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Wider das Virus. Deutschland gilt seit 2008, dem Jahr, aus dem dieses Bild aus Hessen stammt, als tollwutfrei. Eine Initiative mehrerer Organisationen will nun erreichen, dass bis 2030 weltweit kein Mensch mehr fürchten muss, an der Krankheit zu sterben.

© imago stock and people

Infektion durch Rabiesvirus: Ein Plan gegen die Tollwut - doch wer bezahlt?

Eine internationale Allianz will bis 2030 die Menschheit von der Tollwut befreien. Aber das Vorhaben hat Schwächen.

Es ist früh am Morgen. Neben dem Pasteur-Institut in Antananarivo lugt die Sonne gerade über dem haushohen Bambushain hervor. Vor der Tollwutambulanz, einem alten Backsteingebäude, hat sich bereits eine Schlange gebildet. Die erste Patientin ist eine Frau mittleren Alters. Sie hat dunkle Ringe unter ihren müden Augen. Die Kleidung ist abgetragen, die nackten Füße stecken in Sandalen aus alten Autoreifen. Sie stammt aus dem Distrikt Antsohihy, dem trockenheißen Nordwesten Madagaskars. Drei Tage und Nächte war sie im überfüllten Kleinbus unterwegs.

Hundebiss

Auf dem Weg zum Markt, so berichtet die Frau, ist sie von einem Hund in den rechten Unterschenkel gebissen worden. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sie erinnerte sich, dass einige Monate zuvor ein Bekannter ebenfalls von einem Straßenhund gebissen worden war. Nach einigen Wochen veränderte sich sein Verhalten. Er wurde zunehmend aggressiv, kam ins Bezirkskrankenhaus. Die ausgeprägte Aggressivität, hatten die Ärzte gesagt, könnte eine beginnende Tollwut sein. Bis das Ergebnis der Laboruntersuchungen die Verdachtsdiagnose bestätigte, hatte der Tollwütige bereits einen anderen Patienten gebissen.

Die Frau entschloss sich, sofort in die Hauptstadt zu fahren, um sich im Pasteur-Institut impfen zu lassen. Das Geld für die Reise musste sie sich leihen. Die 410.000 Ariary, fast ein Monatseinkommen, seufzt die Patientin, hätte sie sich sparen können, wenn im Bezirkskrankenhaus Impfstoff vorrätig gewesen wäre.

60.000 Todesfälle

In der Ambulanz zeigt sich als Momentaufnahme, was die tödlichste viral bedingte Infektionskrankheit in den Ländern des globalen Südens ausmacht: In 99 Prozent der Fälle ist der Biss eines tollwütigen Hundes die Ursache der Erkrankung des Menschen. Wird danach nicht umgehend geimpft, ist der Tod unausweichlich. Alle neun Minuten stirbt ein Mensch einen unvorstellbar qualvollen Tollwut-Tod. Fast 60.000 Todesfälle sind das pro Jahr. 95 Prozent aller Tollwuterkrankungen treten in Afrika und in Asien auf, die restlichen in Südamerika und nur sehr wenige im pazifischen Raum. Europa gilt als praktisch tollwutfrei. Für Deutschland ist es genau zehn Jahre her, dass es diesen Status von der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) offiziell bekam.

An Tollwut erkranken vor allem Menschen, die im Hinterland ärmerer Länder leben. Hunde sind hier aus dem Alltag nicht wegzudenken: Sie bewachen den Hof und halten das Gelände frei von Ratten und anderen Nagern, gehören aber oft niemandem wirklich und werden kaum gefüttert. In Madagaskar streunen unzählige Tiere, dürr und mit hungrigen Augen und struppigem Fell durch das Land und suchen an Straßenrändern und auf Marktplätzen nach Fressbarem.

Vampire

Infrastruktur zur Versorgung der Bisswunde – was, korrekt ausgeführt, Infektionen verhindert – existiert häufig nicht. Ein veterinärmedizinischer Dienst, der Tiere in Obhut nimmt, fehlt. Derzeit ist die Situation so, dass Krankenhausapotheken die Impfstoffvorräte oft schon vor Monaten ausgegangen und Lieferungen nicht in Sicht sind. Entweder fehlt die Logistik für ununterbrochen gekühlten Transport oder das Gesundheitsministerium hat kein Geld, um Impfstoff zu kaufen.

Die Übertragungswege und übertragenden Tiere sind nicht überall die gleichen. In Südamerika beispielsweise wird das Tollwut-Virus auch durch blutsaugende – und möglicherweise auch durch Insekten fressende – Fledermäuse weitergegeben. Bei nächtlichen Blutmahlzeiten übertragen Vampir-Fledermäuse den Erreger direkt auf Menschen, oder das Virus infiziert Menschen indirekt über von Fledermäusen gebissene Nutz- und Wildtiere. In Südostasien wiederum sind Makaken ein wichtiges Erregerreservoir. Sie haben sich vielerorts an das städtische Umfeld gewöhnt, bevölkern Parks und Tempelanlagen und nerven Bürger und Besucher mit aggressivem Verhalten. Manchmal beißen sie. Danach sollte geimpft werden.

