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In Lebensgefahr. Sechs Probanden wurden in Rennes ins Krankenhaus eingeliefert. Alle sind schwerkrank, einer hirntot.

© REUTERS, Stephane Mahe

Update

Katastrophales Ende einer Studie: Mann nach Medikamententest in Frankreich hirntot

Eigentlich sollte der Wirkstoff Stimmungsschwankungen, Angst und motorische Störungen lindern, die neurodegenerative Leiden begleiten. Doch die Studie in Frankreich endete tragisch: Sechs Teilnehmer wurden in eine Klinik gebracht, einer davon ist hirntot.

Aufgrund schwerer Nebenwirkungen bei einem Medikamentenversuch in Frankreich ist ein Teilnehmer hirntot. Fünf weitere Versuchspersonen seien in das Universitätsklinikum von Rennes gebracht worden, teilte das Gesundheitsministerium in Paris am Freitag mit. Ein Mann ist nur zur Beobachtung in der Klinik. Aber vier andere Probanden leiden unter neurologischen Beschwerden, bei drei von ihnen befürchten die Ärzte aufgrund von Hirnscans unumkehrbare Schäden. Es gebe die Hoffnung, dass sich ihre Symptome verbessern, aber auch die Furcht, dass sie sich verschlechtern, sagte Gilles Edan vom Universitätsklinikum Rennes. „Ihre Not hat mich erschüttert“, sagte die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine bei einer Pressekonferenz am Freitag.

Das Medikament wurde vom portugiesischen Pharmahersteller Bial entwickelt und befand sich in Phase 1 einer klinischen Studie mit 128 Teilnehmern. Die Tests wurden in der zugelassenen privaten Einrichtung Biotrial durchgeführt. Insgesamt hatten seit Juli 90 gesunde Männer im Alter von 28 bis 49 Jahren den Wirkstoff in unterschiedlichen Dosierungen jeweils mehrfach zu sich genommen. Am vergangenen Sonntag (10. Januar) traten bei einem der Studienteilnehmer die ersten Symptome auf - er liegt inzwischen auf der Intensivstation und ist nach Angaben der Ärzte hirntot. Biotrial hat die Nationale Behörde für die Sicherheit von Medikamenten und Medizinprodukten (ANSM) über den Stopp des Tests informiert. ANSM und Strafverfolgungsbehörden untersuchen nun die Vorgänge. In klinischen Studien in Phase 1 wird die Verträglichkeit neuer Wirkstoff an gesunden Freiwilligen getestet. Phase 1 folgt auf erfolgreiche Tierversuche, in diesem Fall unter anderem an Schimpansen.

Das Mittel enthält kein Cannabis

Zunächst wurde berichtet, dass es sich bei dem getesteten Wirkstoff um einen Schmerzmittel handelt, das ein Cannabinoid enthalte. Das sei nicht richtig, sagte Touraine. Das Mittel soll motorische Störungen, Ängste und Stimmungsschwankungen lindern, die bei neurodegenerativen Krankheiten auftreten. Es wirke auf das körpereigene Cannabinoidsystem, also entsprechende Rezeptoren im zentralen Nervensystem, die auch bei der Wahrnehmung von Schmerzen wichtig sind.

„Wir wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, wo die genauen Gründe des Unfalls liegen“, betonte Touraine. Das testende Unternehmen Biotrial erklärte, man habe die Vorschriften befolgt. „Die Versuche wurde in voller Übereinstimmung mit den internationalen Bestimmungen durchgeführt, und die Verfahrensweisen von Biotrial wurden zu jedem Zeitpunkt befolgt“, teilte die Firma am Freitag mit. Dies gelte insbesondere für die Notfall-Prozedur zum Transfer von Versuchspersonen ins Krankenhaus. „Wir sind in engen und regelmäßigen Kontakt mit den Gesundheitsbehörden und dem -ministerium in Frankreich“, hieß es von Biotrial weiter. „Unsere Priorität bleibt die Sicherheit unserer Probanden.“

Extreme Ausnahme

Alle Zwischenfälle oder Nebenwirkungen, die in einer Testreihe auftreten, müssen den Behörden sofort gemeldet werden. In Deutschland werden diese vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen (Hessen) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn registriert. Bundesweit werden pro Jahr rund 1000 Studien angemeldet. In Deutschland sei bisher kein arzneimittelbezogener tödlicher Fall in einer klinischen Prüfung bei gesunden Freiwilligen registriert worden, sagte ein BfArM-Sprecher.

In der Regel werden die Wirkstoffe in der Testphase 1 sehr niedrig dosiert. Außerdem finden die Tests immer unter direkter ärztlicher Beobachtung statt. „Deshalb ist es ein außergewöhnliches Ereignis, dass bei so einer frühen Testphase ein Teilnehmer stirbt oder in ein Krankenhaus kommt“, sagte Rolf Hömke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA).

2006 gab es allerdings einen ähnlichen Vorfall in Großbritannien. Damals testete die Würzburger Pharmafirma TeGenero einen Wirkstoff gegen Multiple Sklerose. Fünf Minuten nach der Einnahme zeigten sechs von acht Männern schwere Reaktionen. Wenige Stunden später stellten Ärzte multiples Organversagen fest. Die Patienten schwebten tagelang in Lebensgefahr, ein Mann lag drei Wochen im Koma. Das Unternehmen musste wenige Monate nach dem Vorfall Insolvenz anmelden. „Nach dem TeGenero-Desaster wurden die Regeln für Medikamententests verschärft, die Dosierung muss nun noch viel niedriger sein“, sagte Hömke. dpa

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