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Ausgeflogen. Als der Patient in Hamburg ankam, konnte er noch laufen.

© dpa

Intensivmedizin statt Experimente: Was Ärzte aus der Heilung des Hamburger Ebola-Patienten lernen

Der Flug nach Hamburg war für den 36-jährigen WHO-Mitarbeiter Rettung in letzter Minute. Intensivmedizin und literweise Infusionen mit Nährlösung gaben seinem Körper Zeit, sich gegen Ebola zu wehren - auch ohne experimentelle Medikamente.

In Westafrika wäre der 36-Jährige einer von tausenden Toten gewesen, gestorben an der Seuche, die er für die Weltgesundheitsorganisation WHO bekämpfte. Er hatte sich ein Büro und eine Toilette mit einem Kollegen geteilt, der auf den Dörfern im Norden Sierra Leones nach Ebola-Patienten suchte und der selbst der Krankheit erlag. Der Epidemiologe aus dem Senegal jedoch hatte Glück im Unglück. Als am achten Tag seiner Erkrankung endlich feststand, dass nicht etwa Malaria, sondern das Ebola-Virus Ursache seiner Schwäche und Bauchschmerzen war, bat die WHO Krankenhäuser in den Industrienationen um Hilfe. Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf war bereit, ihn aufzunehmen. Am 27. August 2014 wurde er der erste Ebola-Patient in Deutschland.

Dass er fünf Wochen später die Isolierstation verlassen und zu seiner Familie zurückkehren konnte, ist trotzdem nicht selbstverständlich. Denn in diesen Wochen jagte eine Komplikation die andere, berichten seine Ärzte nun im Fachblatt „New England Journal of Medicine“. „Ich habe mich 20 Jahre auf diesen Ernstfall vorbereitet“, sagt Stefan Schmiedel, Oberarzt an der Bernhard-Nocht-Klinik für Tropenmedizin. „Trotzdem war ich erschlagen vom Aufwand und den Kosten, die die Versorgung eines Ebola-Patienten mit sich bringt.“

Vier bis acht Liter Durchfall pro Tag, bis zu 1,5 Liter Erbrochenes – allein diese Statistik aus den ersten Tagen nach der Ankunft des Patienten in Hamburg reicht, um ein Bild davon zu bekommen, wie viel brisanter Müll in der Isolierstation anfällt. Dazu gehörten ein Röntgen- und ein Ultraschallgerät, über die sich der Mann erbrach. Seine Elektrolyte und der Blutdruck waren völlig aus dem Gleichgewicht. Das Herz raste, die große Bauchvene war zusammengefallen. Der Darm war gelähmt und ließ sich durch Medikamente nicht wieder in Gang bringen. Der Magen wollte nichts mehr aufnehmen, der Mann bekam Schluckauf. Flüssigkeit hatte sich im Bauch gesammelt. Außerdem diagnostizierten die Ärzte eine chronische Leberentzündung, Hepatitis B.

Nährlösung statt risikoreiche Behandlung

Die Hamburger hatten zwei experimentelle Medikamente besorgt: Favipiravir, eigentlich ein Grippemittel, und Tekmira-Ebola. Bei beiden ist der Nutzen nicht belegt, Nachteile gibt es aber durchaus. So hätte der Mann 18 Pillen Favipiravir schlucken müssen. „Das konnte er nicht“, sagt Schmiedel. Außerdem wisse man von der Grippe, dass solche Mittel nur in den ersten Tagen helfen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas gebracht hätte.“

Helfer in der Not. Tropenarzt Stefan Schmiedel hat die Behandlung geleitet.
Helfer in der Not. Tropenarzt Stefan Schmiedel hat die Behandlung geleitet.

© dpa

Die Daten zu Tekmira-Ebola sahen zwar vielversprechend aus. Die RNS-Moleküle, aus denen das Mittel besteht, heften sich an zwei Gene im Erbgut von Ebola an und verhindern die Vermehrung. Doch in ersten Sicherheitstests hatte das Immunsystem von Probanden zu heftig auf das Medikament reagiert. Das wollten die Ärzte nicht riskieren. Stattdessen gaben sie ihrem Patienten teilweise mehr als 13 Liter Nährlösung als Infusion, um ihn zu stabilisieren und dem Immunsystem Zeit zu geben, selbst das Virus zu bekämpfen.

