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Wissen: Jäger und Sammler der Information

Der Wissensaustausch ist so alt wie die Menschheit. Eine Konferenz an der Freien Universität Berlin

Die Globalisierung setzte schon lange vor dem 20. Jahrhundert ein. Australische Wissenschaftler untersuchten kürzlich mehr als 5000 Jahre alte Jadesteine aus Ländern wie Vietnam und den Philippinen und stellten fest: Bei 116 der 144 Schmucksteine stammte der Rohstoff aus ein und demselben Ort in Taiwan – ein Zeichen für rege Handelsbeziehungen. Mehr als dieser ökonomische Aspekt interessierte die Wissenschaftler, die letzte Woche zum 97. internationalen Workshop der Dahlem-Konferenzen der Freien Universität in Berlin zusammenkamen, die große stilistische Ähnlichkeit der Schmuckstücke, die den Anschein erweckten, als sei ganz Südostasien von einer Mode erfasst worden. Thema der von der Freien Universität Berlin (FU) ausgerichteten interdisziplinären Zusammenkunft – unter Leitung von Jürgen Renn, Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, – war die Weitergabe eines immateriellen Gutes, nämlich die Globalisierung von Wissen.

Wissen sei, ähnlich wie Waren, schon immer ausgetauscht worden, folge dabei aber nicht dem üblichen Handelsfluss, lautete die These. Die Regeln seiner Verbreitung versuchten die Wissenschaftler während der Konferenz zu entschlüsseln.

Als Voraussetzung für Informationstransport nannte Eva Cancik-Kirschbaum, Professorin am FU-Institut für Altorientalistik, ein einheitliches Bezugssystem. Das prominenteste Beispiel hierfür, die Schrift, fällt wiederum durch Kopplung an ökonomische Vorgänge auf: „Je komplexer die Organisation von Staat und Wirtschaft“, schrieb der englische Kulturwissenschaftler Jack Goody, „desto stärker das Bedürfnis nach einer grafischen Repräsentation von Sprache.“ Und tatsächlich war die älteste Schriftform, die Proto-Keilschrift, in der zweiten Hälfte des vierten Jahrtausends v. Chr. in Mesopotamien entstanden, zunächst ein Buchhaltungsinstrument. Mit Siegeln und Tokens, den gegenständlichen Zählsymbolen, stellte man die Verteilung von Gütern dar. Erst später kam man darauf, Schrift dafür zu nutzen, phonetische Inhalte zu bewahren. So etwa in der Bibliothek von Alexandria, 288 v. Chr. als kollektives Gedächtnis der Antike gegründet. Durch ihre Zerstörung in späteren Kriegswirren vermittelt sie eine weitere Lektion: Wissen ist zerbrechlich und kann verlorengehen; so wurde das Porzellan zweimal erfunden, 620 im Kaiserreich China und 1709 erneut von Johann Friedrich Böttger in Dresden.

In diesem Fall ist der Wissenstransfer von China nach Europa offenbar misslungen, im 17. Jahrhundert schlug er in die andere Richtung fehl. Damals scheiterten, wie Matthias Schemmel vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte erläuterte, die Jesuiten daran, ihr Wissen in China zu verbreiten – möglicherweise weil das chinesische Wissenssystem stabil war, das europäische sich dagegen im Umbruch befand.

Dass Wissen stets im Wandel begriffen ist, unterscheidet es wiederum von der Handelsware, die sonst auf dem Globus herumgereicht wird. So hob Hansjörg Dilger vom FU-Institut für Ethnologie hervor, dass Wissen für eine Anwendung an einem neuen Ort oft aktiv verändert werden müsse. Als Beispiel führte er den geringen Erfolg von internationalen Aids-Aufklärungskampagnen in den ländlichen Regionen Ostafrikas an. Ihre Botschaften von „wahrer Liebe“ bilde zwar die Haltung und Lebensweise junger Städter ab, verfehle seine Wirkung aber in den Dörfern, weil Ehen dort als Zweckgemeinschaften gälten.

Welche Rolle Wissen in den Beziehungen zwischen Industrienationen und Dritte-Welt-Ländern überhaupt einnimmt und wie die Verfügungsgewalt über Informationen Machtstrukturen bestimmt, kam dabei ein wenig zu kurz. Verena Friederike Hasel

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