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Einfach gestrickt. Ein Paalsteg ist für einen Mathematiker eine "Kurve im Raum".

© Butch - Fotolia

Im Reich der Unknoten: Knoten: Die Fragen, das Wort, die Geschichte

Nicht nur Segler oder Sportler beschäftigen sich mit Knoten. Auch Mathematiker faszinieren die komplizierten Gebilde, besonders die Frage, wann ein Knoten sich entwirren lässt. Von Knoten, Knäueln und Krawatten.

Der König Gordios von Phrygien hatte eine besondere Beziehung zu seinem Streitwagen. Und so stellte er ihn in den Tempel des Zeus, wobei er die Deichsel mit einem kniffligen Knoten festband. Wer ihn löste, dem wurde die Weltherrschaft versprochen. Es gibt zwei Versionen davon, wie die Lösung vonstatten ging: Die erste erzählt davon, dass Alexander der Große 334 v. Chr. den Knoten mit dem Schwert durchschlug und danach halb Asien eroberte. In Version Nummer zwei wird behauptet, Alexander habe erkannt, dass er nur einen Pflock aus dem Knoten herausziehen musste – und der Knoten löste sich von selbst.

Der Kampf mit Verknotetem gehört bis heute zum Alltag der Menschen: Wir rollen Spaghetti manierlich mit der Gabel auf und fieseln Kopfhörerkabel mühevoll auseinander. Wir binden unsere Schuhe, schnüren Pakete und Geschenke, knoten Krawatten und Fliegen. Manche Menschen tragen verschlungene Frisuren, andere knüpfen Teppiche. Segler machen ihr Boot mit einem Paalstek fest, Kletterer sichern sich mit Prusikknoten oder verbinden zwei Seile mit einem Sackstich. Wir rollen Spaghetti manierlich mit der Gabel auf und fieseln Kopfhörerkabel oder Schnürsenkel mühevoll auseinander.

Die Mathematiker nahmen den Knotenkampf erst im 19. Jahrhundert auf, auf Anregung der Physiker. Denn zu den ersten Knoten, die in den Naturwissenschaften untersucht wurden, gehörten hypothetische Kringel aus Ätherwind, die durch ihre unterschiedlichen Verschlingungen die verschiedenen Arten von Atomen erzeugen sollten. Die Idee stammte vom Physiker William Thomson, den man heute als Lord Kelvin kennt.

Die Mathematiker abstrahierten von den unzähligen realen Knoten. Während ein Krawattenknoten geradezu davon lebt, dass er Volumen besitzt, gehen Mathematiker von einem beliebig dünnen Faden aus. So wurde aus den Knoten des Alltags ein mathematisches Gebilde: hauchdünne, geschlossene Kurven im Raum, die beliebig gedehnt und deformiert werden dürfen, sich aber dabei nicht selbst durchdringen.

Plastisches Modell eines Knotens.
Plastisches Modell eines Knotens.

© John Sullivan

Zunächst faszinierte die Forscher die Vielfalt der Knoten und ihrer zweidimensionalen Abbildungen, der Knotendiagramme. Die Pioniere des Feldes zeichneten immer neue Knotenbilder und fragten sich, wann sie zwei wirklich unterschiedliche Knoten zeigen und wann nicht. Sie betrieben regelrecht eine „Zoologie der Knotendiagramme“.

Auf diese Weise entstanden seitenlange Tabellen von Primknoten, also Knoten, die eben nicht durch Aneinanderkleben von einfacheren Knoten zu bekommen sind. 1876 zum Beispiel veröffentlichte Peter G. Tait, ein Mitarbeiter von Kelvin, alle Knotendiagramme mit bis zu sieben Überschneidungen, 1899 hatten er und der Amerikaner Charles Newton Little systematisch alle Knotendiagramme mit bis zu zehn Überschneidungen gezeichnet.

Arbeit dieser Art fasziniert die Knotentheoretiker bis heute: 1974 fand der Hobby-Knotentheoretiker Kenneth Perko in den Tait-Little-Tabellen eine Dopplung, die bis dahin allen Mathematikern entgangen war. Und 1998 traten zwei Teams von amerikanischen Mathematikern gegeneinander an, um alle Knoten bis zu 16 Überschneidungen zu katalogisieren. Sie arbeiteten unabhängig voneinander mit verschiedenen Methoden und kamen zu exakt demselben Ergebnis: einer Liste von 1 701 936 Knotendiagrammen.

Die Abbildung rechts zeigt die acht Knotendiagramme mit bis zu sechs Überschneidungen – also Bilder von Knoten, die aussehen, als seien die dreidimensionalen Knoten zwischen zwei Buchdeckel geraten. Spiegelbilder oder Knoten, die durch Aneinanderkleben der gezeigten Knoten entstehen können, wurden weggelassen. Viele dieser Knoten haben Namen: So wird 01 der „Unknoten“ genannt, weil er eigentlich gar nicht verknotet ist, 31 der Kleeblattknoten und 41 der Achterknoten.

