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Riss im Gemäuer. Bei Erdbeben, die die von Menschen herbeigeführt werden, können durchaus Schäden an Gebäuden auftreten. Die meisten sind jedoch von geringerer Intensität. Aber sie sind wahrnehmbar - auch das verunsichert die Menschen.

© mauritius images

Induzierte Erdbeben: Wenn der Mensch die Erde zum Beben bringt

Wenn die Erde erzittert, ist das nicht immer das Werk der Natur. Auf der Suche nach Energie und Rohstoffen löst auch der Mensch Erschütterungen aus. Noch streiten Forscher, wie man sie vermeiden oder steuern kann.

Summend fährt die Gondel in die Bergstation der Schatzalpbahn, inmitten der Alpenidylle oberhalb von Davos. Statt Touristen bringt sie jedoch besorgte Geophysiker zu ihrem Tagungshotel. Noch nie sind so viele zu dem alljährlichen Treffen angereist, am liebsten wären sie ganz unter sich. Denn die Wissenschaftler haben ein Problem. Erdbeben sind keine Domäne der Natur mehr. Weltweit häufen sich spürbare Erschütterungen, die der Mensch verursacht hat. Zwar sind es noch Ausnahmen, gut 99,999 Prozent aller Erdbeben sind bis heute natürlichen Ursprungs. Aber ihre Zahl wächst. Laut einer Studie der New Yorker Denkfabrik „Think Geohazards“ hat sich ihre Zahl in den letzten 50 Jahren von einem auf zehn pro Jahr erhöht. Nun entwickeln sich in Oklahoma und Kansas neue Bebenserien. Dort, wo Erdbeben vor 20 Jahren so selten waren wie in Mitteleuropa, bebt es inzwischen häufiger als in Kalifornien.

Giftige Flüssigkeiten in die Tiefe gepumpt

Amerikanische Forscher sollten sich eigentlich mit den menschengemachten Erdbeben auskennen. Seit 1962 spürten die Einwohner der Großstadt Denver in Colorado immer wieder Erdbeben; Scheiben gingen zu Bruch. Damals konnten die Seismologen vom US Geological Survey (USGS) beweisen, dass die Beben wohl von der Rocky-Mountains-Chemiewaffenfabrik ausgelöst wurden. Das Militär musste enorme Mengen toxischer Flüssigkeiten entsorgen und pumpte diese dafür über dreieinhalb Kilometer tief in das Gestein. Die Bebenserie von Denver begrub ein Dogma der Seismologie. Der Mensch kann mittelschwere Erdbeben bis zu einer Stärke von 5,3 verursachen.

Auf der Schatzalp geht es wieder um den mittleren Westen der USA: In Oklahoma steigt seit 2009 die Zahl der Erdbeben immer weiter. Im letzten Jahr registrierten Messgeräte 15 Erdbeben pro Woche, die meisten davon waren gerade so spürbar. „Die betroffene Gegend ist eher ländlich, mit wenigen Bauernhöfen“, sagt William Ellsworth. „Aber natürlich sorgen sich die Menschen, die dort leben.“ Auch die Seismologen sind beunruhigt, zumal sich eine ähnliche Entwicklung im Nachbarstaat Kansas andeutet. Dort gab es allein innerhalb des Jahres 2014 ähnlich viele Beben wie in Oklahoma.

Beim Fracking fallen gewaltige Mengen Abwasser an

Wie diese Bebenserien entstehen, war lange heftig umstritten. Zwar haben die Erdstöße in Oklahoma fast zeitgleich mit dem Fracking-Boom in den USA begonnen. Vielerorts bohren Arbeiter tausende Meter tiefe Löcher ins Gestein, um mit hinabgepresstem Wasser fest in Schiefergestein gebundenes Erdgas herauszutreiben. Doch etliche Studien deuten darauf hin, dass das Fracking nicht direkt ursächlich ist, sondern dabei entstehendes Abwasser. Denn mit dem Gas dringt Salzwasser nach oben, das mit natürlichen Schadstoffen aus der Tiefe und den teils toxischen Zusätzen der Gasförderung versetzt ist. „Manchmal kann dieses Abwasser gereinigt werden, um Felder zu bewässern oder es in Flüsse zu leiten“, sagt der USGS-Forscher Justin Rubinstein. „Aber die anfallenden Mengen sind gewaltig.“ Laut der amerikanischen Umweltbehörde müssen landesweit jedes Jahr fast drei Milliarden Kubikmeter Abwasser entsorgt werden. Das ist so viel Wasser, wie der Zürichsee fasst. Das meiste wird in die Tiefe gepumpt. „Es ist der einzige praktikable Weg“, sagt Rubinstein.

