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Benz

© Mike Wolff

Interview mit Wolfgang Benz: "'Es gibt nur eine Strategie: Aufklärung"

Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, über moderne Judenfeindschaft.

Herr Benz, zum 75. Jahrestag der Machtübernahme Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 gibt es eine neue Debatte um den Antisemitismus in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert einen „bürgerlichen Antisemitismus“ und eine „gewisse Sprachlosigkeit“ gegenüber modernen Formen der Judenfeindschaft. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, beklagt, dass Neonazis Überfremdungsängste schürten und sich auch im linken Spektrum antisemitische Ressentiments breitmachten. „Deutschland leidet an nationaler Amnesie“, sagt Knobloch.

Frau Merkel lenkt die Aufmerksamkeit zu Recht auf den „bürgerlichen Antisemitismus“. Angesichts des Radau-Antisemitismus der Rechtsradikalen darf man nicht den stillschweigenden Antisemitismus aus dem Blick verlieren, der sich nicht durch Sprache artikuliert, sondern über Chiffren wie „Na, Sie wissen schon“ oder „Ostküste“ oder „Wall Street“.

Ihr Institut beobachtet seit einem Vierteljahrhundert die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Juden: Wie hat sich diese gerade auch seit der Jahrtausendwende gewandelt?

Die Ansichten haben sich nicht besonders verändert. Die bleiben – mit Ausschlägen nach oben – in der Regel ziemlich konstant. Generell haben Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit seit der Wende 1989/90 zugenommen und eine radikale Minderheit artikuliert sich aggressiver. Man darf den manifesten Antisemitismus, der sich in Propagandadelikten oder gelegentlich in Gewalttaten äußert, nicht verwechseln mit den Einstellungen, die einen latenten Vorbehalt gegenüber den Juden zeigen. Deshalb gehen Schlagzeilen in der Art „Jeder fünfte Deutsche ein Antisemit“ vollkommen an der Realität vorbei.

Wie erklären Sie sich dann solche Meldungen?

Wenn ein Meinungsforschungsinstitut feststellt, dass bei 20 Prozent der Deutschen Ressentiments, Fehlurteile über die Juden bestehen, dann heißt das nicht, die wollen jetzt die Juden verjagen oder sie sind in der Wolle gefärbte Neonazis oder sie lechzen nach einer Lösung der sogenannten „Judenfrage“ – die überhaupt nicht existiert. Sondern dann reagieren sie nur auf Fragen, die manchmal auch suggestiv sein können. Mit einem gewissen Prozentsatz von Leuten, die Vorbehalte gegen Minderheiten und insbesondere gegenüber der Minderheit der Juden haben, müssen wir leben.

Der Antisemitismus gerade unter jugendlichen Migranten nimmt in letzter Zeit zu: Wie reagiert das Zentrum darauf?

Das Zentrum setzt sich im Rahmen wissenschaftlicher Forschung, Konferenzen, Austausch mit Kollegen und Fachleuten, Publikationen mit dem Thema auseinander. In diesem Jahr ist eine Publikation entstanden, in der der migrantische Antizionismus und Antisemitismus eine wichtige Rolle spielt. Das Zentrum stellt Lehrmaterialien zur Verfügung und entwickelt zusammen mit Partnern eine CD-ROM, die im nächsten Frühjahr in die Buchhandlungen kommt. Wir versuchen auch durch Politik- und Medienberatung Problembewusstsein zu schaffen und Lösungen vorzuschlagen.

Welche pädagogische Strategie empfehlen Sie gegen den Antisemitismus junger Migranten?

Es gibt nur eine pädagogische Strategie gegen Antisemitismus: Aufklärung, Information, sachliche Argumentation. Judenfeindschaft ist durch Mehrheitskonsens in unserer Gesellschaft geächtet. Das gilt für alle und die Herausforderung besteht darin, dieses auch den Migranten zu vermitteln – und zwar kognitiv, nicht durch „Betroffenheit“.

Wie haben sich die Fragestellungen der Antisemitismusforscher entwickelt?

Antisemitismusforschung ist eine interdisziplinäre Angelegenheit, die sich aus vielen Wissenschaften, aus vielen Ansätzen heraus speist. Sie kann nicht dabei stehen bleiben, Judenfeindschaft zu untersuchen, sondern wir begreifen Antisemitismus, Judenfeindschaft als Paradigma des Vorbehaltes gegenüber Minderheiten. Wir haben mehrere Projekte, in deren Mittelpunkt Sinti und Roma stehen. Wir versuchen die Erfahrungen, die wir mit dem Antisemitismus haben, auch auf anderen Gebieten nutzbar zu machen. Deshalb haben wir die Antisemitismusforschung weiterentwickelt zu einer allgemeinen Vorurteilsforschung, die Minderheiten jeder Art, beispielsweise auch Homosexuelle, in den Blick nimmt.

Wie begegnen Sie dem Rechtsradikalismus, der weiter starken Zulauf besitzt?

Wir haben eine eigene Präventionsstelle. Das ist einmalig, dass an einem Universitätsinstitut eine praxisorientierte Abteilung existiert, nämlich die Arbeitsstelle Jugendgewalt und Rechtsextremismus. Deren Finanzierung ist übrigens trotz politischer Zusagen seit ungefähr acht Jahren ungewiss. Diese Stelle bemüht sich um den Austausch zwischen Praxis und Theorie. Der zuständige Kollege hat exzellente Kontakte zu Kommunen und Einrichtungen, die mit jugendlichen Migranten, mit sozial Schwachen arbeiten – das ist Politikberatung im Maßstab eins zu eins.

An der TU Berlin werden die geisteswissenschaftlichen Fakultäten abgebaut – wie wirkt sich das auf das Zentrum aus?

Das wissen wir noch nicht. Unser Institut selbst ist nicht gefährdet. Wir werden keine Studenten aus den klassischen Fächern, die Lehrer werden wollen, mehr haben – das ist eine völlig neue Situation. Unser Alleinstellungsmerkmal als interdisziplinäres, geisteswissenschaftliches Institut wird durch diese Entwicklung gestärkt. Möglicherweise werden wir auch mehr zu einem reinen Forschungsinstitut. Das unmittelbare Umfeld von Gesprächspartnern, aber vor allem von interessierten Studierenden, die Philosophie, Neuere Geschichte, Musikwissenschaft oder ein anderes Fach belegt haben und neue Impulse in unser Institut hineinbringen – das wird uns sicher fehlen.

Wo wird das Zentrum für Antisemitismusforschung in 20 Jahren stehen, welche großen Entwicklungen sehen Sie für die Antisemitismusforschung und Ihr Institut?

Ich habe keine Ahnung. Ich bin glücklich, dass wir 25 Jahre ganz gut geschafft haben.

Das Gespräch führte Elke Kimmel.

Wolfgang Benz (66) ist Historiker und leitet seit 1990 das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Zuvor war er Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München.

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