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Zusammenstoß im Mikrokosmos. Kollisionen von Elementarteilchen - hier der von Elektronen - haben die Wissenschaftler am Forschungszentrum Cern in Genf auf die Spur des Higgs-Teilchens geführt.

©  Cern

Interview mit dem Chef des Cern: „Wir werden das Biest fangen“

Cern-Chef Rolf-Dieter Heuer spricht mit dem Tagesspiegel über die Jagd nach der dunklen Energie, das Higgs-Teilchen, seine Zukunft - und die Frage, wie es mit dem Cern weitergehen wird.

Herr Heuer, Sie sind Physiker, Chef von über 13 000 Mitarbeitern und Gastwissenschaftlern am weltweit größten Teilchenforschungslabor Cern und Sie sind Kunstliebhaber. Wie passt das zusammen?

Die Kunst ist nicht dazu da, das Sichtbare wiederzugeben, sondern das Unsichtbare sichtbar zu machen, sagt Paul Klee. Wir am Cern machen nichts anderes. Wir machen das Unsichtbare, die Kräfte, die die Materie zusammenhalten, und ihre Wechselwirkungen sichtbar.

Und jetzt haben Sie das Higgs-Teilchen sichtbar gemacht.

Ja …

Sie sagen ohne Vorbehalt: Ja?

Als Laie würde ich sagen: Wir haben das Higgs-Teilchen gefunden. Als Wissenschaftler sage ich: Wir müssen erst die Eigenschaften untersuchen, um zu wissen, ob es wirklich das Higgs-Teilchen ist.

Warum sind Sie so vorsichtig?

Zwar deutet alles darauf hin, dass es das Higgs-Teilchen ist, und das Bauchgefühl sagt: Ja. Der Kopf aber sagt: Be careful. Wenn ich in einem Jahr sagen muss, es ist ein ganz anderes Teilchen ...

... dann sind Sie ganz schön blamiert.

Das macht mir nicht soviel aus, aber ich darf nicht zulassen, dass der Ruf meines Labors beschädigt wird.

Dann haben Sie wohl vor der spektakulären Bekanntgabe Anfang Juli alle Stecker darauf überprüft, ob nicht einer lose sei, wie es vor kurzem der Fall war, als Cern-Forscher fälschlicherweise die Entdeckung von Neutrinos meldeten, die schneller als Licht sein sollten.

Die jetzigen Ergebnisse sind sehr gut abgesichert, sie kommen von zwei Forschergruppen, die unabhängig voneinander an unterschiedlichen Detektoren arbeiten. Hätte ich im letzten Herbst die Präsentation der Neutrino-Ergebnisse untersagt, hätte ich mir vorwerfen müssen, mich von Vorurteilen leiten zu lassen. Damals hatten wir einen unerwarteten Effekt, der Einstein widersprochen hat, und suchten nach wissenschaftlichen Erklärungen. Im Nachhinein ist es leicht zu sagen, hätten Sie mal die Stecker überprüft.

Sind Sie deshalb beim Higgs-Teilchen so vorsichtig? Was muss denn noch passieren, damit Sie Ihre Zurückhaltung aufgeben?

Fest steht, wir haben ein Teilchen gefunden, das etwa die Masse von 125 Gigaelektronenvolt hat. Jetzt müssen wir die Eigenschaften untersuchen, dann wissen wir, ob es das Higgs-Teilchen ist.

Welche Eigenschaften sind das?

Zunächst der Spin. Finden wir den Wert null, ist es das Higgs-Teilchen. Aber wir wissen noch nicht, ob es das Teilchen ist, das ins Standardmodell passt.

Was kommt sonst infrage?

Die Supersymmetrie-Theorie, die für jedes Teilchen quasi Schattenteilchen vorschlägt, kommt sogar auf mindestens fünf Higgs-Teilchen.

Um die Spinfrage zu klären, haben Sie jetzt die Laufzeit des Large Hadron Colliders LHC, des leistungsstärksten Teilchenbeschleunigers, bis Ende 2012 verlängert. Sind alle Cern-Forscher hinter Higgs her?