Anscheinend ist Gestein ein idealer Müllschlucker. In vielen Regionen weltweit gibt es wie im mittleren Westen poröse Gesteine, die Flüssigkeiten bereitwillig aufnehmen. Im Werragebiet zwischen Thüringen und Hessen entsorgt so zum Beispiel ein Bergbauunternehmen salziges Wasser in der Tiefe; offenbar ohne seismische Probleme. In den USA gibt es heute 144 000 dieser Schluckbrunnen. Spürbare Erdbeben registrieren Seismologen nur an einzelnen Bohrlöchern.

Der Druck in den Rissen steigt - bis es zum Bruch kommt

Meist wird das natürlich vorkommende Salzwasser im Untergrund einfach verdrängt. In Oklahoma und Kansas dagegen passiert offenbar mehr. Das Gestein ist voller Risse, die vor Jahrtausenden oder Jahrmillionen entstanden sind. Wird immer mehr Flüssigkeit in den Untergrund gepresst, geht das Wasser den Weg des geringsten Widerstands und erhöht so den Druck in den Rissen. Wenn diese ohnehin unter Spannung stehen, ruckt irgendwann das Gestein (siehe Grafik). Ein Erdbeben.

So löst der Mensch Erdbeben aus.
So löst der Mensch Erdbeben aus.

© Swiss Seismological Service/TSP

In Mitteleuropa sind solche menschengemachten Erschütterungen noch selten. So klirrten im pfälzischen Landau im Sommer 2009 nach zwei schwachen Beben Gläser in den Schränken. Schuld war hier die Geothermie: Arbeiter hatten kurz zuvor in drei Kilometern Tiefe einen Riss im Gestein angebohrt und kühles Wasser hinabgepumpt, um in einer zweiten Bohrung heißes Wasser zu fördern.

Außerdem verursacht der Bergbau viele Erdbeben. Im Ruhrgebiet geben etliche alte Kohlestollen nach. Pro Jahr entschädigt der Bergbaukonzern RAG rund 35 000 Hausbesitzer, die durch Bergbaubeben Schäden erlitten haben. Auch bei der gewöhnlichen Erdgasförderung gibt es Beben, ganz ohne Fracking-Abwasser. Besonders im niederländischen Groningen, dem größten Erdgasfeld in Europa, sinkt das geleerte Gestein ab. Die niederländische Regierung ließ in den letzten Monaten nach kleineren Beben immer wieder die Förderung drosseln, um keine größeren Probleme zu riskieren.

Die Erdkruste wird immer intensiver genutzt

Trotz allem führt wahrscheinlich kein Weg daran vorbei, die fragile Erdkruste in Zukunft weitaus stärker auszubeuten. Egal ob für Erdwärme, Speicher für das Treibhausgas CO2 oder Erdgas. Für all diese Technologien wird das Gestein angebohrt, leergepumpt oder aufgebrochen. Die Zahl spürbarer Erschütterungen könne dennoch verringert werden, meinen Forscher. Zum Beispiel indem man gefährliche Risse meidet. „Wenn ich keine geologische Störung habe, kann ich kaum größere Beben auslösen“, sagt Joachim Ritter, Geophysiker am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Leider sind für die Geothermie günstige heiße Gesteine meist rissig und befinden sich in der Nähe von Siedlungen, die sie mit Wärme versorgen sollen. Das bestätigt der Unternehmer Horst Kreuter, der mehrere dieser Kraftwerke in Südwestdeutschland plant: „Sie finden in Mitteleuropa keine Flächen, wo niemand in der Nähe wohnt und ein Erdbeben spüren könnte.“

Forscher diskutieren: Sollte man sich einfach damit abfinden, dass es immer mehr menschgemachte Beben gibt?

