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Neues Zuhause in Kleinstädten und auf dem Land - das kann für Geflüchtete gut funktionieren.

© Andreas Bormann

Integration in den Kommunen: So gelingt Geflüchteten der Start auf dem Land statt in der Stadt

Eine große Studie zeigt: Geflüchtete können in ländlichen Gebieten beste Integrationschancen haben. Auch das Land profitiert. Wenn der Rahmen stimmt.

Flüchtlinge aufs Land? Peter Mehl erinnert sich noch an die ziemlich weit zurückreichenden Wurzeln des Projekts, das er leitet und das jetzt auf sein Ende zusteuert. Rings um den Sommer der großen Flucht, 2014/15, "gab es da zwei Erzählungen", sagt Mehl.

"Die eine war: Geflüchtete gehen eh in die Großstädte, da brauchen wir uns nicht lange kümmern. Die andere brachte eine große Unternehmensberatung in Umlauf: Prima, Flüchtlinge aufs Land, da gibt's genug Platz, Arbeitskräftemangel und auch keine Parallelgesellschaften."

Beides sei in dieser Pauschalität Unsinn, meinten Mehl und seine Kolleginnen und Kollegen vom "Thünen-Institut für Ländliche Räume" in Braunschweig, die von ländlichen Räumen - der Plural ist ihnen wichtig - naturgemäß etwas verstehen.

Doch als das Bundeslandwirtschaftsministerium bei den Expert:innen im eignen Institut nachfragte, mussten sie auch eingestehen: Genügend belastbares Wissen gab es nicht dazu, wie das Land und die vielen Menschen zusammenpassen könnten, die nun nach Deutschland kamen.

"Umfassendste Daten zum Thema Kommunen und Integration"

So entstand die Idee, die Wissenslücke zu schließen. Das Ministerium Klöckner gab das Geld dafür, und das Thünen-Institut ging auf die Suche nach Kooperationspartnerinnen, denn: "Es stimmt schon, dass Migration und Integration schwerpunktmäßig urbane Themen sind. Und wir kennen uns auf dem Land gut aus, aber eher nicht in den Städten."

Expertise zu städtischer Migrationspolitik steuern nun Hannes Schammann, Professor für Politikwissenschaft und Migrationsfachmann an der Universität Hildesheim, und sein Team bei. Und weil man auch die Perspektive der Geflüchteten einbringen wollte und die Rolle von Ehrenamt und Zivilgesellschaft, beteiligten sich Stefan Kordel von der Universität Erlangen-Nürnberg und Professorin Birgit Glorius von der Technischen Universität Chemnitz.

Schließlich wurden acht Landkreise zur Beobachtung ausgewählt, je zwei in Bayern, in Hessen, Niedersachsen und Sachsen, die die vier Forschungsstandorte untereinander aufteilten.

Nun, am Ende von drei Jahren Feldforschung und Auswertung, haben die Partnerinnen eine "wahnsinnige Datenmenge" zusammengebracht, wie Schammann sagt. "Man kann sagen, dass wir die umfassendste Datenlage in dem Bereich haben. Nicht nur was ländliche Räume angeht, sondern für das weitere Thema Kommunen und Integration."

Bis Anfang nächsten Jahres soll dieser Datenschatz weitgehend ausgewertet sein und ein Buch über das Projekt erscheinen. Doch es gibt bereits erste wesentliche Einsichten in das nicht unkomplizierte Verhältnis zwischen Fluchtmigration und ländlichen Räumen - und erste Empfehlungen, die der Forschungsverbund der vier Beteiligten am Donnerstag präsentierte.

Die spannendste und womöglich überraschendste: Land und Fluchtmigration können tatsächlich gut zusammenpassen, der ländliche Raum kann Geflüchtete zum beiderseitigen Nutzen aufnehmen, im Einzelfall erfolgreicher, als dies eine Metropole könnte.

Doch dafür braucht es ein paar Voraussetzungen, fanden die Wissenschaftler:innen heraus: Es braucht eine gewisse Offenheit in den Köpfen und die hat oft ältere Wurzeln in den Dörfern und Kleinstädten. So fanden die Fachleute heraus, dass sowohl der hessische Kreis Waldeck-Frankenberg wie auch in Vechta in Niedersachsen lebendige Erfahrungen mit Mobilität haben: In Hessen durch den Tourismus und die Gäste der Kurorte im Umkreis, in Vechta, früher vor allem ein Zentrum der Fleisch- und Geflügelindustrie, durch Arbeitsmigrant:innen aus der EU.

Das Land? Gibt's nur im Plural

Auch etwas Wissensindustrie in der Nähe scheint der Willkommenskultur auf dem Land gut zu bekommen: Vechta etwa ist nicht nur Sitz von Hühnerbaronen, sondern auch einer Universität. Im Werra-Meißner-Kreis im hessischen Nordosten residierte einst die Deutsche Kolonialschule Witzenhausen, Ende des 19. Jahrhunderts im Dienste des wilhelminischen Imperialismus gegründet.

