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© promo

Interview: „Verstehen, woher wir kommen“

Der Genetiker Svante Pääbo vergleicht unser Erbgut mit dem des Neandertalers – und rekonstruiert so die Geschichte der Menschwerdung.

Gegenüber von Svante Pääbos Schreibtisch im Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie steht die Nachbildung eines Neandertalerskeletts. Es ist ein Hermaphrodit – nicht Mann, nicht Frau –, zusammengesetzt aus Kopien von Knochenfragmenten von vielen verschiedenen Fundorten. Genauso puzzelt er auch das Genom des nächsten Verwandten der Menschheit zusammen: Aus Tausenden Genfragmenten, die er aus 38 000 Jahre alten Knochensplittern isoliert hat. Die Gebeine stammen aus der Vindija-Höhle in Kroatien. Ohne eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Berlin-Brandenburgischen und der Kroatischen Akademie der Wissenschaften wäre dieses Genomprojekt nicht möglich gewesen. Seit Pääbo 1984 Erbmaterial aus einer altägyptischen Mumie isolierte, gilt er als Begründer der Paläogenetik. Mit ihm sprach Hanno Charisius.

Herr Pääbo, Sie rekonstruieren das Erbgut des Neandertalers. Lernt man dabei auch etwas über uns Menschen?



Wir wollen verstehen, was mit dem Menschen passiert ist, seit sich sein Weg vor über 400 000 Jahren von dem des Neandertalers trennte. Wir suchen nach den genetischen Spuren, die unseren frühen Vorfahren einen Überlebensvorteil verschafften. Weil der Neandertaler enger mit uns verwandt ist als jeder noch lebende Menschenaffe, klärt der Vergleich zwischen beiden Genomen vielleicht, welche genetischen Veränderungen uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Wir wollen versuchen, die Geschichte der Menschwerdung zu rekonstruieren.

Das klingt, als wären Sie ein Historiker.

Nur teilweise, würde ich sagen. Zunächst versuchen wir, unsere biologische Geschichte zu rekonstruieren. Darüber hinaus möchte ich nicht spekulieren und nur das sagen, was wir aus den genetischen Daten schlussfolgern können. Verhaltensweisen lassen sich zum Beispiel nicht aus dem Erbgut herauslesen, aber vielleicht immerhin, ob sich der Neandertaler mit unseren frühen Vorfahren gemischt hat.

Ah, die Sexfrage?

Ja. Wir wissen inzwischen, dass es wahrscheinlich vorkam, doch der genetische Beitrag des Neandertalers zur Menschwerdung dürfte eher klein gewesen sein. Aber wenn wir das Neandertalergenom haben, können wir zum Beispiel auch untersuchen, ob es einen genetischen Beitrag von Vorfahren des modernen Menschen zu den Neandertalern gab. Das ist nicht nur für Genetiker interessant, sondern auch für das Verständnis, wie diese zwei Gruppen miteinander umgegangen sind.

Wie hat die Evolution die Wege des Menschen und des Neandertalers beeinflusst?

Wir arbeiten derzeit mit zehn weiteren Forschergruppen an einem Genom-Vergleich. Viel kann ich noch nicht verraten, weil wir die Analysen erst abschließen und dann die Ergebnisse in einem Fachjournal veröffentlichen wollen. Wir blicken derzeit auf rund 63 Prozent des Neandertalergenoms, die wir mit den entsprechenden Abschnitten des menschlichen Erbguts vergleichen können.

Ist die Evolution des Menschen bereits zum Stillstand gekommen?

Wenn wir uns anschauen, wie viele Unterschiede es zwischen zwei zufällig ausgewählten Menschen gibt, ist die Zahl viel geringer als bei Gorillas oder Schimpansen. Das deutet darauf hin, dass wir von einer ursprünglich kleinen Population auf die heutige Zahl von fast sieben Milliarden gewachsen sind. Im Grunde ist die Menschheit in den letzten 50 000 Jahren fast immer gewachsen, es passiert also nicht mehr viel im menschlichen Erbgut. Natürlich verändert sich auch weiterhin das Genom des Menschen durch Mutationen. Aber Evolution im Sinne der Selektion eines genetischen Vorteils gibt es eher nicht. Wir haben inzwischen kulturelle Möglichkeiten, einen genetischen Nachteil zu kompensieren. Heute sind zum Beispiel Verkehrsunfälle eine große Gefahr. Aber wir warten deshalb nicht auf eine Mutation, die uns vorsichtiger oder reaktionsschneller macht, sondern wir machen Zebrastreifen auf die Straße, um Fußgänger zu schützen. Wir passen uns heute kulturell an neue Lebensbedingungen an. Gegenüber der kulturellen Evolution spielt die biologische praktisch keine Rolle mehr. Den genetischen Hintergrund für diese schnelle kulturelle Entwicklung würden wir gern finden.

Haben Sie schon einen Kandidaten unter den Genen ausgemacht?

Nur eine Vermutung: Wir kennen heute das Gen FOXP2. Wenn das beim Menschen nicht richtig funktioniert, hat er eine schwere Sprachstörung. Zum Sprechen ist höchstentwickelte Muskelkoordination nötig. Die Betroffenen können nur schwer artikulieren, weil ihre Feinmotorik gestört ist. Aus Versuchen mit Mäusen wissen wir, dass dieses Gen das Wachstum von Nervenzellen beeinflusst. Alle Säugetiere haben es, aber das menschliche unterscheidet sich etwas von den übrigen. Und wir wissen, dass die Version des Neandertalers der menschlichen stark ähnelt. Aber die Menschwerdung hängt bestimmt nicht nur mit diesem Gen zusammen. Es ist ein Beispiel für eine Erbanlage, die vermutlich eine Rolle spielte. Mit Hilfe des Neandertalergenoms finden wir hoffentlich weitere.

Lernt man aus der Vergangenheit etwas über die Zukunft der Menschen?

Kaum. Wenn wir dieses Interview vor 15 000 Jahren gemacht hätten, hätte ich sicher nicht den Ackerbau oder die industrielle Revolution vorhergesehen. Was unsere Zukunft entscheiden wird, ist die kulturelle Entwicklung, die wir nicht aus der Biologie heraus vorhersehen können.

Wie kommt es, dass sich so viele Menschen für Ihre Arbeit interessieren?

Es ist natürlich ein Privileg, Forschung zu machen, für die sich die Menschen spontan interessieren. Vermutlich fragt sich fast jeder einmal im Leben woher wir kommen – und man muss kein Lehrbuch gelesen haben, um zu verstehen, was wir machen.

Ein angeborener Trieb des Menschen, sich selbst verstehen zu wollen?

Irgendwie wollen wir unsere Geschichte verstehen. Es gab immer eine Faszination der Menschen für Archäologie und Paläontologie, und was wir machen ist eine Art Archäologie in unseren Genen.

- Svante Pääbo, geb. 1955 in Stockholm, ist Direktor am Max- Planck-Institut für evolutionäre Anthro- pologie und Mitglied der Berlin-Branden- burgischen Akademie der Wissenschaften.

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