Saubermachen

Könnte man, so wie es in Europa offensichtlich gelungen ist, der Tollwut als den Menschen bedrohende Krankheit weltweit ein für alle Mal ein Ende setzen? Bei der Weltgesundheitsorganisation, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen und der schon erwähnten OIE ist man durchaus dieser Meinung. Gemeinsam mit der „Globalen Allianz für die Bekämpfung der Tollwut“ haben sie sich zu einem Konsortium zusammengeschlossen und das Projekt „Zero by 30“ konzipiert: Bis 2030 soll die Tollwut rund um den Globus als Gesundheitsproblem eliminiert sein. Das ehrgeizige Programm soll in drei Phasen umgesetzt werden. In der ersten - 2018 bis 2020 - stehen jene 29 Länder im Fokus, in denen Tollwut derzeit ein herausragendes Gesundheitsproblem darstellt. Dazu zählen Länder Afrikas südlich der Sahara und viele in Ost- und Südostasien. Im nächsten Schritt von 2021 bis 2025 würden weitere 52 Länder in das Programm integriert. Die letzten fünf Jahre sollen dann zum „mop-up“ dienen, einer Art finalem Saubermachen also: Wo immer es dann noch Probleme bei der Umsetzung des Programms gibt, sollen diese gezielt beseitigt werden.

Untersuchungen haben gezeigt, dass in nahezu allen Ländern die Häufigkeit von Tollwut bei Hund und Mensch eng gekoppelt ist. Werden Hunde systematisch geimpft, sinkt die Zahl der Tollwuterkrankungen bei Hund und Mensch kontinuierlich. Sind 70 Prozent aller Hunde geimpft, tendiert die Zahl der Fälle beim Menschen sogar bereits gegen Null. Dementsprechend fokussiert sich das Programm auf durch Hunde übertragene Tollwut.

Eine Gesundheit

Parallel zur systematischen Impfung von Hunden soll in allen Ländern der Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung auch im letzten Winkel eines Landes sichergestellt werden. Das bedeutet, dass es auch in jedem Dorfgesundheitszentrum künftig möglich sein soll, eine Bisswunde medizinisch korrekt zu versorgen. Und in jedem Bezirkskrankenhaus soll Tollwutimpfstoff vorrätig sein.

Eine dritte Komponente des Programms zielt darauf ab, einerseits über Aufklärung zu helfen, schlicht Bisse zu vermeiden, und andererseits funktionierende veterinärmedizinische Systeme aufzubauen. In allen Ländern und in allen Kulturen sollen Menschen begreifen, dass ihre Gesundheit und die von Haustieren zwei Seiten derselben Medaille sind. „OneHealth“ nennt sich das dahinter stehende Konzept. Es geht weit über Tollwut hinaus und schließt auch eine insgesamt „gesunde“ Umwelt mit ein.

Schwächen des Programms

Das Programm ist ambitioniert. Und seine Schwachpunkte sind offensichtlich. Jedes Land soll selbst entscheiden, wie es vorgeht und muss die Kosten tragen. Der von der Anti-Tollwut-Allianz genannte Betrag von 50 Millionen US-Dollar bis 2030 würde nur deren interne Kosten decken. Auch bleibt unklar, wie in einem Land mindestens 70 Prozent einer Hundepopulation geimpft werden sollen, für die sich niemand verantwortlich fühlt und die stetig Nachwuchs produziert. Maßnahmen, die Zahl der Hunde langfristig zu reduzieren, sind nicht einmal ansatzweise Teil des Konzeptes. Auch wird in dem Plan die Frage, wie Tollwutimpfstoff überall und jederzeit vorrätig gehalten werden kann, nicht beantwortet. Nicht nur Straßen, die nur jahreszeitlich und mit Allradfahrzeugen befahren werden können, stehen dem im Wege, sondern auch mancherorts politische und Sicherheitsprobleme bis hin zu bürgerkriegsartigen Zuständen. Wer die Impfung bezahlt, die Betroffenen oder der Staat, ist auch nicht geregelt.

Die Situation im auch sonst oft seuchengeplagten Madagaskar spiegelt die globale Lage gut wider. Charles-Emile Ramarokoto, der lange Jahre als Arzt in der Tollwutambulanz des Pasteur-Instituts gearbeitet hat, sagt: „Die Zeit ist reif, der Tollwut den Kampf anzusagen". Es gebe hochwirksame Impfstoffe und alle Instrumente, um durch Hundebiss verursachte Tollwut in Madagaskar zu eliminieren. „Nur das Geld, um die Maßnahmen landesweit umzusetzen, fehlt, und wo es herkommen soll, ist unklar.“

Hermann Feldmeier

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