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Impfstoffe gehören heute zu den am besten überwachten Arzneien überhaupt.

© Ole Spata/dpa +++ dpa-Bildfunk

Impfen und Nebenwirkungen: Das mulmige Gefühl vor der nächsten Impfung

Fragen nach der Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen sind berechtigt. Es ist aber eine Legende, dass diesen Fragen nicht sorgfältig nachgegangen würde.

Vorbehalte gegen das Impfen sind so alt wie das Impfen selbst. Als 1721 in Boston die Pocken wüteten, warb der puritanische Geistliche Cotton Mather für das „Inoculieren“, eine frühe Form der Pockenschutzimpfung. In der Bevölkerung Bostons „erhob sich dagegen ein schreckliches Geschrei“, so Mather. Es flog sogar eine Bombe durch sein Fenster, versehen mit der Botschaft: „Cotton Mather, verdammt seist Du, Du Hund; ich inoculiere Dich hiermit, mit einer Pocke für Dich.“ Mather überlebte, und die militante Impfgegnerschaft war geboren.

Aber auch wer keine Bomben wirft oder Impfbefürworter als von der Pharmaindustrie gedungene Lügner beschimpft, kann ein mulmiges Gefühl haben. Schon allein wegen des Umstands, dass man als gesunder Mensch ein Spritze bekommen soll. Und es kostet wirklich Überwindung, das eigene, wunderbare, hübsche und unberührte Baby stechen zu lassen.

Es hilft, die Sache möglichst nüchtern zu betrachten. Was wissen wir? Was wissen wir nicht?

Zunächst: Beim Impfen geht es – wie fast immer in der Medizin – um eine Abwägung von Risiken. Auf der einen Seite steht die Gefahr, sich mit einem gefährlichen Erreger zu infizieren, daran zu sterben oder an den Folgen der Erkrankung zu leiden. Auf der anderen Seite steht das Risiko, dass bei der Impfung selbst etwas schief geht, ein Impfschaden eintritt.

Impfen kann Nebenwirkungen haben - die meisten sind harmlos

Bei allen Impfungen, die die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland empfiehlt, ist diese Abwägung zugunsten des Impfens ausgefallen. Es ist sehr viel gefährlicher an Masern zu erkranken, als eine Masernimpfung zu erhalten. Viele (wirksame) Medikamente haben ein höheres Nebenwirkungsrisiko als die in Deutschland empfohlenen Impfungen. Impfstoffe gehören heute zu den am besten überwachten Arzneien überhaupt.

Aber es stimmt, Impfen kann Nebenwirkungen haben, auf die man gern verzichten würde: Schmerzen, Rötungen und Schwellungen an der Einstichstelle, in manchen Fällen Müdigkeit, Fieber, Kopf- oder Muskelschmerzen. Das ist gar nicht so selten, aber harmlos.

Interessant sind die Fälle, in denen es zu ernsthaften Komplikationen kommt, die „über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen“, wie es im Infektionsschutzgesetz heißt. Und tatsächlich ist sehr viel schiefgegangen, seit die Menschen vor Jahrhunderten mit dem Impfen begannen. In Lübeck starben Anfang der 1930er Jahre dutzende Säuglinge an Tuberkulose, mit der sie durch verunreinigten Impfstoff infiziert wurden. 25 Jahre später infizierte ein Impfstoff der Firma „Cutter“ 70.000 Kinder mit Kinderlähmung. 200 Menschen blieben lebenslang gelähmt, zehn starben.

Die Impfmedizin lernt aus Fehlern

Die Impfmedizin hat aber aus solchen Fehlern gelernt. Das Ergebnis dieses Lernprozesses ist eine engmaschige Überwachung der Herstellung, der Wirksamkeit und aller Verdachtsfälle von Impfkomplikationen und Impfschäden.

Allein die gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland rechnen Jahr für Jahr über 40 Millionen Impfungen ab. Und jährlich registriert das Paul-Ehrlich-Institut zwischen 3000 und 4000 Verdachtsfälle von Impfkomplikationen. Zu den häufigsten gemeldeten unerwünschten Reaktionen gehören die bereits genannten harmlosen Nebenwirkungen, das leichte „Aua“ im Oberarm. 2016 registrierte das PEI genau 1080 schwerwiegende Fälle, die im Verdacht stehen, mit einer Impfung zu tun zu haben. In diesen Fällen gab es 15 Tote und 53 bleibende Schäden. Betroffen waren somit 68 von 40 Millionen oder eine von 600.000 Impfungen.

Wir sind aber immer noch auf der Ebene Verdacht. Das PEI hat diese 68 Fälle untersucht. Zunächst zu den 15 Todesfällen: „In keinem einzigen Fall war ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und der berichteten Todesursache festzustellen“, teilte das PEI mit. Unter den 53 möglichen Impfschadensfällen waren 24, in denen ein Zusammenhang mit den Impfungen möglich, sehr wahrscheinlich oder unzweifelhaft war. Und diese Fälle waren nicht alle harmlos. Unter anderem wurde die Krankheit Narkolepsie mit der Anwendung des Schweinegrippe-Impfstoffs Pandemrix in Zusammenhang gebracht.

Ein Schaden pro 1,7 Millionen Impfungen

2016 gab es 24 Impfschäden bei 40 Millionen Impfungen – also grob aufgerundet ein Schaden pro 1,7 Millionen Impfungen. Dem steht die Zahl der vermiedenen Erkrankungen und Todesfälle gegenüber. Bevor Impfstoffe zur Verfügung standen, gab es Tausende von Poliofällen und Diphtherietoten, Kinder mit Masern-Enzephalitis und schwerhörige und unfruchtbare Mumps-Opfer. Jedes Jahr.

