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Engagiert. Musikhochschulen unterstützen Flüchtlinge – etwa indem sie ihnen wie hier in Trossingen singend Deutsch beibringen.

© picture alliance / dpa

Interview zu Musikhochschulen: „Exzellent mit Bachelor“

Martin Ullrich, Vorsitzender der Musikhochschulrektorenkonferenz, spricht im Interview über positive Folgen der Bologna-Reform, Studiengebühren - und wie Musikhochschulen Flüchtlingen helfen.

Herr Ullrich, nichts bewegt derzeit so sehr wie die Flüchtlingsfrage. Auch viele Unis in Deutschland engagieren sich für Flüchtlinge. Was machen die Musikhochschulen?

Aufgrund der langen Vorbereitungszeit für ein Musikstudium werden die Musikhochschulen Flüchtlinge zunächst nicht in großer Zahl in ihre grundständigen Studiengänge aufnehmen können. Musik ist aber eine Weltsprache, sie hat keine Grenzen. Wir können also in besonderer Weise zur Willkommenskultur beitragen. Ich denke an Musikpatenschaften für unbegleitete Flüchtlingskinder, an Willkommenskonzerte. In Nürnberg haben wir bereits ein Konzertkonzept für Kinder und deren Familien entwickelt, wo diese auch musizierend einbezogen werden können.

Wie kann man sich das vorstellen?

Die Grenze zwischen den Zuhörern und den Musikern wird aufgelöst – sei es durch Bodypercussion, Mitsingen oder das Spielen von Instrumenten. Die besondere Herausforderung ist es, das Publikum nonverbal zum Mitmachen zu bewegen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.

Prinzipiell sehen sich die Musikhochschulen in Deutschland gerne als elitäre Einrichtungen. Im Mittelpunkt steht der virtuose Künstler. Sie sind Vorsitzender der Musikhochschulrektorenkonferenz – und haben selber vor der Gefahr gewarnt, die Einrichtungen würden zu sehr in einem Elfenbeinturm gesehen. Wie meinen Sie das?

Ich habe ein Imageproblem gesehen. Es ist zum Beispiel nur wenigen bewusst, dass wir die Studienreform positiv und fruchtbar nutzen konnten – anders als vielleicht andere Hochschultypen. Sicher hat uns dabei auch geholfen, dass wir die Regelstudienzeit für Bachelor und Master zusammengenommen nicht in das übliche zehnsemestrige Korsett zwängen müssen.

Martin Ullrich ist Vorsitzender der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen und seit 2009 Präsident der Hochschule für Musik Nürnberg. Davor war Ullrich an der UdK Berlin.
Martin Ullrich ist Vorsitzender der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen und seit 2009 Präsident der Hochschule für Musik Nürnberg. Davor war Ullrich an der UdK Berlin.

© promo

Die Musikhochschulen haben sich wie die Kunsthochschulen allerdings anfangs heftig gegen die neuen Abschlüsse gewehrt.

Es ist richtig, dass es am Anfang Misstrauen gab. Inzwischen haben wir uns den Anforderungen des späteren Berufsalltags aber in ganz neuem Umfang geöffnet. Überfachliche Kompetenzen wurden gestärkt, Schlüsselqualifikationen sind in die Studiengänge implementiert worden. Es gibt neue Studiengänge, die vorher gar nicht denkbar waren, wie Popmusikdesign. Wissenschaftliche, künstlerische und pädagogische Schwerpunkte werden inzwischen ganz neu verknüpft.

Wie wirkt sich das auf das Kerngeschäft, die musikalische Ausbildung, aus?

Es gab Ängste, dass das Exzellenzniveau im künstlerischen Hauptfach sinken könnte. Aber das ist gar nicht der Fall: Die jungen Geigerinnen, Pianisten, Sängerinnen werden immer besser. Die alten Stärken sind also erhalten geblieben. Der Kern des Musikstudiums bleibt das intensive künstlerische Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden.

Gehört die Lehrerbildung Ihrer Meinung nach an Musikhochschulen? Manche klagen, sie existiere dort nur in einer Nische.

