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Insekten schwirren nachts um eine Laterne.

© Armin Weigel/dpa

Insektensterben: Tödliches Schwirren

Unzählige Laternen erhellen des Nachts Stadt und Land. Das Licht zieht so viele Insekten an, dass es die Ökosysteme durcheinander bringt.

Licht an, Balkontür auf. Damit ist an lauen Sommerabenden eines sicher: Nicht nur frische Luft weht herein, bald schwirrt auch das eine oder andere Insekt um die Zimmerlampe. Der Totenkopfschwärmer etwa, ein stattlicher Nachtfalter, der aus Afrika bis nach Deutschland vorgedrungen ist. Wegen seiner charakteristischen totenkopfähnlichen Zeichnung auf dem Leib gilt er als Inbegriff des Unheilbringenden, auch im Roman „Das Schweigen der Lämmer“.

Aber das ist Aberglauben. Es ist eher der Mensch, der dem Schmetterling Unheil bringt – weil er überall das Licht brennen lässt. Wie alle Nachtfalter fliegt der Schwärmer dann tumb um die Lampe herum, nimmt Reißaus, um dann – nichts gelernt – wieder einen neuen Anflug zu wagen. Irgendwann enden die Tiere erschöpft am Boden.

Nach dem Schwirren leichte Beute

Man braucht kein Entomologe zu sein: Kunstlicht ist für viele Insekten eine Falle. Zu Hunderten schwirren sie jede Nacht um Straßenlampen. 450 zählten Forscher im Schnitt pro Nacht an einer einzigen Quecksilberlaterne; 180 an einer Natriumdampflampe. Etwa ein Drittel davon stirbt an der Lichtquelle. „Sie verbrennen allerdings eher selten“, sagt der Falterspezialist und Umweltgutachter Stefan Birrer aus dem schweizerischen Reinach. „Die meisten drehen solange ihre Kreise, bis sie erschöpft zu Boden sinken.“ Dann sind sie leichte Beute.

Licht schadet den Insekten vor allem dadurch, dass es sie an ihrem natürlichen Verhalten hindert. Sie kreisen, statt zu fressen; sie kreisen, statt sich zu paaren; sie kreisen, statt zu jagen. So ergeht es Mai- und Marienkäfern, Hornissen und Hausmutter, Eintags- und Florfliege. Nacht für Nacht.

Tags schlafen, nachts fliegen. Die Helligkeit bringt das Ökosystem durcheinander. Insekten verändern ihr Verhalten.
Tags schlafen, nachts fliegen. Die Helligkeit bringt das Ökosystem durcheinander. Insekten verändern ihr Verhalten.

© imago/blickwinkel

Ohne Frage geht der Verlust der Nacht einher mit dem Tod vieler Insekten. Nur: Sind die vielen Straßenlampen auch mit schuld am massenhaften Insektensterben? Die Zahl der fliegenden Insekten ist in Teilen Deutschlands einer Studie zufolge, 2017 von Krefelder Naturforschern veröffentlicht im Fachblatt „Plos One“, um mehr als 75 Prozent eingebrochen. Zwar sind die Methodik der Erhebung und damit auch die drastische Zahl umstritten, der Trend zum Insektenschwund aber nicht. Der Klimawandel und die Landwirtschaft, vor allem Monokulturen und Spritzgifte, etwa das umstrittene Glyphosat, werden oft dafür verantwortlich gemacht. Aber welchen Anteil hat das nächtliche Kunstlicht?

Tödliche Straßenlampen

Alessandro Manfrin untersuchte die Wirkung von Straßenlampen in einem bisher einzigartigen Experiment über zwei Jahre hinweg. Er ging in den Naturpark Westhavelland in Brandenburg, ein großes zusammenhängendes Naturschutzgebiet und eines der wenigen „Dunkelfeldreservate“ in Deutschland. Mitten hinein stellte er im Rahmen seiner Doktorarbeit am Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei zwölf Straßenlaternen mit Natriumdampflampen. Ein Vergleichstestfeld stattete er ebenfalls mit Laternen aus, die aber ausgeschaltet blieben, um zu prüfen, ob die Bauten selbst vielleicht ein Insektenmagnet sind. „An den brennenden Lampen fanden wir im ersten Jahr 76 Mal mehr Insekten und im zweiten sogar 267 Mal so viele“, sagt Manfrin. „Die Lampen sind wie ein Staubsauger im Ökosystem. Besonders wasserliebende Insekten werden vom Licht angelockt.“ Das Licht wirkt aber nicht nur nachteilig. Etliche Insekten profitieren davon, da sie an der Lampe leichte Beute finden, nämlich erschöpfte Tierchen, die schon lange kreisen.

„Viele Menschen denken spontan, die Lockwirkung des Lichts macht nichts“, sagt der Biologe. „Aber bei Abertausenden Straßenlampen alleine in Deutschland, die über viele Jahrzehnte Nacht für Nacht leuchten, gibt es einen Einfluss auf das Ökosystem von ähnlichem Ausmaß wie durch Insektizide.“

Auswirkungen des Lichts sind schwierig zu erforschen

Belegt ist das nicht eindeutig. Nur wenige Forscher ziehen des Nachts los, um tote wie lebende Insekten an Lampen zu zählen. Eine Studie aus den sechziger Jahren berichtete, dass die Insektenpopulation an einem Standort innerhalb von zwei Jahren massiv einbrach, nachdem eine intensiv beleuchtete Tankstelle eröffnet wurde. „Aber in solchen Studien haben sich immer auch andere Umweltfaktoren geändert, eben die Tankstelle ist dazugekommen und mit ihr Lärm und Autos, so dass man nicht sagen kann, wie groß der Effekt des Lichts alleine ist“, wendet Birrer ein.

