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Zwei Männer stehen in einem farbigen, virtuell erzeugten Raum.

© Ulrich Dahl/Technische Universität

IT-Standort Deutschland: Wo Berlin im Wettbewerb um die Digitalisierung steht

Wer führt in der deutschlandweiten Konkurrenz der IT-Standorte? Die Berliner Unis stehen bei der Forschung rund um die Digitalisierung schon gut da, aber andere Regionen sind mit der Förderung weiter.

Diabetiker messen ihren Blutzucker über das Handy. Der Thermostat einer Heizung informiert sich online über Wetter und Tageszeit, registriert, wie viele Personen im Raum sind und stellt die Wohnungstemperatur ein. Das sind zwei Beispiele von vielen, die vor nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen wären – und doch inzwischen Realität sind. Kleinste Computer unterstützen den Menschen im Alltag fast unmerklich. In rasantem Tempo revolutioniert die Digitalisierung Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.

Hochschulen und Forschungsinstitute haben diese Entwicklung vorangetrieben, mal geplant, mal zufällig. Das zeigt schon die Geschichte des Internets. Dessen Vorläufer entstand in den Siebzigern, um die Großrechner der US-Unis zu vernetzen. Das World Wide Web erfand 1989 ein Forscher des Europäischen Kernforschungszentrums Cern quasi nebenbei.

"Einmalige Konzentration von Einrichtungen" im IT-Bereich

Ebenso wandelt sich die Wissenschaft durch die Digitalisierung, quer durch alle Fächer. Weil viel größere Datenmengen verarbeitet werden, können Sozialwissenschaftler gesellschaftliche Zusammenhänge neu erschließen. Die Medizin macht sich auf, Krankheiten passgenau auf den Patienten zu analysieren. „Die Verbindung der Internetwelt mit der physikalischen Welt ist eines der Großthemen der Zukunft“, sagt Jürgen Mlynek, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft. Als „Internet der Dinge“ hat der Informatiker Kevin Ashton vom MIT diese Verzahnung bereits 1999 vorhergesagt. Unter Schlagworten wie „Industrie 4.0“ – die Bundesregierung nutzt den Begriff für ihre Hightech-Strategie – rüsten sich Firmen, um „intelligente Fabriken“ zu schaffen.

Wie ist Berlin im Vergleich zu anderen Wissenschaftsstandorten für diese Revolution aufgestellt? Eine Kernwissenschaft für den digitalen Wandel ist naturgemäß die Informatik. Für Hans-Ulrich Heiß, Vizepräsident der TU Berlin und Vorstandsvorsitzender des Fakultätentags der Informatik, hat die Stadt hier bereits jetzt eine „einmalige Konzentration von Einrichtungen“. Alle drei großen Unis führen die Informatik, ebenso die beiden größten Fachhochschulen und mehrere außeruniversitäre Institute (hier eine Übersicht zur IT-Forschung in Berlin). „Wir haben einiges vorzuweisen, an Masse wie an Exzellenz“, sagt Heiß. Mlynek hält Berlin ebenfalls für gut aufgestellt – auch weil es in wichtigen angrenzenden Bereichen wie der Mathematik stark ist.

Bei der Zahl der Informatik-Professuren liegt Berlin vorn

Geht es allein nach der Gesamtzahl der Informatik-Professoren und -Professorinnen, ist Berlin tatsächlich schon heute führend (siehe Grafik). Im Jahr 2013 gab es an deutschen Hochschulen 2539 Informatik-Professoren. 154 davon forschen und lehren in Berlin, wie eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes für den Tagesspiegel ergibt. Es folgen München, Stuttgart, Karlsruhe und Hamburg. Für Stuttgart und Hamburg erklären sich die hohen Zahlen aber auch durch überdurchschnittlich viele Professoren an weniger auf Forschung orientierten Einrichtungen wie der Dualen Hochschule Stuttgart (42) beziehungsweise an den Fachhochschulen (in Hamburg 49).

Auf einer Deutschlandkarte sind die größten IT-Hochschulstandorte eingezeichnet.
IT-Stadt Berlin. Mit insgesamt 154 Informatik-Professuren liegt Berlin bundesweit vorn. München hat aber mehr Professuren an Universitäten.

© Statistisches Bundesamt/Tagesspiegel

Für Hans-Ulrich Heiß zählen denn auch neben Berlin eher München, Karlsruhe und Aachen zu den bedeutenden Informatik-Standorten. Vergleicht man nur die Unis, arbeiten in München (69) sogar mehr Professoren als in Berlin (64). München wurde in einer Studie der EU-Kommission unlängst zur europaweit besten Region der Informations- und Kommunikationstechnologie gekürt (Berlin kam auf Rang 15, hier kann man die gesamte Studie abrufen). Insbesondere die TU München ist forschungsstark, was man am Einwerben von Drittmitteln ablesen kann. Rechnet man die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), des Bundes und der EU zusammen, lag die TU München laut DFG-Förderatlas in der Informatik zwischen 2008 und 2010 mit 51,1 Millionen Euro vorne. Es folgen die TU Dresden und die RWTH Aachen, vor der Uni Stuttgart, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der TU Berlin. Neue Zahlen wird die DFG dieses Jahr vorlegen.