Ich habe ein sehr großes Herz für die Lehrerbildung, denn der Musikunterricht in der Schule legt den Grundstein für eine breite Beschäftigung mit Musik. Gerade die gymnasiale Schulmusik gehört daher an die Musikhochschulen. An den Massenuniversitäten hat die Musik oft einen schweren Stand, weil dort nicht recht einsehbar ist, warum man sich die intensive Einzelbetreuung leisten soll. Und durch den Trend zur Ganztagsschule entwickelt sich viel in der Schulmusik. Es gibt die Möglichkeit, außerschulische Angebote mit dem schulischen Musikunterricht zu verzahnen.

Der Arbeitswelt ändert sich auch für Musiker. Spielt das für die Lehre eine Rolle?

Tatsächlich werden Festanstellungen im Orchesterbereich weniger. Der Festivalbereich explodiert dafür. Von den Absolventinnen und Absolventen ist viel mehr Selbstständigkeit gefragt als früher. Sie müssen sich nicht nur selbst vermarkten, sondern neue dramaturgische Konzepte für Konzerte und Aufführungen im Grenzbereich von Musik, Schauspiel und bildender Kunst finden. Darauf bereiten unsere neuen Studiengänge viel besser vor als die alten, die ausschließlich auf die Kernkompetenz der künstlerischen Exzellenz zugeschnitten waren.

Musikhochschulen sind sehr international, für viele Musikstudierende gilt Deutschland als Traumziel. Zuletzt hat der Rechnungshof in Baden-Württemberg das im Jahr 2013 aber nicht als Ausweis künstlerischer Exzellenz gesehen, sondern als finanzielle Last kritisiert. Es sei nicht nachvollziehbar, weswegen das Land unentgeltlich Kapazitäten für Studierende vorhalte, die nach ihrem Abschluss Deutschland wieder verlassen. Die Hochschulen sollten lieber Gebühren von Nicht-EU-Ausländern erheben und insgesamt Geld sparen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Den Musikhochschulen zu viele internationale Studierende vorzuhalten, halte ich für einen merkwürdigen Zungenschlag. Letztlich sind Kürzungen in Baden-Württemberg auch abgewendet worden, die Musikhochschulen in Baden-Württemberg bekommen jetzt mehr Geld. Ich wäre aber durchaus offen, von internationalen Studierenden Gebühren zu verlangen, wie es etwa die Hochschule für Musik in Leipzig seit einiger Zeit macht.

Die Leipziger nehmen 3600 Euro im Jahr.

In den meisten Bundesländern ist das hochschulrechtlich aber gar nicht möglich. Die Politik sollte uns hier zunächst mal Bewegungsfreiheit geben. Ich will nicht missverstanden werden: Für legitim halte ich zum Beispiel die 300 Euro, die alle Studierenden in Bayern bis vor Kurzem zahlen mussten. Grundsätzlich kämpfe ich glühend für öffentlich getragene Hochschulen und Kulturinstitutionen. Denken Sie an die mutigen, riskanten Projekte, die mit staatlicher Förderung ermöglicht werden. Die können zwar scheitern – aber auch großartig gelingen.

Sie erforschen die Auswirkungen der Digitalisierung von Musik. Was treibt Sie da um?

Viele Menschen haben erwartet, dass das Live-Konzert verschwindet und Musikaufnahmen immer wichtiger werden, weil die Distributionsmöglichkeiten durch die Digitalisierung immer besser werden. Passiert ist genau das Gegenteil. Durch die Inflationierung von Aufnahmen drohen diese zum Gimmick zu verkommen. Dagegen gewinnen Konzerte immer mehr an Bedeutung, man kann von einer Re-Auratisierung der Live-Situation im digitalen Zeitalter sprechen. Dieses Paradoxon, dass durch die große Verfügbarkeit von Klangaufnahmen das Nicht-Reproduzierbare wichtiger wird, fasziniert mich sehr.

Apropos Live-Konzerte: Sie waren lange in Berlin an der UdK. Seit 2009 sind Sie Präsident der Hochschule für Musik Nürnberg. Vermissen Sie das kulturelle Angebot Berlins?

Natürlich ist das Angebot in Berlin viel größer. Aber unterschätzen Sie mir Nürnberg nicht. Das Staatstheater hat beispielsweise eine tolle künstlerische Entwicklung genommen. Ich habe hier eine „Götterdämmerung“ gesehen – die war wirklich fulminant!

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