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Jahresrückblick: 2010: Ein Jahr des Genoms

Das Fachblatt „Science“ kürt die Durchbrüche des Jahres in der Forschung. Die Erbgutanalyse dominiert. Das beeindruckendste Resultat kommt aus der Quantenphysik.

Als ob es nicht genügend Rückblicke gäbe. Und doch lohnt es sich jedes Jahr aufs Neue, die Liste des Fachblatts „Science“ anzuschauen. Mitte Dezember präsentiert die Redaktion des Wissenschaftsmagazins ihre zehn Höhepunkte der Forschung. Abgesehen vom zuerst genannten „Durchbruch“ will die Liste nicht wichten und erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aber sie zeigt, was in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen geschafft wurde und wo weitere Entdeckungen zu erwarten sind.

Die Quantenmaschine

Das nach „Science“-Meinung beeindruckendste Forschungsresultat des Jahres sieht aus wie ein Sprungbrett und ist gerade so groß, wie ein menschliches Haar dick ist. Es ist das erste von Menschenhand geschaffene Objekt, das nicht den Gesetzen der klassischen Mechanik gehorcht, sondern jenen der Quantenphysik. Die wurden bisher nur bei Atomen oder Molekülen beobachtet – aber nicht in einem künstlichen Gegenstand, der aus zig Einzelatomen aufgebaut ist. Das ausgezeichnete Sprungbrett besteht aus einer Aluminiumverbindung, die piezoelektrisches Verhalten zeigt. Wird ein Strom angelegt, verändert es seine Struktur, wobei es dicker oder dünner wird. Auf diese Weise kann es auch zum Schwingen gebracht werden. Indem die Physiker um Andrew Cleland von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara ihre Konstruktion auf eine Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt brachten, gelangte sie zunächst in einen Zustand minimaler Energie, also maximaler Ruhe. Als sie dann ein einzelnes Energiequant in das System schickten, nahm das Sprungbrett zwei Zustände zugleich ein: sowohl Schwingen als auch Ruhe. Das geht nur in der Quantenwelt.

Dieser Durchbruch könnte helfen, die Grenzen der Quantentheorie auszuloten, schreibt die Science-Redaktion. Als praktische Anwendung seien beispielsweise extrem sensible Bewegungssensoren denkbar.

Das 40-Millionen-Dollar-Genom

Das Erbgut von Lebewesen zu entziffern, ist inzwischen Fließbandarbeit geworden. Nun gehen Molekularbiologen einen Schritt weiter und versuchen, das Erbgut aus seinen chemischen Bausteinen aufzubauen. Den Anfang machte dieses Jahr Craig Venter: Mit vielen Jahren Arbeit und 40 Millionen Dollar ist es ihm gelungen, das Erbgut eines Bakteriums aus vielen kleinen, über das Internet bestellten Schnipseln, zusammenzusetzen. Und nicht nur das. Mit diesem synthetischen Erbgut ersetzte er dann das Erbgut eines verwandten Bakteriums: „Synthetisches Leben“ nennt Venter das Ergebnis. Die meisten Kollegen verstehen darunter mehr als nur ein künstliches Genom. Aber Venters Arbeit zeigt, dass die synthetische Biologie längst zu einem Forschungsfeld geworden ist, das unsere grundlegenden Annahmen über das Leben berührt.

Der Neandertaler in uns

Er hat Spuren in uns hinterlassen, der Neandertaler. Europäer und Asiaten verdanken ein bis vier Prozent ihrer Gene Neandertalervorfahren, während Afrikaner diese ausgestorbenen Urmenschen nicht zu ihren Ahnen zählen. Irgendwann vor Zehntausenden von Jahren gab es also mehr als nur sporadischen Kontakt zwischen Mensch und Neandertaler. Das ist das wohl spektakulärste Ergebnis, das die Entzifferung des Neandertalererbguts durch Wissenschaftler des Max-PlanckInstituts für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig zutage förderte. Es gelang, etwa Zweidrittel des Genoms zu rekonstruieren, ein vor wenigen Jahren fast undenkbares Ergebnis. Die Wissenschaftler sind dabei, jene genetischen Bereiche zu untersuchen, die Neandertaler und Mensch unterscheiden. Diese Abschnitte werden vermutlich Informationen darüber liefern, was den Menschen zum Menschen macht. Und damit über jenen vermeintlich kleinen Unterschied zum Neandertaler, der doch über Weiterleben und Aussterben entschied. Immerhin, mit ihrer Forschung setzen die Leipziger Anthropologen unserem unglücklichen Cousin ein spätes Denkmal.

