere Antikörper gegen Krebs

Für die therapeutische Anwendung von Antikörpern hat das wichtige Folgen: Die Entdeckung erklärt, warum Antikörper gegen Krebs oder gegen Schuppenflechte bei manchen Patienten funktionieren und bei anderen nicht: Bei einigen Menschen passt das Fc-Ende zufällig gut zu den Rezeptoren auf den Immunzellen, erklärt Immunologe Nimmerjahn. Andere haben weniger Glück. Ravetchs Forschung ermöglicht es, die Fc-Seite der Antikörper so zu gestalten, dass sie bei möglichst allen Patienten passt. Antikörper wie Rituximab gegen Lymphdrüsenkrebs oder Herceptin gegen Brustkrebs seien bereits „Fc-optimiert“, sagt Nimmerjahn. Ravetchs Erkenntnisse fließen auch bereits in das Design der modernen „Checkpoint-Inhibitoren“ ein – Antikörper, die die Bremsen des Immunsystems im Kampf gegen Krebs lösen können – und von Impfstoffen. Denn offenbar hängt der Erfolg eines Impfstoffs auch von der Struktur des Fc-Endes der Antikörper ab, die darauf reagieren.

So glücklich Ravetch darüber ist, dass seine Forschung therapeutisch so relevant ist, so „frustriert“ ist er darüber, wie lange es dauert, bis sie in der Klinik einsetzbar seien. „Es ist sehr schwer, seine Projekte in die klinische Anwendung weiterzuentwickeln“, sagt der Forscher, der sogar schon eine Firma gegründet hat. Sie heißt Macrogenics und soll das Wissen um die Fc-Region in Medikamente umsetzen. „Aber es dauert alles ewig.“

Nun will er einen vielversprechenden Antikörper gegen Krebs, der in der Klinik aber wegen eines falsch strukturierten Fc-Endes gescheitert ist, korrigieren und zu einem Medikament weiterentwickeln. Das Geld für die teure Produktion und die Tests bekommt der Forscher von den Treuhändern der Rockefeller University. Weder Pharmafirmen noch Risikokapitalgeber waren bereit, das Risiko einzugehen. Aber so leicht hat der sture New Yorker noch nie aufgesteckt.

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