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Wissen: Jugendliche Straftäter: Knast oder soziales Training?

Bundesjugendministerium fördert Wirksamkeitsstudie an der FU Berlin

Jugendliche werden mit 14 Jahren strafmündig und können von diesem Alter an von einem Jugendrichter entweder ins Gefängnis geschickt werden oder der Richter „verschreibt“ dem Teenager eine pädagogische Maßnahme, um dessen Sozialfähigkeit zu steigern. Bislang war in der Forschung ungeklärt, welche pädagogischen Methoden tatsächlich zu einer Reintegration der Jugendlichen führen. Der Sozialpädagoge Jürgen Körner von der Freien Universität Berlin hat im Auftrag des Bundesjugendministeriums erstmals drei unterschiedliche Methoden sozialer Arbeit mit delinquenten Jugendlichen auf ihre Wirksamkeit hin untersucht und evaluiert: Betreuung durch die Bewährungshilfe, soziale Trainingskurse und das von ihm entwickelte „Denkzeit-Training“. Das Ministerium förderte das Projekt mit insgesamt 300 000 Euro. Um festzustellen, welches Training für welche Jugendlichen am günstigsten ist, haben die Sozialpädagogen zwischen 1999 und 2004 insgesamt 192 Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren begleitet, die zuvor von einem Jugendrichter eine Weisung für eine dieser „Rehabilitationsmaßnahmen“ erhalten hatten.

Das Denkzeit-Training ist eine in Deutschland neuartige Methode, deren konzeptionelle Entwicklung die Berliner Jugend- und Familienstiftung mit weiteren 23 000 Euro unterstützt hat. Das Programm zielt auf die Förderung bestimmter kognitiver Kompetenzen, die von jugendlichen Straftätern in ihrer sozialen Umwelt oft nicht genügend entwickelt werden konnten: die Fähigkeit zur Empathie, zur Perspektivenübernahme, zur Analyse sozialer Konflikte, zur Abschätzung von Handlungsfolgen und zur Affektkontrolle. Die Problemkinder sollen lernen, in Konfliktsituationen einen kurzen Augenblick innezuhalten – daher „Denkzeit“ –, ihre Affekte wahrzunehmen und moralisch begründete Entscheidungen zu treffen. „Hierbei handelt es sich nicht um eine Kuschelpädagogik, die nur auf Verständnis zielt, sondern die jungen Menschen sollen Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen“, sagt Jürgen Körner. „Es geht nicht um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern um die Bewältigung der Zukunft.“

Etwa neunzig Prozent der delinquenten Teenager stammen aus problematischen Familienverhältnissen. Ihre Eltern sind häufig arbeitslos, die meisten Jugendlichen besitzen nicht einmal einen Hauptschulabschluss, und oft haben sie ungünstige Erfahrungen mit wechselnden Bezugspersonen machen müssen. Aufgrund der mangelnden Förderung hatten die Jungen und Mädchen in ihrer Kindheit kaum Gelegenheit, sozialkognitive Kompetenzen zu entwickeln, die sie vor kriminellen Handlungen schützen. „Für Lehrer ist es zum Teil unmöglich, sich mit den Delinquenten auseinanderzusetzen, weil sie dafür nicht ausgebildet und deshalb mit dem großen Anteil schwieriger Persönlichkeiten in ihren Klassen überfordert sind“, sagt Körner. Seit dem Jahr 2000 haben die Sozialpädagogen der Freien Universität sechzig Berliner Pädagogen in der Denkzeit-Methode weitergebildet. Dafür hat die Stiftung Deutsche Jugendmarke e.V., der die Erlöse aus dem Verkauf der jährlich herausgegebenen Sonderpostwertzeichen „Für die Jugend“ zugute kommen und die damit Projekte der Jugendhilfe fördert, 90 000 Euro zur Verfügung gestellt.

Die ausgebildeten Trainer arbeiten insgesamt neun Monate lang in vierzig Einzelsitzungen mit den Problemkindern. „Dabei ist es besonders wichtig, dass der Denkzeit-Trainer mit ,seinem‘ Jugendlichen eine sehr verlässliche, anerkennende, aber auch fordernde Beziehung eingeht“, erklärt Rebecca Friedmann von der Denkzeit-Gesellschaft.

Bei den sozialen Trainingskursen kümmern sich dahingegen zwei Pädagogen um Gruppen zu etwa acht Jugendlichen, die sich, je nach Anbieter, sechs bis neun Monate lang ein bis zwei Mal wöchentlich treffen. Dazu kommen häufig gemeinsame Wochenendfahrten oder „Survivaltrainings“. In der Bewährungshilfe, einer Dienststelle der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport, werden in der Regel solche Jugendlichen betreut, die zu einer Haftstrafe mit Bewährung verurteilt oder die vorzeitig aus der Haft entlassen worden waren.

Alle drei untersuchten Methoden sind erfolgreich, mit einem kleinen, aber statistisch bedeutsamen Vorsprung der Denkzeit-Methode. Welche Methode für welchen Jugendlichen tatsächlich die geeignete ist, können die Sozialpädagogen erst in knapp einem Jahr definitiv sagen. „Wir nehmen an, dass das Denkzeit-Konzept vor allem bei jüngeren, also den 14- bis 16-jährigen schwer belasteten Jugendlichen erfolgreich wirkt. In diesem Alter träumen sie noch von einem besseren Leben, von einer eigenen Familie und einem Auto. Da sehen die jungen Menschen noch die Chance, die sie haben, ihr Leben in den Griff zu bekommen – und zwar mit Hilfe der Trainer“, sagt Rebecca Friedmann. „Denn“, so Jürgen Körner, „sie profitieren sehr von der ihnen angebotenen verlässlichen Beziehung, und so können wir ihre moralischen Urteile positiv beeinflussen.“

Internet:

www.denkzeit.com

Ilka Seer

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