"Informatik-Zentren" im Saarland und der Region um Paderborn

Den expliziten Anspruch, ein „Informatik-Zentrum“ zu sein, erhebe in Deutschland indes nur das Saarland für sich, sagt Heiß. Die Uni Saarbrücken gewann in der Exzellenzinitiative mit zwei Vorhaben in der Informationswissenschaft. Zwei von drei Max-Planck-Instituten zur Informatik liegen im Saarland. Die Region um Paderborn versucht sich ebenfalls in die Richtung zu entwickeln. Die Uni nennt sich „Universität der Informationsgesellschaft“. In einem vom Bund geförderten Spitzencluster arbeiten 174 Hochschulen, Institute und Firmen an der Entwicklung softwaregesteuerter Maschinen.

Nun entstehen die wahren Innovationen meistens an den Schnittstellen von der Informatik zu anderen Fächern. „Wir müssen uns in Deutschland noch mehr als bisher von der klassischen Informatik lösen“, sagt Mlynek. Peter-André Alt, der Präsident der Freien Universität Berlin, hat daher bereits einen „Masterplan“ für die Digitalisierung der Stadt gefordert.

Die Technologiestiftung Berlin will ein "großes digitales Forschungszentrum"

„Berlin braucht ein großes digitales Forschungszentrum“, sagt Nicolas Zimmer, Vorstandsvorsitzender der Technologiestiftung Berlin. Vorbild könne das Matheon sein, in dem Mathematiker der Unis und zweier Forschungsinstitute arbeiten. Das digitale Zentrum solle Informatiker, Mathematiker, Ingenieure, Elektrotechniker, aber auch Kultur- und Sozialwissenschaftler, Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler zusammenbringen, sagt Zimmer. An einer Graduiertenschule sollen der wissenschaftliche Nachwuchs und dringend benötigte Fachkräfte ausgebildet werden – „von jungen, anwendungsorientierten Professoren“.

Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach sieht die Gesundheitsforschung als Vorbild. „Mit der Entwicklung der Charité zur international renommierten Marke und dem Aufbau des Berliner Instituts für Gesundheitswirtschaft haben wir Pflöcke eingeschlagen“, sagt Krach. Auch für die Digitalisierung sollten nun „besondere Förderprogramme oder die Einrichtung von weiteren IT-Lehrstühlen“ diskutiert werden. Da könne Berlin selbstbewusst den Wettbewerb mit Bayern und Baden-Württemberg aufnehmen.

Bayern will 20 neue IT-Professuren schaffen

Allerdings sind diese beiden Länder bei der IT-Förderung schon weiter. Ein „Zentrum Digitalisierung“, wie es Zimmer für Berlin vorschwebt, hat Bayern unlängst angekündigt. Dafür sollen 20 neue Professuren eingerichtet werden, in den kommenden vier Jahren will das Land 113 Millionen Euro ausgegeben. Noch einmal fast 200 Millionen Euro sollen im Rahmen der „Bayern Digital“-Strategie in Lehre und Forschung an den Hochschulen fließen. Baden-Württemberg legte vor eineinhalb Jahren das „Strategiekonzept Forward IT“ auf. Mit zunächst 33 Millionen Euro sollen bis 2018 neue Großprojekte in der Forschung entwickelt werden. Hochschulen können neue Bachelor- und Masterprogramme beantragen. Das Ingenieurstudium soll mit Blick auf die Digitalisierung reformiert werden.

International ist die Konkurrenz groß. London und Paris setzen in Europa den Standard im IT-Bereich, in London gibt es 16 Unis mit entsprechenden Bereichen. Am MIT in den USA forschen allein am „Computer and Artificial Intelligence Labratory“ knapp hundert Professoren. Mit Blick auf solche Standorte hält es Helmholtz-Präsident Mlynek für eine gute Idee, 100 zusätzliche IT-Professuren in Berlin einzurichten, wie Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner vorgeschlagen hat. „Berlin muss sich entscheiden, auf welchem Gebiet es international führend sein will. Da gilt: klotzen und nicht kleckern“, sagt Mlynek.

Werden neue Professuren geschaffen, müssten die Unis noch stärker um Informatik-Studierende werben. Bundesweit haben die meisten Studiengänge keinen NC, was darauf verweist, dass das Angebot schon jetzt größer als die Nachfrage ist. Zwar würden sich viel mehr Studienanfänger einschreiben als nach dem Platzen der Internetblase Anfang der nuller Jahre, sagt TU-Vize Heiß: „Wir hinken dem Bedarf an Fachkräften aber immer noch hinterher.“

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