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Viele Handy-Apps arbeiten mit dem Belohnungsprinzip.

© Robert Günther/dpa

Jeder „Like“ eine Belohnung: Wie Facebook und Co unser Handeln steuern

Unternehmen wenden Strategien aus der Verhaltensforschung an, um Nutzer am Bildschirm zu halten. Drei Bedingungen müssen erfüllt sein, sagt ein Psychologe.

Das Verhalten des Menschen mit Technologie zum Guten hin zu steuern, war ein Traum des amerikanischen Verhaltensforschers B. F. Skinner. Schon in den 1930er Jahren hatte der Harvard-Psychologe seine "Skinner-Box" entwickelt, einen Trainingskäfig, in dem er Ratten und Tauben dazu brachte, einen Hebel zu drücken, wenn die Tiere einen bestimmten Reiz hörten oder sahen.

In verschiedenen Durchgängen lernten sie, was sie tun mussten, um eine Belohnung in Form von Futter zu bekommen. Diese Form der Verhaltenssteuerung – genannt operante Konditionierung – müsse man nur mit der nötigen Technologie auf Menschen anwenden, wenn die Menschheit ihrer Probleme Herr werden wolle, schwärmte Skinner schon im Jahr 1974: "Was wir brauchen, ist eine Technologie des Verhaltens."

Das Handy ersetzt das Hebeldrücken

Heute tragen Milliarden Menschen ihre eigene Skinner-Box in Form ihres Smartphones ständig mit sich herum oder konditionieren sich vorm PC selbst. Nur, dass die meisten von ihnen nicht die geringste Ahnung davon haben. Unternehmen konzipieren ihre Apps und Webseiten nach Skinners Prinzipien, mit einem einzigen Ziel: sie dazu zu bringen, bereitwillig immer wieder zu klicken, zu scrollen oder zu kommentieren.

Diese Interaktionen im Internet ersetzen das Hebeldrücken im Rattenkäfig – sie bringen Belohnungen. Die nutzen letztendlich aber weniger dem Nutzer als vielmehr der Werbewirtschaft und ihren Kunden. Dabei greift die Gestaltung vieler Internetangebote zunehmend auf die Erkenntnisse eines neuen Forschungsgebiets zurück. Das "Behavioural Design" beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Skinners Traum, menschliches Verhalten mit Technologie zu manipulieren, am effektivsten umsetzen lässt.

Drei Bedingungen müssen erfüllt sein

Als Gründer dieser Richtung angewandter Psychologie gilt B. J. Fogg, Leiter des "Persuasive Technology Lab" (Labor für Überzeugungstechnologie) an der Universität Stanford in Kalifornien. Im Zentrum seiner Forschung steht ein Modell, auf das Fogg mächtig stolz ist: Er nennt es gar "das E=mc2 der Psychologie".

Demnach müssen drei Bedingungen erfüllt sein, um einen Menschen zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen: Er muss dazu motiviert sein, er muss fähig sein, sie auszuführen, und es muss es einen Auslöser für die Handlung geben.

Ein Beispiel für die Umsetzung von Foggs Modell ist etwa die Nachrichtenfunktion von Facebook. Der Nutzer will Kontakt zu seinen Freunden halten (Motivation), Facebook macht es mithilfe von Einblendungen sehr leicht, jemanden aus dem eigenen Freundeskreis zu finden (Fähigkeit), und der rote Benachrichtigungshinweis schreit geradezu danach, auf eine neue Nachricht sofort zu reagieren (Auslöser). Nach wenigen Klicks ist der Nutzer auf dem Profil eines Freundes – dort geschaltete Werbung inklusive.

Jeder "Like" eine kleine Belohnung

Die Hirnforschung weiß heute, das Gehirne solche Spiele lieben. Jedes Mal wenn man auf Facebook oder Twitter einen Kommentar schreibt und jemandem der eigene Beitrag gefällt, schüttet das Belohnungssystem des Gehirns ein wenig Dopamin aus. Das beeinflusst wiederum Hirnbereiche, die für die Handlungssteuerung zuständig sind, und führt dazu, dass man die Handlung beim nächsten Auslöser etwas wahrscheinlicher ausführt.

Allerdings verwendet Fogg nur ungern Begriffe der klassischen Verhaltensbiologie: "Ich verwende den Begriff ,Belohnung‘ nicht." Beim Behavioural Design komme es vielmehr darauf an, Menschen dabei zu helfen, die Dinge zu erreichen, die sie sowieso schon wollen.

Eine zentrale Maxime laute: "Bringe Menschen dazu, sich erfolgreich zu fühlen." Zwar versichert Fogg, damit ausdrücklich echten Erfolg und keinen "Spielautomatenerfolg" zu meinen, der auf lange Sicht im Nichts endet. Doch die Geschäftsphilosophie mancher seiner ehemaligen Studenten spricht eine andere Sprache.

Bei Youtube oder Netflix läuft das nächste Video automatisch an

Das Buch von Nir Eyal, der bei Fogg einen Crashkurs belegte, trägt etwa den Titel: "Hooked: Wie Sie Produkte erschaffen, die süchtig machen". Um Menschen für eine Handlung zu motivieren, ist dort zu lesen, sei es wichtig, sie nicht jedes Mal zu belohnen. Bei vorhersagbaren Belohnungen fahre das Belohnungssystem des Gehirns seine Aktivität schnell wieder herunter. Das hatte schon Skinner an seinen Ratten beobachtet. War ihre Belohnung variabel, fiel also mal ein Leckerli in die Skinner-Box und mal nicht, blieb die Motivation der Tiere, den Hebel zu drücken, dauerhaft hoch.

Außerdem, schreibt Eyal, müsse eine Handlung einfach sein. Am besten so einfach, dass man nicht mal vom Sofa aufstehen muss. Deshalb läuft bei Youtube und Netflix das nächste Video automatisch an oder Amazon schlägt einem Produkte vor, die "andere Nutzer auch gut" fanden.

Als weiteres Beispiel nennt Fogg die App Instagram: "Instagram hat alles richtig gemacht und nicht wie andere Plattformen viele Extra-Funktionen angeboten, sondern ist der Maxime der Einfachheit treu geblieben", sagt Fogg. Das ist wohl kein Zufall: Auch Mike Krieger, der Mitgründer von Instagram, hat seinen Abschluss bei Fogg gemacht.

Das Suchtpotenzial ist da

Die Wirkung des Behavioural Design auf unser Verhalten ist zumindest im Internet unverkennbar. Welchen Langzeiteffekt das auf den Menschen habe, könne man allerdings nicht sagen, meint Fogg.

Tatsächlich liegen zum Suchtpotenzial solcher Angebote bisher keine abschließenden Bewertungen vor. Die bisherige Evidenz allerdings zeigt in eine eindeutige Richtung, zumindest was die sozialen Medien betrifft.

So erfüllten zum Beispiel nach einer Studie der des Deutschen Zentrums für Suchtfragen gemeinsam mit der Krankenkasse DAK vom vergangenen Jahr in Deutschland bereits etwa 100.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren die Kriterien einer Abhängigkeit von sozialen Medien. Und in einer kleineren österreichischen Studie zeigten nach eine Social-Media-Abstinenz von sieben Tagen sechs von zehn Teilnehmern leichte Entzugserscheinungen. Dass damit Skinners Wunsch nach einer besseren Welt erfüllt wird, darf bezweifelt werden.

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