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© Thilo Rückeis

Katalyseforschung: Die Entdeckung der Schnelligkeit

Berliner Forscher suchen Stoffe, die chemische Reaktionen beschleunigen und umweltfreundlich machen.

„Wir suchen einen Heiratsvermittler“, sagt Reinhard Schomäcker. „Wir brauchen einen Bergführer“, ergänzt Matthias Driess. „Es geht um einen Dramaturgen“, erklärt Peter Hildebrandt. „Er müsste vor allem ein Integrator sein“, betont Joachim Sauer.

Was ist hier los? Sind die vier Herren etwa auf der Suche nach Superman? Das wäre erstaunlich, schließlich befinden wir uns nicht in einem Studio für Computeranimation, sondern im altehrwürdigen Chemiegebäude der Technischen Universität (TU) Berlin. Es riecht nach Chemikalien, nach Äther, Ester, Alkohol, Benzol. In den Laboren schwappen bunte Lösungen in Glaskolben, auf den Regalen stehen Behälter mit pulvrigen Substanzen, blau, gelb, rot. Chemiker in weißen Kitteln drehen Ventile von Gasflaschen, schalten Heizpilze an, schütten Pulver in die Flüssigkeiten, lassen Rührstäbe sausen. Alles ganz normal, nichts erscheint außergewöhnlich in dem mehr als 100 Jahre alten Sandsteingebäude.

Wenn da nicht das professorale Quartett wäre, das sich bei Matthias Driess versammelt hat: die führenden Köpfe des Forschungsclusters „Unifying Concepts in Catalysis“ (Unicat), das kürzlich den Exzellenzstatus bekommen hat. Um Katalysatoren geht es Driess und Co. also, um Substanzen, die bei chemischen Reaktionen den Turbogang einlegen.

Dank der Exzellenzförderung können die Berliner Katalyseforscher jetzt ordentlich Gas geben. Bis 2012 fließen jährlich 7,8 Millionen Euro nach Berlin. „Wir können nun beim Kampf um die besten Köpfe mithalten“, sagt Driess, Sprecher des Clusters. Die drei anderen Chemiker leiten die einzelnen Bereiche. Joachim Sauer von der Humboldt-Universität ist der Theoretiker, Peter Hildebrandt interessiert sich als Physikochemiker für Biokatalysatoren und sein TU-Kollege Reinhardt Schomäcker möchte als Technischer Chemiker Laborexperimente in industrielle Prozesse umsetzen.

Worum geht es nun in dem Cluster? Was ist an der Katalyse so spannend, dass sich mehr als 120 Forscher in Berlin damit beschäftigen? „Katalysatoren können chemische Vorgänge lenken“, sagt Sauer. Sie lassen Reaktionen, die sonst nur bei großer Hitze und hohem Druck funktionieren, unter milden Bedingungen ablaufen. „Mit Katalysatoren können Verfahren, die sonst nur im Labor machbar sind, auch unter industriellen Bedingungen ablaufen“, ergänzt Schomäcker.

Paradebeispiel ist die Haber-Bosch-Reaktion, bei der aus den Gasen Wasserstoff und Stickstoff das flüssige Ammoniak entsteht. So simpel der Vorgang erscheint, so schwierig ist die Durchführung. Denn Stickstoff ist sehr reaktionsträge. Mit viel Hitze muss man das Gas dazu zwingen, sich mit anderen Partnern zusammenzutun. Die Mühe lohnt sich, das Produkt ist wertvoll. Ohne Ammoniak als Ausgangsstoff für Kunstdünger hätte die rasant wachsende Weltbevölkerung nicht ernährt werden können.

Für die Herstellung großer Mengen erwies sich das Verfahren aber als zu aufwendig. Es musste ein Weg gefunden werden, die Reaktion bei sanfteren Bedingungen ablaufen zu lassen. So suchten die Chemiker lange nach einem „Heiratsvermittler“, der die Reaktionspartner quasi verkuppeln könnte. 1910 war es so weit. Ein von Fritz Haber (Nobelpreis 1918) und Carl Bosch (Nobelpreis 1931) entwickeltes Verfahren wurde zum Patent angemeldet. Die Zusammensetzung des Katalysators aus Eisen-, Kalium-, Kalzium-, Silizium- und Aluminiumoxiden ist bis heute fast unverändert geblieben.

„Mehr als ein Prozent des weltweiten Energiebedarfs wird für das Haber-Bosch-Verfahren aufgewandt“, sagt Driess. Das Verfahren weiter zu optimieren, etwa um weniger Energie aufwenden zu müssen, lautet jetzt die Aufgabe. Mit Details der Haber-Bosch-Reaktion hat sich auch Gerhard Ertl vom Berliner Fritz-Haber-Institut beschäftigt. Er erhielt 2007 den Chemienobelpreis.

