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Karthago: Eine Großmacht wird vernichtet

Nach Vertragsbrüchen löschte Rom 146 v. Chr. Karthago aus. Ein neuer Blick auf die Punischen Kriege.

Polybios ist nicht unbedingt ein Vorwurf zu machen. Der römische Geschichtsschreiber griechischer Herkunft recherchierte gewissenhaft – aber da der entscheidende Vertrag aus dem römischen Staatsarchiv entfernt worden war, konnte er den eklatanten Rechtsbruch Roms nicht in seine Schilderung des Ersten sogenannten Punischen Krieges einbeziehen. „Eine Mehrheit der römischen Führung muss den Krieg gewollt haben, sonst wären Roms Legionen nicht marschiert“, sagt Klaus Zimmermann, Althistoriker an der Universität Münster.

Das aufstrebende Rom sei keineswegs durch die Verkettung unglücklicher Umstände in den Krieg mit der Großmacht Karthago hineingeraten. Zimmermann hat für sein kürzlich erschienenes Buch „Karthago – Aufstieg und Fall einer Großmacht“ die Quellen kritisch gelesen und schreibt dieses Kapitel der antiken Geschichte neu.

Karthago, Ableger der phönizischen Stadt Tyros an der Levanteküste, wurde im 9. oder 8. Jahrhundert v. Chr. an der afrikanischen, heute tunesischen Nordküste gegründet. Innerhalb von rund 200 Jahren wuchs die Neugründung zu einer eigenständigen Macht im westlichen Mittelmeer. Der Ort war schnell mehr als bloßer Stützpunkt einer nur ökonomisch ausgerichteten Handelsmacht. Karthago betrieb eine konsequente Expansionspolitik mit Erkundungsfahrten in den Nordatlantik Richtung England und entlang der afrikanischen Westküste nach Süden.

Zunächst konnten die Karthager sich weitgehend ungestört im westlichen Mittelmeer mit Stützpunkten auf Sizilien, Sardinien, Korsika und in Spanien etablieren. Über Jahrhunderte zählte Karthago damit zu den politisch erfolgreichsten Großmächten der Antike. Erste Konflikte gab es, als die Griechen im 5./4. Jahrhundert v. Chr. ihre Westkolonisation forcierten und sich in Süditalien und Sizilien festsetzten. Bedrohlich aber wurden erst die Auseinandersetzungen mit Rom, die nach den drei Punischen Kriegen, trotz der sensationellen Erfolge Hannibals, zum totalen Untergang des nordafrikanischen Reiches im Jahr 146 v. Chr. führten.

Rom vernichtete Stadt und Kultur so perfekt, dass es heute nur minimale schriftlichen Nachrichten aus Karthago selbst gibt. Und auch die Archäologie kann nur wenig aus den spärlichen Überresten der eingeebneten Stadt herausfiltern. Die Geschichte Karthagos in Wissenschaft und Schulbüchern ist die von den Siegern geschriebene Geschichte. Und so entstand das Bild der raffgierigen Pfeffersäcke, die ihre Kinder einem grausamen Götzenritual opferten und notorisch verlogen agierten. Die ins Sagenhafte übersteigerten römischen Berichte über die militärischen Erfolge Hannibals dienten allein dem Zweck, die eigenen Siege über ihn umso heller erstrahlen zu lassen.

Zunächst hatten die Großmacht Karthago und die aufstrebende Regionalmacht Rom friedlich nebeneinander agiert. So regelte etwa der „Philinos-Vertrag“ aus dem Jahr 306 v. Chr. klar die Grenzen: Sizilien war karthagisches, Italien römisches Interessengebiet, da hatte der jeweils andere nichts zu suchen. 264 v. Chr. brach Rom das Abkommen und marschierte unter einem fadenscheinigen Vorwand in Sizilien ein, der Erste Punische Krieg, so die römische Bezeichnung, war zielgerichtet vom Zaun gebrochen. Polybios konnte in seiner Geschichtsschreibung den römischen Rechtsbruch nicht dokumentieren, der Philinos-Vertrag war verschwunden. Stattdessen gibt er die offiziöse Darstellung wieder, nach der der römische Senat die Entscheidung über den Einmarsch in Sizilien einer Volksabstimmung übergeben habe. Das Volk habe dann in Aussicht auf Beute dem Krieg zugestimmt.

