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Hans-Georg Joost ist Mediziner und leitet das Deutsche Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. Seit 20 Jahren gehört es zur Leibniz-Gemeinschaft.

© Dife/Haggenmüller

Interview: „Genussmittel können auch schützen“

Was ist gesunde Ernährung? Hans-Georg Joost, Leiter des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke, über neue Erkenntnisse seines Fachs.

Sie leiten das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (Dife) in Potsdam-Rehbrücke. Seit 20 Jahren gehört es zur Leibniz-Gemeinschaft, seine Wurzeln reichen ins Jahr 1946 zurück. In eine Zeit, als die Forschung vor völlig anderen Problemen stand als in unserer „satten“ Gesellschaft.

Natürlich mussten in der Nachkriegszeit, als den Menschen nicht nur Kalorien, sondern auch lebenswichtige Mikronährstoffe fehlten, in der Ernährungsforschung völlig andere Schwerpunkte gesetzt werden. Über genügend qualitativ hochwertige Nahrungsmittel zu verfügen und sich abwechslungsreich ernähren zu können, ist allerdings immer noch ein Privileg: In den reichen Industrienationen leben wir in dieser Hinsicht auf einer Insel der Seligen. Was sich seit den Anfängen des Instituts ebenfalls geändert hat, ist die Methodik. Es hat eine Revolution in Genetik und Biochemie gegeben. Wir verstehen viel genauer, was passiert, wenn Stoffwechselvorgänge falsch laufen.

Was wissen wir wirklich über die Rolle, die Ernährungsgewohnheiten bei der Entstehung von Krebs spielen?

Die Arbeitsgruppe von Heiner Boeing hat im Rahmen der Epic-Studie allein bei uns in Potsdam und Berlin mehr als 25000 gesunde Menschen über Jahre begleitet, ihre Ernährungsgewohnheiten und Krankheiten dokumentiert. Daraus erwuchs zum Beispiel die Erkenntnis, dass Ballaststoffe einen gewissen Schutzeffekt bei Darmkrebs haben, während der Verzehr von rotem Fleisch einen Risikofaktor darstellt. Wir wissen auch, dass die Verteilung des Körperfetts für das Krebsrisiko eine Rolle spielt.

Die Krankheit, zu der es bei den Epic-Teilnehmern aus unserer Region am häufigsten kam, ist der Diabetes vom Typ 2. Dieser „Alterszucker“ hat mit falscher Ernährung zu tun - was spielt noch eine Rolle?

Wir wissen inzwischen, dass das im Bauchraum angelagerte Fett für die Entstehung eines Diabetes vom Typ 2, aber auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wichtig ist. Was wir aber noch im Detail verstehen wollen, sind die Mechanismen der Diabetes-Entstehung:

Kommen hier nicht die Gene und die Vererbung ins Spiel?

Dass es eine Veranlagung für die Erkrankung gibt, ist unbestritten. Leider kennen wir die zugrunde liegenden Gene noch nicht vollständig, und wir können auch nicht sagen, welchen prozentualen Anteil die Veranlagung ausmacht. Wir können aber mit Sicherheit sagen, dass es ohne diese Veranlagung nicht zum Diabetes kommt. Umgekehrt gilt allerdings auch: Ohne den entsprechenden Lebensstil kommt es ebenfalls nur äußerst selten dazu. Vor 60 Jahren wäre es schwierig gewesen, für eine Studie über den Diabetes vom Typ 2 genügend Teilnehmer zu finden, weil er in dieser Zeit des Hungers zu den ganz seltenen Krankheiten gehörte. Und das, obwohl die genetische Grundlage nicht anders war.

Das klingt so, als wäre Abnehmen das Allheilmittel.

Nur wenn dabei der Bauchumfang abnimmt, das heißt, wenn das überschüssige Fett im Bauchraum verschwindet. Körpergewicht und Body-Mass-Index bilden das Risiko für die Entstehung der großen Volkskrankheiten Diabetes, Arteriosklerose und auch Krebs nicht gut ab. Wenn jemand hungert und dabei nur Muskelmasse verliert, dann tut er genau das Falsche. Deshalb ist körperliche Aktivität zum Erhalt der Muskelmasse mindestens so wichtig wie maßvolles Essen.

Den persönlichen Diabetes-Risikotest des Dife kann inzwischen jeder Bürger im Internet machen. Viele kennen ihr Risiko aber vorher schon ganz gut, ohne daraus im täglichen Leben Konsequenzen zu ziehen.

Das Problem ist die Umsetzung. Wenn die Menschen Mahlzeiten mit hoher Kaloriendichte bevorzugen, also Essen, das wenig Ballaststoffe und viel Fett, viel Zucker und auch viel Salz enthält, dann hat das auch evolutionsbiologische Gründe. Für unsere Vorfahren war es einfach ein Überlebensvorteil, möglichst schnell möglichst viele Kalorien aufzunehmen.

Wenn man sich als Ernährungsforscher den ganzen Tag mit den Risiken der zu fetten, zu süßen Nahrung beschäftigt: Kommt dann nicht der Genuss zu kurz?

Genuss ist sehr schwer zu messen. Wir können also kaum die wissenschaftliche Basis für das liefern, was etwa in den beliebten Kochshows passiert. Aber wir arbeiten in dem Bewusstsein, dass Essen ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist, nicht nur biochemisch gesehen. Besonders schön ist es deshalb immer, wenn sich herausstellt, dass ein Genussmittel Inhaltsstoffe enthält, die vor Krankheiten schützen können. So haben wir uns über unsere Erkenntnis gefreut, dass dunkle Schokolade wegen der darin enthaltenen Flavonoide das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert.

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