Du und deine Sequenz

Schneller, billiger, besser: Die Entzifferung von Erbgutsequenzen ist dank technischer Fortschritte schon zur Routine geworden. In wenigen Jahren wird jedermann seine Erbinformation für ein paar hundert Euro „lesen“ können. Das 1000-Genom-Projekt hat es sich zum Ziel gesetzt, alle kleinen Abweichungen im Genom ausfindig zu machen, die sich bei mindestens einem Prozent aller Menschen finden. In diesem Jahr wurden die ersten drei Studien des Projekts veröffentlicht, die insgesamt 15 Millionen solcher winzigen genetischen Variationen dokumentierten, Einzelnukleotid-Polymorphismen oder kurz SNPs genannt. 8,5 Millionen von ihnen waren unbekannt.

Schnell umprogrammiert

Stammzellen kann man inzwischen mit ein paar genetischen Kniffen auch aus ganz normalen Zellen gewinnen. Jetzt wurde ein Weg gefunden, der das Ganze noch einfacher macht. Forscher bauten die Zellen mithilfe künstlicher Ribonukleinsäure (RNS) um. Mit diesen DNS-ähnlichen Molekülen programmiert man doppelt so schnell und 100-mal wirksamer um. Außerdem löst sich die künstliche RNS rasch auf, was eine mögliche Therapie mit umprogrammierten Zellen sicherer macht.

Was das Exom verrät

Seltene genetische Krankheiten haben ihre Ursache in einzelnen defekten Erbanlagen. Bisher legte man ihre Wurzeln offen, indem man die Vererbungsmuster in betroffenen Familien studierte. Nicht immer gelingt das, weshalb Genetiker nun ein neues Verfahren entwickelten. Sie entzifferten bei einer Reihe angeborener Leiden nur jenes Hundertstel der Erbgutinformation, welches tatsächlich die Bauanleitung für Proteine enthält. In dieser Kerninformation des Genoms, „Exom“ genannt, findet sich dann häufig der entscheidende Hinweis auf ein krank machendes Gen.

Der Quantensimulator

Der universelle Quantencomputer, der selbst komplexe Aufgaben in null komma nichts löst, ist noch weit entfernt. Für spezielle Probleme der Festkörperphysik jedoch könnten Quantensimulatoren genutzt werden. Das haben mehrere Forscherteams gezeigt. In den Simulatoren werden tausende Atome stark gekühlt und durch verschieden ausgerichtete Laserlichtwellen „eingesperrt“. Das Gebilde ähnelt einem Kristall, wobei die großen Atome sich verhalten wie die kleinen Elektronen in einem richtigen Festkörperkristall. So lassen sich viele Phänomene untersuchen, die in ausgedehnten Festkörpern auftreten. Mit solchen Quantensimulatoren gelang es nun, bereits vorhandene Lösungen komplexer Gleichungen zu reproduzieren. Künftig, so hofft man, werden auch ungelöste Rätsel der Festkörperphysik geknackt, die etwa zu Supraleitern führen, die auch bei Raumtemperatur funktionieren.

Wie man sich faltet

Ohne Proteine geht nichts. Sie sind die Bausteine und die Handwerker des Lebens. Die Frage aller Fragen für Proteinforscher ist die nach der Faltung. Denn aus einer fadenförmigen Aneinanderreihung von Aminosäuren entstehen bei der Proteinfaltung komplexe räumliche Gebilde, molekulare Knäuel, deren Gestalt alles andere als zufällig ist. US-Forscher haben nun mithilfe riesiger Rechner simuliert, wie sich ein kleines Protein faltet und wieder entfaltet (siehe großes Foto).

Rückkehr der Ratten

Das Herz des Menschen schlägt 70-mal in der Minute, das der Ratte 300-mal, das der Maus 700-mal. Ratten sind uns Menschen nicht nur in diesem Punkt „ähnlicher“ als Mäuse und deshalb besser geeignet, um menschliche Krankheiten zu studieren. Bisher war es jedoch nur möglich, in Mäusen bestimmte Gene auszuschalten und so am „Mausmodell“ Krankheiten zu simulieren. Mittlerweile gibt es Verfahren, mit denen das auch bei der Ratte gelingt. Als wichtigstes Versuchstier könnte sie die Maus ablösen.

Schub für die Aids-Vorbeugung

Hoffnungsschimmer bei der Vorbeugung gegen eine Infektion mit dem Aids-Erreger HIV: Nach etlichen Rückschlägen zeigten sich in zwei Studien günstige Ergebnisse. In Südafrika senkte ein Vaginalgel mit dem Aids-Mittel Tenofovir bei gefährdeten Frauen das Infektionsrisiko über 30 Monate um 39 Prozent. Und homosexuelle Männer, die das Anti-HIV-Medikament Truvada vorbeugend einnahmen (enthält Tenofovir und einen weiteren Wirkstoff), hatten über einen Zeitraum von gut einem Jahr rund 44 Prozent weniger Infektionen. Kein Durchbruch, aber eine neue Perspektive.

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