Wo einst tropischer Landbau für Kaisers "Platz an der Sonne" gelehrt wurde, sitzt heute der Fachbereich ökologische Landwirtschaft der Uni Kassel - und nach Meinung der Fachleute auch in der Bevölkerung ein Grundwissen um internationale Verflechtung und Verpflichtung.

Eine Erkenntnis von Kommunalfachmann Schammann, die er den Kolleginnen und Kollegen vom Thünen-Institut verdankt: "Das Land gibt es nicht. Das ist immer ein Plural." Für Brandenburg etwa stimme der Joker billiger Wohnraum nicht, da habe die Nähe von Berlin das Angebot bis weit über den Speckgürtel der Hauptstadt hinaus verknappt und verteuert."

Und auch Geflüchtete, die selbst vom Land kommen, kann man nicht einfach dorthin schicken. Was Land in Syrien bedeutet, muss es noch lange nicht in Deutschland bedeuten." Diese große Verschiedenheit mache es auch politisch nicht leicht, Integrationspolitik fürs Land zu planen. "Man kann einfach keine Durchschnittswerte bilden und damit arbeiten."

Dennoch haben kleine und ländliche Städte, hat das Land Gemeinsamkeiten: Die Chance des Landlebens auch für Geflüchtete, so Schammann, sind "soziale Nähe, die größere Chance, gute persönliche Bindungen aufzubauen". Das sei "ein großer Bleibefaktor", vor allem, wenn Familien dort ankommen: "Dass die Kita da ist, die Schule gut integriert, das war für die von uns befragten Geflüchtete in einigen Landkreisen mindestens so entscheidend wie die Frage, ob man Arbeit dort findet."

Dieser Standortvorteil wolle aber auch genutzt sein, sagt Schammann. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass Vater Staat, statt zu helfen, geradezu zerstören kann, was in den ersten Jahren nach der großen Flucht entstand: In einem hessischen Landkreis etwa bildeten sich damals in den kleineren Ortschaften sofort Helferkreise, als die Geflüchteten dort untergebracht wurden.

Nach einiger Zeit wurden dann in der Kreisstadt, um Geld zu sparen, wieder Sammelunterkünfte eingerichtet und die Leute nach dort verbracht. "Damit sind die Unterstützerkreise kaputtgegangen, die Wege waren nun zu weit." Man müsse die Vorzüge kleiner Räume eben auch erkennen und nutzen. Unnötig zu erwähnen, dass auch der Wunsch zu sparen nicht aufging, weil viel ehrenamtliche Arbeit durch professionelle und bezahlte ersetzt werden musste.

Integrationsmanagement hat Kommunen selbstbewusster gemacht

Noch eine Erkenntnis des Projekts: Geld ist nicht alles, reiche Landkreise machten nicht notwendig die bessere Integrationspolitik. Gerade in den kleinen Räumen seien "Narrative" wichtiger, die Haltung zu Migration. Manchmal genüge die von wenigen Menschen, eines Bürgermeisters, einer Verwaltungschefin. Oder die schiere Not. "Das gilt für Stadt und Land. Die Ruhrgebietsstädte haben auch kein Geld, machen aber progressive Integrationspolitik, weil sie das als zukunftsträchtig erkannt haben", sagt Schammann.

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Nicht zuletzt, betonen die beiden Forscher, haben die Jahre des Flüchtlingsengagements wie auch jetzt die Teilnahme am Projekt die kleinen Städte und Landkreise verändert. Im Landratsamt eines der untersuchten Kreise war man ziemlich entsetzt, als die Studie herausfand, dass die eigene Bevölkerung viel weniger religiös tolerant war, als man sich zugute gehalten hatte. Da will man jetzt aufklären.

Und Hannes Schammann weiß von seinen früheren Forschungen, wie auch das Selbstbewusstsein der Kommunen steigt, wenn sie jahrelang gestemmt haben, wovon sie gar nicht wussten, dass sie es können würden.

Schammann wie Mehl sind zuversichtlich, dass ihr gemeinsames Arbeiten auch den ländlichen Räumen geholfen hat - genau dies ist Ziel jenes Bundesprogramms Ländliche Entwicklung, aus dem es finanziert wurde. Darin ist "Capacity Building", also der Aufbau von Wissen und Fähigkeiten in Forschung und Politikberatung fürs Land vorgesehen.

"Und das Netz, das wir mit dem Projekt und unseren Partnern geschaffen haben, ist Capacity Building im Bereich der Integrationsforschung", sagt Peter Mehl. Das gesammelte Wissen über Integration auf dem Land werde über das Projekt hinaus wirken - "dafür sorgt schon der demographische Wandel.“

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