Diese Darstellung findet Zimmermann höchst fragwürdig, er sieht eher „deutliche Spuren von Manipulation“, der Senat und seine Chronisten seien sich der Problematik des römischen Rechtsbruchs sehr wohl bewusst gewesen. Die römischen Senatoren hätten den Krieg mit Karthago durchaus einkalkuliert.

Das Jahr 264 v. Chr. wurde zu einem Wendepunkt: Rom agierte zum ersten Mal mit einer Flotte und wurde zur expansiven Seemacht. Für Karthago war die Zeit der uneingeschränkten Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer beendet, der Verlust Siziliens und Sardiniens läutete den allmählichen Niedergang ein. Das war zunächst aber noch nicht erkennbar. Karthago rüstete auf, expandierte nach Spanien und beherrschte bald den südlichen Teil bis zum Ebro. An den Eroberungen war bereits der legendäre Hannibal beteiligt. Die Feldzüge lieferten den Zündstoff für den Zweiten Punischen Krieg – abermals verbunden mit einem Vertragsbruch durch die Römer.

Im „Ebro-Vertrag“ hatten Römer und Karthager den Fluss Ebro als nördliche Grenze für militärische Operationen Karthagos in Spanien festgelegt. Mit diesem Vertrag, schreibt Zimmermann, hatte Rom „den karthagischen Anspruch auf die Gebiete südlich des Flusses ausgesprochen oder unausgesprochen anerkannt.“ Die südlich des Ebro gelegene Stadt Sagunt fürchtete bei Hannibals Feldzügen um ihre Freiheit und bat in Rom um Schutz gegen die Karthager. Flugs erklärte der römische Senat Sagunt zum alten Bundesgenossen und warnte Karthago vor einer Eroberung der Stadt. Unter Berufung auf den Ebro-Vertrag und ältere Abmachungen fühlten sich Hannibal und der karthagische Rat im Recht, belagerten Sagunt und eroberten die Stadt nach acht Monaten.

In dieser Zeit rührte Rom keinen Finger, um seinem „alten Verbündeten“ zu helfen. Erst nach dem Fall der Stadt erklärte Rom Karthago den Krieg. „Damit bestätigt sich die Vermutung, dass es den Römern von Anfang an nicht um Sagunt, sondern um die Gelegenheit zur Intervention“ in Spanien zu tun war, resümiert Zimmermann. Sagunt sei ein ein Bauernopfer gewesen, „das Rom dazu verhalf, unter Wahrung eines Scheins von Rechtmäßigkeit sein strategisches Ziel, den Krieg gegen Karthago, zu erreichen“.

Trotz Hannibals grandioser Erfolge in Italien selbst ging der Zweite, ebenfalls von Rom angezettelte, Punische Krieg für die Karthager nach 17 Jahren katastrophal aus. Die Römer griffen Karthago selbst an, auch der aus Italien zurückgerufene Hannibal konnte das militärische Blatt nicht mehr wenden, er wurde 202 v. Chr. besiegt. Die Karthager mussten ihre Flotte und die Kriegselefanten abliefern, 100 adlige Geiseln nach Rom schicken, eine Unsumme Reparationskosten zahlen und sich auf ihr afrikanisches Territorium beschränken.

Der Dritte Punische Krieg war kein Kampf, sondern die zynisch inszenierte, gnadenlose Exekution der Cato-Forderung „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“. 146 v. Chr. war es vollbracht.

Klaus Zimmermann: Karthago – Aufstieg und Fall einer Großmacht. Theiss-Verlag, Stuttgart 2010. 192 Seiten, 34,90 €.

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