Eines ist jedoch unstrittig: Die künstliche Helligkeit greift massiv in das Verhalten der Insekten ein. Eine Studie nach der anderen demonstriert das. Auch Manfrin beobachtete, dass nachtaktive Spinnen im Einflussbereich der Laternen ihre Jagd bis in den Tag hinein ausdehnten, weil sie sich mit der massenhaft herumliegenden Beute den Bauch vollschlugen. Es dürfte also zu einer Verschiebung des Gleichgewichts zwischen den Arten kommen. Jene, die Insekten fressen, sind im Vorteil, andere Tierarten leiden.

Für nächtliche Blütenbesucher beispielsweise sind die Lampen eine tragische Attraktion, bemerkte die Ökologin Eva Knop von der Universität Bern. Sie ging in die dunklen Voralpen und stellte dort, ähnlich wie Manfrin, auf sieben Flächen LED-Lampen auf. Dann konzentrierte sie sich in ihren Forschungen ganz auf eine allgegenwärtige wüchsige Pflanze, die Kohldistel. Rund 300 unterschiedliche Bestäuber schwärmten nachts aus, um ihre weißen bürstenartigen Blüten zu besuchen. „Die Bestäuberleistung nachtaktiver Insekten wird oft missachtet. Dabei ist sie ganz erheblich“, sagt Knop.

Nächtliche Bestäuber meiden hell erleuchtete Felder

Die Nachtschichtarbeiter mögen jedoch kein Licht. Auf nachts erhellten Flächen flogen 62 Prozent weniger Insekten. Das wirkte sich auch auf die Kohldistel aus. Sie bildete weniger Samen. Die Pflanzen trugen in der Folge dreizehn Prozent weniger Früchte. „In der Nähe von Feldern und Äckern, von Gemüse- und Obstplantagen, die nicht windbestäubt werden, sollte es nachts also möglichst dunkel sein. Das wäre gut für die Ernte“, sagt Knop.

„Das Licht kann auf doppelte Weise wirken“, sagt der Freiburger Entomologe Michael Boppré. „Zum einen lockt es die Insekten von den Blüten fort. Zum anderen manipuliert es die biologische Uhr von Insekten und Pflanzen, wodurch Blütenbesuche zurückgehen können.“

Für beide Effekte – die Lockwirkung des Lichts und das Verstellen der biologischen Uhr – gibt es Belege. So folgt die Produktion von Duft und Nektar in etlichen Pflanzen einem Tag-Nacht-Rhythmus. Licht ist der Taktgeber. Aber auch die Insekten selbst reagieren auf Licht. Niederländische Forscher dokumentierten 2017, dass verschiedene Mottenarten unter Kunstlicht, deutlich weniger Nahrung aufnahmen als in der Dunkelheit. Lichtverschmutzung könnte also über den gedämpften Appetit den Rückgang einiger Nachtfalterarten mit erklären.

Der schädliche Lichtkegel einer Straßenlaterne reicht älteren Experimenten zufolge bis zu zweihundert Meter weit. Dabei kommt es jedoch darauf an, wie intensiv die künstliche Lichtquelle strahlt und wie dunkel die umgebende Nacht ist. Je stärker der Kontrast, desto stärker die Lockwirkung.

Es kommt auf den Lampentyp an

Umstritten ist, welche Lampen die schlimmsten für Insekten sind. Knop arbeitete in ihren Experimenten mit modernen LED-Versionen, wie sie auch in gängiger Straßenbeleuchtung zu finden sind. Sie und Manfrin schildern, dass diese viel mehr Insekten anlockten als ältere Natriumdampflaternen. Doch der Nachtfalterspezialist Birrer widerspricht: Er beobachte bei Begehungen von Laternen in der Nacht, dass „an den LED-Lampen fast kein Leben ist. Dagegen finden wir bei Natriumlampen Hunderte Insekten.“ Mutmaßlich kommt es auf das genaue Spektrum der LEDs an. Je mehr Lichtanteile im ultravioletten Licht diese enthalten, desto stärker die Sogwirkung auf Insekten. LED-Leuchten mit einem hohen UV-Anteil nutzen Insektenkundler in der Tat, um verschiedene Spezies für ihre Forschungen herbeizulocken.

Vieles liegt also noch im Dunkeln. Doch selbst wenn sich herausstellen würde, dass die Lichtverschmutzung für viele Insekten eine ernsthafte Bedrohung wäre, würde der Mensch wohl kaum nachts alle Lichter draußen löschen – immerhin geht es in vielen Fällen auch um seine Sicherheit. Im Licht erkennen Autofahrer Passanten leichter und vor allem fühlen sich viele Menschen sicherer.

Deshalb befürwortet Birrer eine pragmatische Strategie: Mehr forschen und vorsorglich handeln. Vor allem an kleinräumigen Habitaten, etwa Mooren oder Magerwiesen, die es selten gibt, und in denen spezialisierte seltene Insekten wie die nachtaktive Kupferglucke leben, sollten möglichst wenige Laternen brennen. Sie sollten möglichst über 200 Meter entfernt vom Lebensraum der schützenswerten Arten stehen. Andernorts wäre ein Kompromiss zwischen Sicherheitsbedürfnis und Umweltschutz denkbar: An schwach befahrenen Straßen könnten Bewegungsmelder die Dunkelheit für menschliche Nachtschwärmer kurz erhellen, damit tierische Nachtschwärmer möglichst wenig gestört werden.

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