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Ein Arzt und fünf Intensivpfleger sind die Ausnahme. Die Stationen in Deutschland füllen sich weiter.

© Jan Woitas/dpa

Update

Intensivstationen füllen sich weiter: Erste Kliniken brauchen die Notfallreserve – mit welchen Konsequenzen?

Der Betrieb auf rund zwei Drittel der deutschen Intensivstationen ist mindestens teilweise eingeschränkt. Aber: Durch Notfallbetten ergibt sich neuer Spielraum.

Von den rund 22.200 betreibbaren Intensivbetten in Deutschland sind derzeit nur noch weniger als 2400 frei. Das geht aus den Daten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) hervor.

Allerdings fehlt vielerorts das Personal, um diese freien Betten zu betreiben. In Wirklichkeit dürften es deshalb deutlich weniger freie Intensivbetten sein.

Wie ernst die Lage ist, veranschaulichen diese Daten: Von den rund 1300 täglich meldenden Krankenhäusern geben mittlerweile rund zwei Drittel an, dass die Versorgung auf ihren Intensivstationen eingeschränkt oder teilweise eingeschränkt ist.

3376 Corona-Intensivpatienten zählt die Divi derzeit, das hatten Intensivmediziner so bereits prognostiziert. Mittlerweile ist jeder sechste Intensivpatient, der in Deutschland auf Station liegt, aufgrund einer Corona-Infektion dort. Mitte Juli, als die Zahl der Intensivpatienten ihren Jahrestiefstand von 433 erreichte, war es noch ein Bruchteil.

In den am schwersten betroffenen Bundesländern Sachsen und Thüringen stellt sich die Lage noch ernster dar. Mehr als jeder vierte Intensivpatient in Sachsen und Thüringen ist aufgrund einer Corona-Infektion schwer erkrankt. Fast drei Viertel der Krankenhäuser in Thüringen geben an, dass ihre Intensivstationen nur in eingeschränktem oder teilweise eingeschränktem Betrieb sind.

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Etwa 2400 von 22.200 bedeutet: Rund neun von zehn Intensivbetten in Deutschland sind belegt. Versteigt sich die aktuelle Entwicklung, könnte es mit der Versorgung knapp werden und eine Triage folgen – wenn da nicht die Notfallreserve wäre. Diese gibt an, wie viele Intensivbetten auf den täglich meldenden 1300 Intensivstationen in deutschen Krankenhäusern innerhalb einer Woche zusätzlich mobilisierbar wären.

Rechnet man diese Reserve von derzeit 9500 Betten zu den freien Betten hinzu, sind es plötzlich fast 12.000 freie Intensivbetten in Deutschland und nur noch sechs von zehn Intensivbetten in Deutschland belegt. Doch welche Konsequenzen hat diese Notfallreserve für den laufenden Betrieb?

Es handelt sich bei ihr um die Anzahl an Betten in deutschen Krankenhäusern, die durch bestimmte Maßnahmen innerhalb einer Woche für Intensivpatienten freigemacht werden könnte. Eine dieser Maßnahmen ist beispielsweise die Verschiebung von geplanten Operationen. Denn OP-Pfleger sind im Gegensatz zu Pflegern auf Normalstationen in der Lage, Intensivpatienten zu behandeln.

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Nun ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass ein Intensivpfleger über Tag maximal zwei Intensivbetten betreuen darf, in der Nacht dürfen es auch drei sein. Um die Notfallreserve vollständig zu mobilisieren, müssten demnach derzeit innerhalb einer Woche rund 4800 zusätzliche Intensivpfleger zur Verfügung stehen.

Allerdings: Notfall-Operationen müssen weiterhin möglich sein, weshalb nicht alle OP-Pfleger wechseln können. Sollte also ein Krankenhaus trotz Notfallreserve nicht genügend Intensivpfleger für die Zahl an Intensivpatienten stellen können, müssen diese auf andere Krankenhäuser umverteilt werden.

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Zu diesem Zeitpunkt gibt es dann schon die ersten Priorisierungen, da es zu viele Patienten für zu wenig Personal gibt. Von einer Triage wäre erst die Rede, wenn es keine Krankenhäuser in Deutschland mehr gäbe, auf die Intensivpatienten umverteilt werden können. Dann wären alle Intensivstationen am Limit und es könnten auch zwingend intensivpflichtige Patienten nicht behandelt werden.

Führende Intensivmediziner halten eine solche Situation in Deutschland allerdings für nahezu ausgeschlossen. „Ich glaube, in die Situation, dass wir die Triage anwenden müssen, sollten wir nie kommen – das wäre eine Bankrotterklärung. Dafür haben wir noch zu viele Intensivbetten im Vergleich zu unserem europäischen Umland“, sagte Christian Karagiannidis, Leiter des Divi-Intensivregisters, dem Tagesspiegel zuletzt.

900 Reservebetten weniger als vor vier Wochen

Die Notfallreserve wird immer mit dem aktuellen Stand der Kapazitäten auf den Intensivstationen berechnet. Es gibt also keine Hochrechnungen der kommenden sieben Tage. Und es gibt schon erste Krankenhäuser, die an die Notfallreserve gehen.

Es gibt derzeit rund 900 Intensivbetten in der Notfallreserve weniger als vor vier Wochen, allein Anfang dieser Woche sank die Zahl um 100 Betten. Mehr als die Hälfte der 900 Notfall-Betten in den vier Wochen musste in Bayern (270) und Baden-Württemberg (200) belegt werden. Wobei dazu gesagt werden muss, dass dies die zweit- und drittbevölkerungsreichsten Bundesländer sind.

Allerdings: Im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland, Nordrhein-Westfalen, mussten nur weniger als 100 Betten von der Notfallreserve genommen werden. Das liegt allerdings auch daran, dass innerhalb NRW aufgrund der Bevölkerungsdichte schnell umverteilt werden kann.

In Sachsen und Thüringen schrumpfte die Notfallreserve um zehn respektive 15 Prozent – ungefähr so viel wie im Bundesdurchschnitt. Am Mittwoch hatte Sachsen mitgeteilt, dass der Freistaat bei seinen Krankenhausbetten die Corona-Überlastungsstufe offiziell erreicht hat. Die sächsische Überlastungsstufe ist auf mehr als 1300 mit Corona-Patienten belegte Betten auf den Normalstationen der Krankenhäuser festgelegt. Am Mittwoch wurden 1520 belegte Betten ausgewiesen, am Dienstag waren es 1524 und am Montag 1391.

Karagiannidis geht davon aus, dass dort spätestens Ende November die ersten Intensivpatienten in andere Bundesländer verlegt werden müssen. „Dadurch, dass Pflegepersonal fehlt“, sagt er im Tagesspiegel, „sind sie schon an einem früheren Zeitpunkt bei den gleichen Problemen wie in den letzten Wellen“.

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