Inzwischen interessieren sich Mathematiker auch für reale Knoten. Die Probleme werden dadurch allerdings nur komplizierter, denn reale Knoten haben zum Beispiel eine gewisse Länge. Die Physiker Thomas Fink und Yong Mao landeten mit einer Knotentabelle, die darauf basierte, 1999 sogar einen Bestseller: In ihrem Buch über „Die 85 Methoden eine Krawatte zu binden“ bewiesen sie, dass mit der handelsüblichen Krawattenlänge nicht mehr als 85 verschiedene Knoten möglich sind.

Es kann auch sein, dass ein verknoteter Faden eine elektrische Ladung besitzt, die verhindert, dass der Faden sich selbst an Überkreuzungen allzu nahe kommt. Das führt zu komplizierten mathematischen Fragen wie: „Wie lang muss ein Draht bei einem gewissen Durchmesser sein, um daraus einen bestimmten Knoten biegen zu können?“ Die Ergebnisse dieser Forschung fließen vor allem in die Molekularbiologie ein, wenn Forscher vorherzusagen versuchen, in welche Form sich ein Eiweißfaden faltet.

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Vor hundert Jahren spielten solche Dinge noch keine Rolle. Die Knotentheorie entwickelte sich in Windeseile zum Spielfeld für Sammler und Sortierer. In der Anfangszeit arbeiteten an dieser Sortierarbeit sogar Laien mit. Sie fragten sich: Sind die Knotentabellen von Tait und Co. vollständig und enthalten sie Dopplungen? Wie kann man feststellen, ob zwei Bilder ein und denselben Knoten zeigen? Dahinter steckt im Prinzip die Frage von Alexander: Sind alle Knotendiagramme wirklich so kompliziert wie sie aussehen, oder kann man sie vereinfachen – am Ende gar zu einem Unknoten? Wie kann man überhaupt herausfinden, ob ein Knoten ein Unknoten ist? Gibt es auch für den umgekehrten Fall einen einfachen Beweis? Und wie stellt man einen gegebenen Knoten mit möglichst wenigen Überschneidungen dar? Das sind die Gordischen Fragen der Knotentheorie!

Es sind schwierige Fragen, insbesondere, wenn man sie ohne viel Theorie und gute Methoden in Angriff nehmen muss. So waren die ersten Erfolge noch bescheiden: Im Jahr 1914 gelang es dem deutschen Mathematiker Max Dehn zu beweisen, dass der Kleeblattknoten und seine gespiegelte Version zwei unterschiedliche Knoten sind, der eine also nicht in den anderen überführt werden kann; er brauchte dazu elf Druckseiten. Dabei profitierten Dehn und seine Nachfolger davon, dass die Knotentheorie sich nicht als isolierte Kuriosität entwickelte, sondern eingebettet in eine der mächtigsten Theorien der Mathematik überhaupt, der Algebraischen Topologie: Ein riesiger Werkzeugkoffer voll geometrischem und algebraischem Handwerkszeug zur Konstruktion, Untersuchung und Unterscheidung von Kurven, Flächen und ihren Verformungen.

In dieser Pionierzeit in den 1920er Jahren machten der Brite James Alexander, Mathematiker und Sohn eines Kunstmalers, und der deutsche Kombinatoriker Kurt Reidemeister die nächsten entscheidenden Schritte in der Knotentheorie. Beide nutzten Mittel aus Topologie und Algebra und beschrieben (vermutlich unabhängig voneinander) 1926 drei einfache Operationen von Knotendiagrammen – die heute sogenannten Reidemeister-Bewegungen. Wenn ein Knotendiagramm einen unnötig verworrenen Unknoten zeigt, dann kann man es mit endlich vielen Reidemeister-Bewegungen entwirren, das bewiesen Reidemeister und Alexander. Aber wie viele Bewegungen man braucht, wenn man Pech hat, und wie man die Bewegungen findet, das konnten sie nicht sagen. „Die Lösung scheint aber noch in weiter Ferne zu liegen“, schrieb Reidemeister 1926. Tatsächlich ist bis heute kein Verfahren bekannt, das die Reidemeister-Bewegungen zum Entwursteln von Knoten gezielt ausnutzt – sie sind zwar anschaulich, aber eine mathematische Sackgasse. Keine Option für Alexander den Großen.

Man begann daher schon früh nach Alternativen Ausschau zu halten. Eine Idee: Kann man vielleicht für Knotendiagramme eine Art mathematischen Fingerabdruck, Invariante genannt, definieren, der für alle Knotendiagramme gleich ist, wenn man sie mit Reidemeister-Bewegungen ineinander überführen kann? Wenn dann zwei Bilder von Knoten unterschiedliche Invarianten haben, dann sind die Knoten auch wirklich verschieden, also nicht ineinander deformierbar.