Impfgegner behaupten meist, die wahren Impfschäden würden in einer Riesen-Verschwörung von Big Pharma, den Regierungen fast aller Länder, allen Überwachungsbehörden, praktischen allen Wissenschaftlern und nicht zuletzt den Kinderärzten vertuscht und geleugnet. Es wird behauptet, Autismus und Multiple Sklerose, Plötzlicher Kindstod und Allergien würden durch Impfstoffe und die darin enthaltenen Konservierungs- oder Verstärkersubstanzen verursacht.

Manches, was man in erfolgreichen Impfbüchern oder auf zweifelhaften Internetseiten lesen kann, wirkt auf den ersten Blick gar nicht vollkommen abwegig. Man kann sich davon leicht verunsichern lassen. Die Antwort ist aber, dass all die oben genannten Behauptungen einer Überprüfung nicht standhalten. In vielen Studien sind diese Fragen untersucht worden. Das Robert Koch-Institut und seine Schwestern in anderen Ländern werten diese Untersuchungen sehr genau aus oder geben sie in Zweifelsfällen selbst in Auftrag. Tausende, manchmal zehntausende Fälle wurden ausgewertet. Der Gesundheitszustand von Geimpften wurde mit dem von Ungeimpften verglichen. Das Ergebnis solcher evidenzbasierter Forschung ist: Es gibt keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Impfungen und Allergien.

[Von den Autoren ist soeben ein Buch zum Thema erschienen: „Klartext: Impfen! – Ein Aufklärungsbuch zum Schutz unserer Gesundheit“, HarperCollins, 208 Seiten, 15 Euro.]

In der DDR herrschte – anders als in der Bundesrepublik Deutschland – eine gesetzliche Impfpflicht. Aber Allergien waren im Osten seltener als im Westen. Die Zahl der Allergien ist in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung angestiegen, während die Impfraten gesunken sind. Auch die Zahl plötzlicher Kindstode stieg mit der Einführung der Keuchhustenimpfung keineswegs an, sondern ging zurück.

MS und Autismus: Das hat mit Impfungen nichts zu tun

Über Autismus weiß man heute, dass die Prozesse, die diese Entwicklungsstörung hervorrufen, genetisch bedingt sind und bereits im Mutterleib beginnen – lange bevor ein Kind erstmals mit einem Impfstoff in Berührung kommt. Und für Multiple Sklerose gilt: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Autoimmunerkrankung bei Geimpften häufiger auftritt als bei Ungeimpften. Es gibt aber Fälle, in denen fallen Impfung und MS-Diagnose zeitlich zusammen. Noch häufiger ist das bei Autismus und Impfungen. Denn häufig erfolgt die Diagnose im zweiten Lebensjahr , wenn die Kinder gerade ihre Masern-Mumps-Röteln-Impfung erhalten.

Trotzdem hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Es gibt einen zeitlichen, aber keinen kausalen Zusammenhang. Überspitzt gesagt, könnte man genauso gut die Hersteller von Roter Bete in Dosen für eine MS-Erkrankung verantwortlich machen, wenn der Erkrankte vier Wochen vor seiner Diagnose Rote Bete gegessen hat. Nur stellt diesen Zusammenhang eben niemand her, weil Rote Bete bei den meisten Menschen nicht das gleiche Unbehagen auslöst wie Impfungen.

Wo die Forschung noch am Anfang steht

Bei bestimmten Impfungen – denen mit Totimpfstoffen – werden Wirkverstärker, etwa Aluminiumsalze, eingesetzt, um die Immunantwort zu verstärken. Und natürlich wird auch über sie behauptet, sie lösten schlimme Erkrankungen aus. Auch hier sagt die evidenzbasierte Medizin: In all den Jahrzehnten, in denen Aluminiumhydroxid oder -phosphat eingesetzt werden, gibt es keine Hinweise auf eine schädigende Wirkung. Denn die Menge Aluminium, die wir mit der Nahrung aufnehmen, übersteigt die aus Impfstoffen um ein Vielfaches. Es gibt Menschen, die reagieren auf die Verbindungen allergisch – aber das gilt für alle Medikamente.

Es gibt Anlass, noch genauer hinzusehen. Beispielsweise gibt es starke Hinweise darauf, dass Impfstoffe sogenannte unspezifische Schutzeffekte haben: Impfungen gegen Tuberkulose oder Masern schützten beispielsweise nicht nur vor diesen Erregern, sondern verringerten auch die Wahrscheinlichkeit, an anderen Infektionen zu erkranken. Das wäre sehr schön – und ein weiteres Argument für Impfungen. Umstritten sind Untersuchungen, die einen gegenteiligen Effekt beschreiben. Die Forschung steht hier noch am Anfang. Und die WHO unterstützt Evidenzmediziner bei der Aufklärung dieser möglichen Effekte.

Fragen nach der Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen sind berechtigt. Es ist aber eine Legende, dass diesen Fragen nicht sorgfältig nachgegangen würde. Es mag mitunter der Fall sein, dass Ärzte die Bedenken ihrer Patienten bei einer Impfentscheidung ungeduldig oder sogar barsch abtun. Nicht selten landen diese dann bei Ärzten, die dem Impfen kritisch oder sogar ablehnend gegenüberstehen, weil sie dort „endlich verstanden werden“. Das allerdings ist dann ein eindeutig negativer Effekt der Impfmedizin.

Thomas Schmitz, Sven Siebert

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