Trotzdem schoss am Tag 12 und 13 das Fieber in die Höhe, der Mann litt nun zusätzlich unter Blutvergiftung mit multiresistenten, gramnegativen Bakterien. Sie stammten vermutlich aus seinem Darm, Ebola hatte ihnen den Weg gebahnt. Nur ein Reserveantibiotikum konnte etwas gegen sie ausrichten. Am Tag 14 hatten Keime sein Gehirn erreicht, er halluzinierte. Blutarmut verstärkte die Schwäche, außerdem sammelte sich Flüssigkeit in den Hohlräumen rund um Herz und Lunge. Er bekam kaum noch Luft. So ging es immer weiter, erst am 27. Tag der Erkrankung und mithilfe moderner Intensivmedizin erholte er sich wieder.

Ohne Intensivmedizin hätte der Mann nicht überlebt

Das Virus wanderte durch den Körper. Bereits ab Tag 18 war kein Ebola-Erbgut mehr in Speichel, Stuhl und Tränen nachweisbar. Im Urin und Schweiß dagegen war das Erbgut selbst nach 31 bis 40 Tagen noch vorhanden. Vermehrungsfähige Viren haben die Ärzte allerdings zuletzt am Tag 14 aus dem Blut und am Tag 26 aus dem Urin isoliert. Am 5. Oktober 2014 entließen sie den Mann als geheilt.

„Man braucht nicht unbedingt experimentelle Medikamente“, sagt Schmiedel. „Durch die Infusionen ist bereits viel gewonnen. Das ist auch in Westafrika möglich.“ Der Mann aus dem Senegal allerdings hätte in Sierra Leone nicht überlebt. Eine schwere Sepsis könne man nicht ohne Intensivmedizin behandeln.

Selbst High-Tech-Medizin kommt nicht immer gegen Ebola an, sie kann die Sterblichkeit nur senken. Der UN-Mitarbeiter in Leipzig überlebte nicht, genauso wie zwei spanische Missionare und Thomas Eric Duncan in den USA. „Jeder Patient ist anders“, sagt Bernhard Ruf, Chefarzt am St.-Georg-Krankenhaus in Leipzig. „Wenn wir die Daten der 15 in den Industrienationen therapierten Patienten auswerten, erfahren wir zumindest etwas mehr über den Krankheitsverlauf.“

Die Behandlungszentren sind mit jeweils zwei Patienten ausgelastet

Gelernt haben die Behandlungszentren in Frankfurt, Hamburg und Leipzig vor allem, wie aufwendig die Versorgung ist. Mit zwei Patienten wären sie ausgelastet, da sind sie sich einig. Auf dem Papier stehen 47 Betten bereit, tatsächlich sind es zehn bis maximal 20, sagt Eduard Stange, verantwortlich für die Isoliereinheit am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. „Außerdem müssen wir auch für andere Patienten sorgen, die mit Lassa, Mers oder Krim-Kongo-Fieber zu uns kommen.“ In Leipzig musste Ruf eine ganze Station der Infektiologie mit 25 Betten schließen, um genug Personal für die Isolierstation zu haben – pro Tag waren mehr als 30 Ärzte und Pflegekräfte in drei bis vier Schichten im Einsatz.

„Die Belastung für das Krankenhaus ist gigantisch, auch weil Geräte ersetzt werden müssen“, sagt Stange. „Würden Sie ein Dialysegerät wiederverwenden, an dem ein Ebola-Patient hing?“ Die reinen Behandlungskosten übernehmen bei den drei bisher hierzulande versorgten Ebola-Patienten internationale Organisationen. Was aus den Zusatzkosten wird, ist unklar. Für deutsche Helfer, die sich infizieren könnten, müsse es jedenfalls eine Sondervereinbarung mit den Krankenkassen geben, fordert Stange.

Stefan Schmiedel wird bald vor Ort sehen, wie viel seines Wissens in Westafrika anwendbar ist. Ab nächsten Mittwoch wird er drei Wochen für „Ärzte ohne Grenzen“ in Sierra Leone arbeiten.

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