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James H. Meredith auf dem Weg zu seinem ersten Seminar

© mauritius images

James H. Meredith, erster Schwarzer an der Uni Mississippi: Bürgerkrieg um einen Studenten

Vor 50 Jahren machte James H. Meredith, der erste Schwarze an der University of Mississippi, sein Examen. Politiker und der Ku Klux Klan hetzten Menschen gegen ihn auf. Doch er wusste, was er tat.

Er hatte es geschafft. Er, James H. Meredith, siebtes von 13 Kindern eines Kleinbauern aus Kosciusko im tiefsten Mississippi, war der erste Schwarze, der von der University of Mississippi einen Abschluss erhielt. Seine Eltern, seine Frau und sein kleiner Sohn saßen voller Stolz im Publikum. Und doch war dieser Moment am 18. August 1963 weit weniger erhaben, als man hätte erwarten können. Meredith stand unter 400 weißen Kommilitonen Schlange, bis der Unikanzler ihm sein Zeugnis überreichte und einen Glückwunsch murmelte, das war’s. Keine Schlägereien, keine Schießereien, kein Gebrüll. Weder laute Buhs noch große Hurras. Aber dem 30-Jährigen war sowieso nicht besonders nach Feiern zumute: Zwei Monate zuvor war sein Freund Medgar Elvers, ein schwarzer Bürgerrechtler, ermordet worden.

Wer den historischen Augenblick am Abend im Fernsehen verpasst hatte, konnte es am nächsten Morgen in der „New York Times“ auf Seite eins nachlesen: James H. Meredith hat seinen Bachelor in Politikwissenschaften gemacht. Ein kleiner Schritt auf seiner akademischen Laufbahn – sein Examen als Jurist legte er später an der Columbia University ab –, aber ein riesiger für das Land.

Sein Studium hatte den Staat Millionen Dollar gekostet. 31 000 Soldaten wurden mobilisiert, um ihm den Weg zum Studienplatz, zu seinem Recht als Amerikaner zu ebnen. Oxford, das pittoreske Unistädtchen im Südstaatenlook, dessen berühmtester Bewohner bis dahin William Faulkner war, wurde zum Schauplatz „der letzten Schlacht des Bürgerkriegs“. 100 Jahre, nachdem dieser offiziell vorüber war.

Fast alle hatten ihn für verrückt erklärt. Er musste verrückt sein: als Schwarzer ins Allerheiligste eindringen zu wollen. Der letzte Schwarze, der versucht hatte, sich an Ole Miss, wie die Uni liebevoll genannt wird, zu immatrikulieren, war tatsächlich in die Irrenanstalt eingewiesen worden. Aber James Meredith wusste genau, was er tat. Und er hatte Protektion von ganz oben: „A Mission from God“, so nannte er seine Erinnerungen. Geschrieben hat er sie zusammen mit William Doyle, der selber schon ein hoch spannendes, preisgekröntes Buch über den Aufstand in Mississippi verfasst hatte.

Als Soldat hatte Meredith Gleichberechtigung erlebt

Meredith hatte sich nicht wegen der akademischen Meriten der Uni beworben, die vor allem für ihr Footballteam bekannt war, die „Rebels“. Aber hier studierte die Elite. Ole Miss war der ganze Stolz von Mississippi, dem brutalsten unter den rassistischen Apartheidsstaaten im Süden, außerdem das ärmste Bundesland der USA und das mit dem höchsten schwarzen Bevölkerungsanteil.

Meredith brauchte die Uni nicht. Er hatte schon anderswo studiert und alle für den BA nötigen Scheine zusammen. Aber er war wollte nach Oxford, seit er aus dem Dienst der Air Force in Asien zurückgekehrt und Kennedy Präsident geworden war. Seine Eltern hatten Meredith Stolz und Bildungsdrang mitgegeben, als Soldat der Air Force hatte er relative Gleichberechtigung erlebt. Und in den drei Jahren in Japan hatte er erfahren, was es heißt, Mensch zu sein. Nicht als Schwarzer, sondern einfach als Amerikaner behandelt zu werden. Das wollte er jetzt auch zu Hause. Nicht nur für sich.

Meredith war ein Einzelgänger mit einem Schuss Größenwahn. Mit Vehemenz betont er seine Distanz zur Bürgerrechtsbewegung, die Anfang der 60er in ihre heiße Phase trat. Vom gewaltlosen Widerstand hielt er nichts. Er wollte das System knacken: die Doktrin der „white supremacy“, der vermeintlichen weißen Überlegenheit und Vorherrschaft. Unter der euphemistischen Devise „separate but equal“ herrschte in den Südstaaten ein Apartheidssystem, das Schwarze wie Menschen dritter Klasse behandelte, ihnen so grundlegende Rechte wie das auf Bildung verweigerte. Selbst als der Oberste Gerichtshof 1954 die Rassentrennung in Schulen für verfassungswidrig erklärte.

Der Gouverneur, ein Demokrat, ist sein erbitterter Gegner

Als Patriot zog Meredith jetzt in seinen heiligen Krieg, bewarb sich 1961 an der staatlichen Uni und wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Sein erbittertster Gegner war der Gouverneur von Mississippi, ein Demokrat nur dem Parteinamen nach, der sich ebenfalls auf Gott berief.