„Bei rund 80 Prozent der Prozesse in der chemischen Industrie ist Katalyse mit im Spiel“, sagt Hildebrandt. Für jede Reaktion braucht man andere Beschleuniger. Gemeinsam ist ihnen, dass die Energie, die zum Start einer Reaktion nötig ist, herabgesetzt wird. So genügen relativ niedrige Temperaturen für den Erfolg. Der Katalysator lenkt die Reaktion in die richtige Richtung. Es entstehen mehr erwünschte Substanzen und weniger unbrauchbare Nebenprodukte.

So wandelt der Autokatalysator gesundheitsgefährdende Stoffe wie Kohlenmonoxid oder Stickoxide in harmlose Produkte wie Kohlendioxid, Stickstoff oder Wasser um. Maßgeschneiderte Katalysatoren sind Kennzeichen einer „grünen“ Chemie, die umweltschonende und energiesparende Prozesse bevorzugt.

Traumhaft wäre es, etwa Wasserstoff katalytisch herzustellen, wie es die Natur mithilfe bestimmter Enzyme, den Hydrogenasen, schafft. „Berlin steht mit seiner hervorragenden Mikrobiologie und Biotechnologie gut da“, sagt Driess. Als Beispiel nennt er Bärbel Friedrich vom Institut für Biologie der HU. Die Mikrobiologin habe eine „luftstabile“ Hydrogenase entdeckt. Das ist etwas Besonderes, denn diese Biokatalysatoren sind normalerweise empfindlich gegen Sauerstoff.

Kann man einen Apparat konstruieren, der mittels Hydrogenase Wasserstoff aus Wasser gewinnt? Im Katalyse-Cluster arbeiten Chemiker, Biologen und Ingenieure daran, diesen Prozess technisch nutzbar zu machen. Etwa um Brennstoffzellen zu speisen. Diese Energiespeicher der Zukunft benötigen Wasserstoff, um ihn mit Sauerstoff zu Wasser umzusetzen und so Strom zu erzeugen.

Für die Bekämpfung bakterieller Infektionskrankheiten könnte eine Substanz interessant sein, deren Struktur Roderich Süßmuth vom Institut für Chemie der TU aufgeklärt hat. Es handelt sich um Abyssomycin, einen antibiotisch wirkenden Stoff. Er wurde in 300 Meter Tiefe im Meer vor Japans Küste aus dem Bakterium Verrucosispora isoliert.

Die Struktur von Abyssomycin ist neu und könnte Vorbild für die Entwicklung eines Antibiotikums gegen resistente Bakterien sein, sagt Süßmuth. Da die Substanz nicht im menschlichen, sondern nur im bakteriellen Stoffwechsel vorkommt, wären weniger Nebenwirkungen zu erwarten. „Das muss erst in Studien getestet werden“, sagt Süßmuth. Seinem Team gelang es mittlerweile auch, aus Verrucosispora einen Stoff zu isolieren, der gegen Tumoren wirken könnte. Er wird derzeit näher untersucht.

Für einen breiten Einsatz würden die aus dem Meer gewonnenen Mengen nicht ausreichen. In den Bakterien entsteht Abyssomycin dank katalytischer Prozesse. Ein von Süßmuth geleitetes Team möchte diese Reaktionen jetzt optimieren,um die Ausbeute zu verbessern.

Was im Einzelnen bei der Katalyse passiert, ist noch lange nicht geklärt. „Im ganzen Verfahren gibt es eine Dramaturgie“, sagt Hildebrandt. Den Oscar für das beste Drehbuch sprechen die Forscher der Natur zu. Eine so perfekte Inszenierung wünschen sie sich auch im Labor und in den technischen Verfahren. Doch: „Wir können die Natur nicht 1:1 nachbilden, aber wir wollen die Prinzipien verstehen“, sagt Sauer. Eine aufs Wesentliche reduzierte Version des Drehbuchs der Natur könnte dann in größerem Stil technisch realisiert werden.

Solche Vorhaben sind für eine Arbeitsgruppe, selbst für eine Universität alleine zu groß. So wurde das Cluster gebildet, das Grundlagenforscher und Praktiker zusammenführt. Industrielle Partner sollen angelockt, Start-up-Unternehmen gefördert werden. Von einer „Jobmaschine“ träumt Driess. Interessante Branchen seien Pharma, Chemie oder Energiewirtschaft. Besonders interessant erscheint die Umwandlung von Methan.

Die am einfachsten gebaute Kohlenwasserstoffverbindung ist größtenteils im Erdgas vorhanden. „Es wäre klasse, wenn man Methan nicht verbrennen, sondern als Kohlenstoffbaustein in einer Wertschöpfungskette nutzen könnte“, sagt Driess. Mit Katalysatoren könnte es gelingen, aus Methan höherwertige Substanzen wie Äthan oder Äthylen herzustellen, wichtige Ausgangsstoffe für Polymere oder neuartige Kraftstoffe.

Informationen unter: www.unicat.tu-berlin.de.

Paul Janositz

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