Doch dann landete 1961 der Mathematiker Wolfgang Haken einen mathematischen Coup, die Lösung des ersten der Gordischen Knotenprobleme: er veröffentlichte einen Algorithmus – also ein Rechenschema, das man zum Beispiel auch für einen Computer programmieren könnte – mit dem man für jedes Knotendiagramm entscheiden kann, ob es einen Unknoten zeigt oder nicht. Haken verwendete dazu Mittel der Topologie, besonders ein Ergebnis von Herbert Seifert aus den 1930er Jahren: Wenn ein Knoten trivial ist, dann kann man in ihn eine einfache Fläche einspannen, die von dem Knoten begrenzt wird. So eine Fläche gibt es für den einfachen Ring, und wenn man den Knoten deformiert, dann kann man die Fläche mitführen.

Obwohl Haken zehn Jahre an dem Resultat gearbeitet hatte und seine Lösung des Problems richtig war, blieb ihm die Anerkennung für die Meisterleistung zunächst verwehrt. Seine Beschreibung der Lösung war nämlich sehr schwer zu verstehen, 131 Seiten lang und auf Deutsch verfasst. Erst Ende der 1990er Jahre grub eine Gruppe von drei amerikanischen Mathematikern den Algorithmus wieder aus. Joel Hass, Jeff Lagarias und Nick Pippinger betrachteten in einem Aufsatz von 1999 Hakens Algorithmus als eine Art Maschine, die für jeden noch so kompliziert verschlungenen Unknoten relativ kurze „Beweise“ dafür produziert, dass der betreffende Knoten der Unknoten ist. Diese Beweise untersuchten sie. Ergebnis: Die Beweise sind zwar erfreulich kurz, doch um sie zu finden, braucht Hakens Algorithmus unter Umständen sehr, sehr lange.

Ungeklärt blieb zunächst, was es denn zu „sehen“ gibt für den Fall, dass sich der Knoten nicht durch die Reidemeister-Bewegungen zu einer einfachen Schlinge entwirren lässt – bis vor wenigen Monaten Greg Kuperberg von der Universität von Kalifornien in Davis entdeckte, dass es auch für solche Knoten „Zertifikate“ gibt, die zwar vielleicht schwer zu finden sind, sich aber schnell lesen und überprüfen lassen. Wenn ein Knoten also nicht trivial ist, dann gibt es auch dafür einen kurzen Beweis. Das heißt: Für jeden Knoten lässt sich ein Zertifikat herstellen, das eindeutig belegt: Dieser Knoten ist der Unknoten, oder: Dieser Knoten ist komplizierter als der Unknoten. Das einzige Problem: Für den Beweis nutzte Kuperberg auch die Riemann-Vermutung, eines der größten Rätsel der Mathematik, denn sie ist bis heute nicht bewiesen.

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Unklar ist auch noch, wie schnell man die Zertifikate finden kann. Doch womöglich steht der gordische Knoten kurz davor, aufgelöst zu werden. Im letzten Oktober hat Chad Musick, ein Doktorand an der University Nagoya in Japan, einen Aufsatz mit dem Titel „Recognizing trivial links in polynomial time“ vorgelegt, von dem er behauptet, das ultimative Gordische Problem zu lösen. Musick glaubt nämlich, dem antiken Alexander mit einem mathematischen Verfahren auch für komplizierte Knoten schnell und garantiert richtig sagen zu können, ob sich sein Knoten ohne Schwert entwirren lässt – er behauptet, die Zertifikate schnell zu finden. Zwar zweifelte Greg Kuperberg an der Richtigkeit der Lösung von Musick, doch seit 28. April liegt eine revidierte Version des Aufsatzes vor. Die Experten sind am Lesen und Durchdenken. Wenn sie die verschiedenen Fäden der Argumentation verfolgt und entworren haben, dann stellt sich möglicherweise ein wahrlich Gordischer Knoten als Unknoten heraus.

Kernfragen der Knotentheorie sind: Kann man einen gegebenen Knoten vereinfachen ohne ihn zu durchschneiden? Kann man entscheiden, ob ein Knoten in Wirklichkeit eine einfache Schlaufe ist?

Unter einem Knoten versteht man in der Mathematik meist eine geschlossene Schlinge aus einem unendlich dünnen Faden, der sich nicht selbst durchdringt. Ein Knotendiagramm ist das zweidimensionale Bild eines Knotens, ein Link eine Kette aus Knoten.

Die Knotentheorie startete im 19. Jahrhundert mit der Untersuchung von Kringeln im Äther, mit denen man Atome erklären wollte. Inzwischen ist sie zu einem mächtigen Gebiet herangewachsen – mit engen Verbindungen zu Stringtheorie und Quantentheorie.

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