Als Soldat geübt, strategisch vorzugehen, besorgte Meredith sich Verbündete: bei der NAACP, einer der ältesten Bürgerrechtsorganisationen der USA. Medgar Elvers, der sich selber in den 50er Jahren vergeblich an der Uni als Jurastudent beworben hatte, vermittelte. NAACP-Anwälte standen Meredith bei dem Rechtsstreit zur Seite, der sich über ein Jahr durch verschiedene Instanzen zog. Bis sie schließlich beim Supreme Court angekommen waren, der die Universität am 10. September ’62 anwies, den Bewerber zu immatrikulieren. Und zwar sofort.

Gouverneur Ross Barnett dachte gar nicht daran. Mississippi beharrte auf seiner Souveränität. Sie ließen sich doch nicht von Washington vorschreiben, was sie zu tun hätten! Die Fronten waren so klar wie im Civil War: Nord gegen Süd.

John F. Kennedy schickte Truppen nach Mississippi

Vier Mal wurde Meredith unter rapide wachsendem Wachschutz eingeflogen und jedesmal vom Gouverneur oder seinem Stellvertreter wieder abgewiesen und in die Flucht geschlagen. Der Süden triumphierte, die Rassisten jubelten. Präsident Kennedy und sein Bruder Bobby als Justizminister verhandelten mit dem Parteifreund Ross Barnett per Telefon, versuchten Deals zu vereinbaren, die nicht eingehalten wurden.

Am Abend des 29. September 1962 hielt John F. Kennedy im Fernsehen eine Rede an die Nation: Es sei zwar das Recht jedes Bürgers, mit dem US-Recht nicht einverstanden zu sein – aber befolgen müsse er es schon. Kennedy machte das, was er um gar keinen Preis wollte: Er schickte Truppen gegen die eigenen Landsleute los. Mit Tränengas, so lautete das Kommando. JFK steckte in der dramatischsten innenpolitischen Krise seiner gesamten Amtszeit.

Mittlerweile hatten sich bewaffnete Rebellen aus dem ganzen Land, aufgepeitscht von Politikern und Ku Klux Klan, zusammengerottet. Oxford wurde zum Schlachtfeld. An einem Sonntag, der den Einwohnern noch heute so heilig ist, dass in Restaurants kein Alkohol ausgeschenkt wird, wurden Autos angezündet, Steine geworfen, mit Bleirohren geknüppelt und geschossen. Ein französischer Reporter und ein junger Passant aus Oxford kamen ums Leben, Hunderte wurden verletzt. Die USA standen unter Schock.

Mobbing auf dem Campus - und Solidarität

Meredith gehörte zu den wenigen auf dem Campus, die in dieser Nacht Schlaf bekamen. Heimlich war er in ein abgelegenes Wohnheim gebracht worden, am Morgen des 1. Oktober ging der schmächtige Mann in Schlips und Kragen mit Aktentasche und seinen treuen Beschützern durch den Tränengasnebel und das Nigger! Nigger!-Gebrüll und schrieb sich ein. Er blieb cool. Sein Plan war aufgegangen.

Lustig war es nicht, sein Studentenleben. Er wurde gemobbt, geschnitten und tyrannisiert, nächtelang wurde über seinem Kopf Basketball gespielt, Morddrohungen kamen per Post. Aber es gab auch andere. Stand ein weißer Student demonstrativ auf, wenn Meredith sich in der Mensa mit seinem Tablett dem Tisch näherte, setzte sich ein anderer ebenso demonstrativ zu ihm. Ein Professor lud ihn zum Golfspielen ein, bei dem Spektakel kreisten zur Sicherheit Hubschrauber über dem Platz. Auf dem Höhepunkt des Dramas waren 15000 Soldaten in und um Oxford stationiert, viermal so viel, so Doyle, wie in West-Berlin. Hunderte von staatlichen Leibwächtern beschützten den Studenten rund um die Uhr.

Fast hätte er das Studium abgebrochen. Er fand, auch darauf hatte er ein Recht. Am Tag vor Heiligabend wurde auf seine Familie geschossen. Seine Mutter redete ihm zu, weiterzumachen, seine kleine Schwester hat sich von dem Terror nie erholt: Mit 25 nahm sie sich das Leben.

Bis heute stecken Kugeln in seinem Körper

Meredith senior ist inzwischen 80 und noch immer ein unbequemer Rebell, der sich nicht vereinnahmen lässt. Bis heute stecken etliche der 100 Kugeln in seinem Körper, mit denen ein Attentäter 1966 versuchte, ihn umzubringen. Als er – in der Kluft des Ole-Miss-Footballfans, mit rotem Baseballcap – kürzlich in Harvard die höchste Auszeichnung entgegennahm, die die erziehungswissenschaftliche Fakultät der Eliteuni zu vergeben hat, erklärte er der Festgesellschaft, was für ein Quatsch die Gründung der Black Studies gewesen sei. Seine Alma Mater forderte er auf, das Denkmal, das sie ihm zu Ehren aufgestellt hatte, wieder abzureißen. Es erscheint ihm zu verharmlosend.

Ein Sechstel der 19 000 Studenten an Ole Miss sind heute Schwarze. Von echter Chancengleichheit sind die Vereinigten Staaten allerdings noch weit, sehr weit entfernt. Meredith, ein Konservativer, kämpft weiter: für eine bessere Bildung gerade für unterprivilegierte Kinder. Wenn es nach ihm ginge, würde jeder Amerikaner sich an diesem Kampf beteiligen.

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