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Kambrium: Gift führte zum biologischen Urknall

Forscher sehen Schwefelwasserstoff als Ursache für das Massensterben vor 542 Millionen Jahren.

Vor 542 Millionen Jahren, am Anfang eines „Kambrium“ genannten Erdzeitalters, entstand in den Weltmeeren schlagartig eine Fülle neuer Organismen. Über die Ursachen dieser „Kambrischen Explosion“ haben Forscher lange nur spekuliert. Jetzt konnten die Geologen Martin Wille, Thomas Nägler und Jan Krämers von der Universität Bern gemeinsam mit Bernd Lehmann (Technische Universität Clausthal-Zellerfeld) und Stefan Schröder (Massachusetts Institute of Technology im US-amerikanischen Cambridge) Licht ins Dunkel bringen. Wie die Forscher online im Fachjournal „Nature“ schreiben, sehen sie aufquellenden Schwefelwasserstoff als Ursache für diesen biologischen Urknall.

Demnach hat das nach faulen Eiern stinkende Gas damals das Wasser vergiftet und alles Leben in der Nähe der Oberfläche abgetötet. Das Massensterben hielt an, bis der Sauerstoff der Atmosphäre den Schwefelwasserstoff aus der Tiefe in harmloses Wasser und Schwefel verwandelt hatte. Jetzt war im Meer Platz für neues Leben.

Tatsächlich hatten hier und da ein paar Organismen das Inferno überlebt. Sie vermehrten sich rasch. Während vor der Katastrophe nur Weichtiere in den Meeren geschwommen waren, tauchten jetzt rasch neue Organismen auf. Einige hatten ein festes Skelett, das ihrem Inneren Halt gab. Andere schützten sich mit einer Kalkschale vor Feinden. Aus diesen Lebewesen entstanden viele Tierstämme, die heute noch das Leben auf der Erde dominieren.

Als Kronzeugen für ihre These führen die Forscher das Element Molybdän an, von dem es in der Natur mehrere Atomarten gibt, die sich nur durch das Gewicht unterscheiden. Diesen „Isotopen“ spürten die Geologen in einem „Schwarzschiefer“ genannten Gestein nach, das in der Zeit der kambrischen Explosion im Gebiet des heutigen China und im Südosten der Arabischen Halbinsel entstanden war. Die schwarze Farbe stammte vom reichlich vorhandenem Kohlenstoff, der damals in einem Faulschlamm aus abgestorbenen Organismen entstanden war.

Faulschlamm bildet sich, wenn Wasser wenig Sauerstoff enthält. Gibt es in diesem Schlamm zudem noch ausreichend Schwefelwasserstoff, lagern sich aus dem Wasser vor allem schwere Molybdän-Isotope in den sich bildenden Schwarzschiefer ein. Ist der giftige Schwefelwasserstoff dagegen Mangelware, werden mehr leichte Molybdän-Isotope in den Schiefer gepackt.

Wie die Nature-Autoren herausgefunden haben, war der Gehalt an schweren Molybdän-Isotopen zunächst stark angestiegen und dann wieder abgefallen. Das passierte genau in der Gesteinsschicht, die vor 542 Millionen Jahren entstanden war, als das Massensterben unmittelbar vor der kambrischen Explosion eingesetzt hatte. Da die Forscher den Anstieg in China und auf der Arabischen Halbinsel gleichermaßen finden, müssen damals in diesen beiden Regionen, vermutlich sogar weltweit, riesige Mengen Schwefelwasserstoff aufgetaucht sein.

Computermodelle lieferten den Forschern Hinweise auf die Quelle des Schwefelwasserstoffs. Damals wimmelte es in den oberen Wasserschichten nur so vor Weichtieren. Dort gab es auch reichlich Sauerstoff, Molybdänverbindungen waren im Wasser gelöst. Abgestorbene Organismen sanken in die Tiefe und wurden langsam zersetzt. Dabei wurde zunächst der Sauerstoff im Wasser aufgebraucht. Später entstand Faulschlamm ohne Sauerstoff, in dem sich aus den abgebauten Organismen viel Schwefelwasserstoff sammelte. Genau das Gleiche passiert übrigens heute noch in Seen, die überdüngt sind.

Als sich die Meeresströmungen änderten, wurde der am Grund gesammelte Schwefelwasserstoff an die Oberfläche geschwemmt. Die verheerende Giftwelle schwappte in alle Meeresbecken und tötete dort fast alles Leben. Somit haben die Forscher die Beweiskette geschlossen und Schwefelwasserstoff als Ursache des Massensterbens eindeutig identifiziert.

Wo das giftige Gas herkam, bleibt vorerst Spekulation. Auslöser könnte die Bewegung der Erdplatten gewesen sein. Wenn zwei Kontinente zusammenprallen und damit eine Wasserstraße schließen, entstehen neue Meeresströmungen. So geschah es vor vier Millionen Jahren, als sich zwischen Nord- und Südamerika eine Landbrücke bildete, die anschließend die warmen Wasser des tropischen Atlantik als Golfstrom nach Europa umlenkte. Alternativ könnte aber auch eine Klimaänderung die Meeresströmungen umgekrempelt und so den Schwefelwasserstoff an die Oberfläche gebracht haben. Roland Knauer

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