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Infektionen: Keime in der Klinik

Jährlich wird eine halbe Million Patienten in Krankenhäusern mit Erregern infiziert.

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts starben viele junge Mütter am Kindbettfieber. Schließlich kam der Wiener Geburtshelfer Ignaz Semmelweis dem mysteriösen Sterben auf die Spur. Er fand heraus, dass die – oft tödiche – Infektion der Wöchnerinnen durch Keime an den ungewaschenen Händen von Ärzten verursacht wurde, die gerade von Obduktionen kamen. Drei Jahre, nachdem Semmelweis 1858 seine bahnbrechende Erkenntnis publiziert hatte, zog man auch in der Berliner Charité die Konsequenzen: Ein neuer Strohsack, hitzesterilisierte Decken für jede Wöchnerin und „jeder Untersuchung der Schwangeren wie der Entbundenen ging die Reinigung der untersuchenden Hände durch Chorkalklösung voran“, wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Fortan ging die Zahl der Infektionen spürbar zurück, berichtete Petra Gastmeier bei ihrer Antrittsvorlesung. Als Nachfolgerin von Henning Rüden leitet sie jetzt das Charité-Institut für Hygiene und Umweltmedizin.

Sie sprach nicht nur über 300 Jahre Infektionsprävention an der Charité – die 1709 aus einem vorsorglich errichteten Pesthaus entstand –, sie schilderte auch die heutige Lage und Möglichkeiten zur Verbesserung. Die ist nötig, denn trotz Semmelweis’ wichtiger Entdeckung gibt es in den Krankenhäusern noch immer zahlreiche Infektionen. In Deutschland sind es jährlich etwa eine halbe Million, 10 000 bis 15 000 davon enden tödlich.

Antibiotika verlieren rasch ihre Wirksamkeit

Wie kommen diese erschreckend großen Zahlen zustande? Wird in den Kliniken nicht alles getan, um Krankheitskeime zu bekämpfen? Gastmeier nannte dafür mehrere Gründe. Weil die Menschen älter werden, liegen in den Krankenhäusern mehr infektionsanfällige alte und chronisch kranke Patienten als früher. Außerdem sind die Untersuchungen und Behandlungen zunehmend invasiv; Katheter und Beatmungsgeräte beispielsweise können Keime in den Körper leiten. Gegen bakterielle Infektionen gibt es zwar Antibiotika, aber die verlieren oft schon nach wenigen Jahren ihre Wirksamkeit: Die Bakterien werden dagegen resistent, auch wegen der zu häufigen oder – wie bei Virusinfektionen von vornherein – nutzlosen Anwendung der Antibiotika. Im Irrglauben an deren Allmacht wurden auch Ärzte resistent gegen die bewährten Hygieneregeln, die sie nun vernachlässigten.

Inzwischen haben jedoch viele Kliniken ein System zur ständigen Überwachung („Surveillance“) und Bekämpfung von Krankenhausinfektionen eingeführt. Mehr als 400 beteiligen sich an dem 1996 bundesweit gestarteten „Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System“, abgekürzt: Kiss. Beobachtet werden vor allem Intensivstationen und andere sensible Bereiche, wo Wundinfektionen und – durch keimbehaftete Katheter oder Beatmungsgeräte – Lungenentzündungen, Harnwegsinfekte oder gar Blutvergiftungen entstehen können. Mit Kiss ging die Zahl der Krankenhausinfektionen teilweise bis auf die Hälfte zurück.

Jeder zweite Arzt desinfiziert seine Hände nicht richtig

Anfang des vergangenen Jahres wurde zudem ein spezielles „Hand-Kiss“ eingeführt. Denn die Hände des Klinikpersonals, besonders der Ärzte, sind nach wie vor wichtige Keimüberträger. Eine von Petra Gastmeier erwähnte Studie ergab, dass selbst nach Vorankündigung von Kontrollen nur die Hälfte der Ärzte sich zwischen den Untersuchungen zweier Patienten die Hände desinfizierte. Mit großem Aufwand wurde deshalb die „Aktion Saubere Hände“ ins Leben gerufen.

Wenn auch diese Kampagne nichts nützt, könnten die Krankenkassen vielleicht zu denselben drakonischen Mitteln greifen wie in den USA. Wie Gastmeier berichtete, erstatten dort die Krankenversicherungen der Alten und Armen (Medicare und Medicaid) seit Oktober 2008 den Kliniken nicht mehr die enormen Kosten, die durch Krankenhausinfektionen entstehen. Die kommen nicht nur durch die Behandlung selbst zustande, sondern auch durch den verlängerten Klinikaufenthalt – im Schnitt sind es vier Tage extra. Allein in Deutschland kommen so jedes Jahr zwei Millionen zusätzliche Kliniktage zusammen. 

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