Sollte man die Beben also einfach in Kauf nehmen? Diesen geradezu fatalistischen Weg diskutieren amerikanische Seismologen durchaus wohlwollend. Schließlich sind in vielen natürlichen Erdbebengebieten spürbare Erschütterungen ganz normal. In Kalifornien oder Japan richten selbst mittelschwere Beben kaum Schäden an. Auch die Menschen im mittleren Westen sind es gewohnt, mit Naturkatastrophen umzugehen. „In diesem Teil der Vereinigten Staaten sind Tornados das größte Problem“, sagt William Ellsworth. „Die Erdbeben sind dagegen eine kleine Störung, die dazukommt.“

Forscher wollen die Stärke der Erschütterungen steuern

Die Bauvorschriften vor Ort müssten dann allerdings geändert werden. In Oklahoma und Kansas hieße das, von einem fast erdbebenfreien Zustand auf ein hoch riskantes Erdbebengebiet zu wechseln. Genau diese Anpassung erwägt der geologische Dienst USGS zur Zeit. Wenn sich die Behörde dazu durchringt, hätte das weitreichende Folgen für Versicherungen. Deshalb zögern die Seismologen – und das trotz der laufenden vom Menschen gemachten Erdbebenserie.

Forscher spielen derweil mit einem weiteren Gedanken. Sie wollen die Stärke der Erdbeben steuern. Denn wo der Mensch ins Gestein eingreift, sollte sich dessen Reaktion beeinflussen lassen. Dafür verteilen sie ein dichtes Netz seismischer Messstationen um jedes Bohrloch, das selbst schwache und nicht spürbare Erschütterungen aufzeichnet. Häufen sich diese, können Arbeiter die Eingriffe ins Gestein reduzieren und so Schlimmeres verhindern. Bei Erdwärmebohrungen könnte das klappen: In Insheim bei Landau pumpen Arbeiter behutsamer Wasser zurück in eine Störung, aus der sie zuvor heißes Wasser gefördert haben.

Frühwarnsystem für Erdbeben

Doch möglicherweise war das nur Glück. Ähnlich wie bei den vielen tausend erschütterungsfreien Abwasserbrunnen in den USA. Die Idee, Erdbeben zu steuern, betrachten Seismologen deshalb vorsichtiger als die Betreiber. Denn jede hinabgepumpte Flüssigkeit kann sich in der Tiefe über mehrere Kilometer ausbreiten. Sie durchströmt ein riesiges Gesteinsvolumen, samt unzähliger Risse, Spalten und großer Störungen. „Das sind geologische Strukturen, die wir meist kaum verstehen“, sagt William Ellsworth. „Wir bräuchten völlig neue Technologien, um Erdbeben zu steuern.“

Diese haben gerade das Labor verlassen und sind längst nicht alltagstauglich. Im Juni berichten etwa französische Forscher im Fachblatt „Science“, dass sie ein selbst ausgelöstes Erdbeben mit enormer Messtechnik untersucht haben. Das Gestein habe sich völlig vibrationsfrei bewegt. Diese Bewegung könne man in einigen Jahren vielleicht als Frühwarnsystem für Erdbeben nutzen.

Niemand weiß, wie lange die Erde benötigt, um zur Ruhe zu kommen

Anders als überschaubare Erdwärmebohrungen beeinflussen Brunnen für Fracking-Abwasser allerdings sehr viel Gestein. Dafür wäre ein Messnetz nötig, das heutige Seismometernetzwerke weit übertrifft. Hollands Chefseismologe Bernard Dost will gar nicht darüber nachdenken, was das für das Gasfeld Groningen bedeuten würde: „Das wäre extrem aufwendig und ist kaum realistisch.“ Zudem ist unbekannt, wie schnell sich die Beben reduzieren lassen. „Es sollte weniger Erdbeben geben, wenn wir einfach weniger Erdgas fördern“, sagt Dost. „Aber dauert es nur einige Monate, bis die Erdbeben stoppen? Fünf Jahre? Oder sieben Jahre? Wir wissen es nicht.“

Bevor aufwendige technische Lösungen für die Erdbeben geplant werden, solle man erst einmal über die Ursachen nachdenken, mahnt der KIT-Geophysiker Joachim Ritter. Denn menschengemachte Erdbeben entstehen durch unseren Hunger nach Energie und Rohstoffen. „Darüber sollte die Gesellschaft diskutieren.“ William Ellsworth ist skeptisch. Bevor er sich wieder in die Gondel der Schatzalpbahn setzt und nach Hause fliegt, blickt er nachdenklich in die Ferne. „Die von den Beben betroffenen Menschen hängen wirtschaftlich stark von der Gasindustrie ab“, sagt er. Ohne neue Technik werde es einfach weiter beben.

Karl Urban

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