Nein, auch die Standardreaktionen werden weiter untersucht, andere schauen nach der dunklen Materie, die das Standardmodell gar nicht vorsieht.

Rolf-Dieter Heuer.
Rolf-Dieter Heuer.

© AFP

Was ist denn dunkle Materie?

Sie ist häufiger als normale Materie, die nur fünf Prozent des Universums ausmacht. Die Astrophysik lehrt uns, dass das Universum im Wesentlichen durch dunkle Materie geformt wurde. Man weiß aber nicht, woraus sie besteht. Sie macht sich nur durch ihre Schwerkraft bemerkbar. So reicht die Gravitation durch normale Masse nicht aus, um Galaxien zusammenzuhalten.

Was ist mit der dunklen Energie?

70 Prozent des Universums sind in einer unbekannten Form vorhanden, oft als dunkle Energie bezeichnet. Dabei handelt es sich wohl nicht um Energie, sondern um ein Feld, das bereits am Anfang des Universums da war und dieses auseinandertreibt. Eigentlich sollte die Ausdehnung des Universums durch die gegenseitige Anziehung der Materie abgebremst werden. Man weiß nicht genau, was dafür verantwortlich sein könnte.

Informationen wollen Sie über das Higgs-Teilchen bekommen.

Ich habe gesagt, das eine wie das andere ist ein skalares Feld, wirkt also in alle Richtungen gleich. Das hat mir noch niemand um die Ohren gehauen. Das gibt mir Hoffnung, dass wir dieses Biest, das fast drei Viertel des Universums ausmacht, verstehen werden. Vielleicht, wenn ich nicht mehr dabei bin.

Sie sind jetzt 64 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch weitermachen? Gibt es beim Cern die Rente mit 65 oder mit 67?

Mit 65, aber ich habe anscheinend nicht gut genug gearbeitet und muss noch zwei Jahre nachsitzen. Normalerweise läuft der Vertrag eines Generaldirektors fünf Jahre. Ich bin erst der zweite Generaldirektor, bei dem er verlängert wurde.

Und dann noch eine Verlängerung?

Dann hat Heuer genug, sieben Jahre reichen.

Gibt es etwas, das Sie unbedingt noch rauskriegen wollen, so dass Sie die Forschung in dieser Richtung intensivieren?

Dazu bin ich zu pragmatisch. Mein Zeitplan ist klar. Wir fahren die Maschine ab 2013 herunter für eine etwa zweijährige Wartung. Danach werden wir im Grunde eine neue Maschine haben, die mit 14 Teraelektronenvolt doppelt so viel Energie wie bisher liefern wird. So können wir schwerere Teilchen erzeugen.

Um der Supersymmetrie auf die Spur zu kommen, denn diese verlangt sehr massereiche Teilchen?

Bei höheren Energien muss es etwas geben, das weiter reicht als das Standardmodell. Ähnlich wie die Newton’sche Physik bei höheren Geschwindigkeiten durch die Relativitätstheorie erweitert wird.

Das Standardmodell bliebe gültig, würde aber durch die Supersymmetrie erweitert. Wo ist da Platz für die String-Theorie?

String-Theorien brauchen die Supersymmetrie. Würde sie am LHC entdeckt, könnte man dies als Unterstützung der Stringtheorie ansehen.

Sie haben in Dublin auf dem Wissenschaftsforum Esof davon gesprochen, dass Sie „E=Europäisch“ in der Abkürzung „Cern“ durch „E=Everywhere“ ersetzen wollen. Wollen Sie durch außereuropäische Länder mehr Geld bekommen?

Die finanzielle Seite ist zweitrangig. Die Botschaft ist, dass das Cern als bald 60-jährige Institution immer noch attraktiv ist und neue Partner anzieht.

Wer kommt neu dazu?

Brasilien hat einen Antrag eingereicht, Russland ist dabei. Die Türkei und Zypern stehen vor der Mitgliedschaft.

- ROLF-DIETER HEUER (64) ist Physiker und seit 2009 Generaldirektor des Forschungszentrums Cern in Genf. Zuvor leitete er das Synchrotron-Zentrum Desy in Hamburg.

Paul Janositz

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