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Lektion. Butler genießt Starruhm – und hat eine dezidiert politische Botschaft; im Bild ihre Vorlesung 2009 an der FU.

© Stephan Töpper/FU

Judith Butler: Den Hass bekämpfen

Judith Butler trat in der Volksbühne für eine queere Antikriegspolitik ein

Ausverkauftes Haus für den Vortrag einer Professorin, geblümter Vorhang einer Pollesch-Kulisse statt kargem Hörsaal: Philosophie goes Pop. Die Größenordnung und Inszenierung dieser Veranstaltung legte Zeugnis ab von der Popularität Judith Butlers, die am Freitagabend in der Volksbühne über queere Bündnisse und die Möglichkeiten einer neuen Antikriegspolitik sprach. Der Glamour der Veranstaltung beschränkte sich jedoch auf die Kulisse, während die Professorin aus Berkeley – seit zwei Jahrzehnten als Vordenkerin feministischer Theorie und Ikone der Gender Studies gefeiert – einen ausgesprochen politischen Ton anschlug.

„Ich weiß nicht, was Queer-Sein heißt“, sagte Butler, „aber ich weiß, was es bedeutet, Teil einer Allianz zu sein, die unser Leben lebbarer macht.“ Die Anwesenden schmunzeln über ihre gelungene Untertreibung, immerhin gilt die Philosophin als Begründerin der Queer-Studies an den Universitäten. Butler, die ihren Vortrag auf Deutsch hielt und dafür mehrfach mit begeistertem Zwischenapplaus bedacht wurde, trat trotz des Fankults, der ihr entgegenschlug, gelassen und konzentriert auf: Pop goes Politik.

Der englische Begriff „queer“ ist nur schwerlich mit „anders, eigenartig“ übersetzbar. Seit den 90er Jahren steht er für eine Bewegung, die Geschlecht und Sexualität als kulturell konstruiert und damit wandelbar auffasst. Hetero- und Homosexualität, weiblich, männlich und transgender (Unentscheidbarkeit zwischen den Geschlechtern) gelten als gleichberechtigte Lebensformen. Schwule und Lesben zu pathologisieren, sei ein aktiver Akt der Entrechtung, sagte Butler. Gleichberechtigung sollte im öffentlichen Raum eingeklagt und gelebt werden: „Wir müssen auf unsere Sexualität einen Anspruch erheben als unser Recht auf Freiheit.“

Die Auseinandersetzung mit körperlichen Übergriffen auf der Straße (wie vergangene Woche auf ein schwules Paar in Treptow) ist für Butler bedeutsam, weil diese ähnlich funktionierten wie staatlicher Militarismus. Totalitäre Systeme repräsentierten eine bestimmte Form männlicher Normativität, die Queerness gerade infrage stelle. So lautete denn auch Butlers politische Forderung, Andersartigkeit verstehen zu müssen, wo sie die Norm angreife: „Ich bin verpflichtet gegenüber den Menschen, die ich nicht kenne und die meine Meinung ablehnen. Wir sind verpflichtet, über die Optionen nachzudenken, die uns fremd sind.“

Butler knüpfte auch an die Thesen ihres jüngsten Buches an, „Raster des Krieges“, und verwies auf die paradoxe Logik des Krieges, bestimmtes Leben vernichten zu müssen mit der Begründung, damit anderes – eigenes – Leben verteidigen zu können. So gälten beispielsweise die Palästinenser nur noch als reine Bedrohung und Kriegsmaterial statt als verletzbares, schützenswertes Leben. „Queere Politik muss es geben, wo Militarismus die Rechte einschränkt, wie in Gaza.“

Im Vortrag wie auch in der anschließenden Diskussion grenzte sich die Philosophin jedoch davon ab, Lobbyarbeit für bestimmte soziale und politische Gruppen zu betreiben. Es ginge darum, an einem neuen Rechtsverständnis und einem transnationalen, linken Bündnis zur Bekämpfung von Hass zu arbeiten. Butler reagierte damit zumindest indirekt auf vorwurfsvolle Stimmen gegenüber ihrer Israelkritik. Als sie betont, dass queere Politik in ihren Augen bedeute, Transgender genauso wie die Burka als Lebensform bedenken zu müssen, ist die Volksbühne für einen kurzen Augenblick still vor Anspannung. Ethisch sei es, beharrte Butler, „nicht genau zu wissen, wer wir sind, wer in diesem Wir eingeschlossen und wer ausgeschlossen ist.“ Butler versucht den Entwurf eines Bündnisses, das für Freiheit einstehen will, selbst wenn nicht alle Bündnispartner diesen Standpunkt teilen: „Radikaldemokratische Ethik ist, den anderen nicht zu kennen und dennoch zu achten.“

Für ihr Eintreten für eine queere Friedensbewegung sollte Judith Butler am Samstagabend mit dem Zivilcouragepreis des Christopher Street Day geehrt werden. Doch bei ihrem Auftritt in der Volksbühne wurde ihr aus dem Publikum vorgeworfen, damit eine „homonormative“ Veranstaltung zu unterstützen, die bestimmte Gruppen sogar mit rassistischen Äußerungen ausgegrenzt habe. Butler lehnte den Preis wie berichtet ab. Am Brandenburger Tor solidarisierte sie sich mit dem alternativen „Transgenialen CSD“, der in Kreuzberg am 26. Juni stattfindet und sich ernsthaft mit Krieg, Frieden und rassistischer Diskriminierung von Minderheiten auseinandersetze. Anna-Lena Scholz

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