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Immer freundlich: So kann man junge Menschen für die Maske motivieren.

© imago images/Xinhua

Keine Macht dem Stinkefinger!: Für Masken sollte der Senat positiv werben

Junge Leute erreicht man nicht mit Drohgebärden, sondern mit positiven Botschaften. Gut, dass der Senat seine Masken-Mittelfingerkampagne gestoppt hat, sagt unser Gastautor.

Vielleicht war es ein Akt der Verzweiflung, vielleicht war es auch nur gut gemeint. Es geht um die Plakate des Senats in Berlin mit einer Frau, die ihr Alter absichtlich nicht versteckt und nach Haut und Haaren auf 70 Jahre geschätzt werden kann. Sie reckt ihren „Stinkefinger“ in die Höhe, daneben der Text: „Der erhobene Zeigefinger für alle ohne Maske“.

Dieses Plakatmotiv hat der Senat jetzt gestoppt – was dringend nötig und das einzig Richtige war. Noch besser wäre es gewesen, wenn der Senat die Kamapagne mit dem Mittelfinger erst gar nicht aufgelegt hätte. Es war ein misslungener Versuch, Menschen zu erreichen, die sich weigern, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschäften und geschlossenen Räumen eine Schutzmaske zu tragen.

Das Wortspiel mit dem Stinkefinger als erhobener Zeigefinger deutete darauf hin, dass sich die Kampagne vor allem an Jüngere richtete. Tatsächlich tun sie sich besonders schwer, mit einer Maske herumzulaufen. Auch wenn sie um das Risiko wissen, an COVID-19 zu erkranken  – sie schätzen ihr Risiko gering ein, weil sie nur milde gesundheitliche Beeinträchtigungen für sich erwarten.

Die ältere Generation fühlt sich provoziert

Damit liegen sie objektiv nicht ganz falsch. Aber es ist nicht zu ertragen, dass das bei einem Teil von ihnen dazu führt, sich undiszipliniert und unvorsichtig zu verhalten.

Durch dieses Verhalten provozieren sie vor allem die ältere Generation. Die fürchtet sich völlig zu Recht vor einer Infektion, denn die Auswirkungen sind erheblich stärker als bei den Jüngeren. Wenn die jungen Leute über diese Ängste der älteren achtlos hinweg gehen, dann verstoßen sie gegen die Solidarität zwischen den Generationen. Das ist es wohl, was die ältere Dame auf dem Plakat zum Ausdruck bringen sollte: Ihr jungen Leute, ihr seid unsolidarisch und unfair, ihr gefährdet unsere Gesundheit.

Klaus Hurrelmann ist Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance.
Klaus Hurrelmann ist Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance.

© imago/Reiner Zensen

Deshalb allerdings den Stinkefinger zu zeigen, das ist kontraproduktiv. Das verstößt gegen ein Grundprinzip des erst 2015 in Kraft getreten Präventionsgesetzes. In der Bevölkerung die „gesundheitliche Kompetenz erhöhen“ ist dort ausdrücklich als ein Gesundheitsziel festgehalten. Unter gesundheitlicher Kompetenz wird in der Fachliteratur die Fähigkeit eines Menschen verstanden, Informationen von gesundheitlicher Bedeutung zu verstehen, zu beurteilen und auf die eigene Situation und das persönliche Handeln zu übertragen.

Es hat Jahrzehnte gedauert, um zu erkennen, wie dieses Ziel erreicht werden kann, wie es möglich wird, um die Weltgesundheitsorganisation zu zitieren, „allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“.

Abschrecken und Drohgebärden - das funktioniert nicht

Jahrzehntelang wurde das durch Abschreckung und Drohgebärden versucht. Man braucht sich nur an die Kampagne „Keine Macht den Drogen“ zu erinnern, die symptomatisch für den Versuch stand, Drogen grundsätzlich zu verdammen und mit abschreckenden Botschaften vor ihrem Konsum zu warnen. Etwa mit dem Polizisten, der mit dem Drogenkoffer in die Schulen kam und der Reihe nach vor den verheerenden Wirkungen dieser psychotropen Substanzen warnte.

Die Wirkungsforschung zeigte nach einigen Jahren: Diese Strategie der Bedrohung brachte nicht die gewünschte Abstinenz, sondern sie hatte unerwartete kontraproduktive Effekte. Der Polizist im Klassenraum, der Tabak und Kokain verteufelte, machte neugierig auf diese Substanzen oder sorgte dafür, dass aus Trotz der Konsum noch verstärkt wurde.

Die Wende bei der Drogenprävention

Die Wende kam, als die Strategie umgestellt und Information mit der positiven Förderung von Kompetenzen verbunden wurde. Das Ziel war jetzt die Unterstützung und Stärkung von jungen Menschen, um ihre alterstypischen Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Die Botschaft lautete: Drogen können reizvoll sein, aber sie sind ein äußerst riskantes Medium, da sie abhängig machen können und das Gegenteil dessen bewirken, was du selbst anstrebst: ein souveräner Mensch zu sein.

Ein zweites Beispiel ist die HIV-Aids-Prävention, die erst ihr Ziel verfehlte, zu einem selbst- und fremdverantwortlichen sexuellen Verhalten anzuregen. Erst als die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf die positive Botschaft „Mach’s mit“ (Kondom) umschaltete, hatten die Kampagnen Erfolg.

Die Erfinder der Stinkefinger-Kampagne hätten es wissen müssen. Will ich das Verhalten von Jugendlichen ändern, kann ich mit Drohung, Bedrohung und Beleidigung nur erreichen, dass sie aus Widerstand und Trotz bei ihren alten Mustern bleiben. Der Senat sollte jetzt besser zu einem Wettbewerb aufrufen, wer mit den interessantesten, schicksten und hippesten Masken durch die Stadt läuft. Und Preise für die Jugendlichen vergeben, die den Mund-Nase-Schutz besonders innovativ und pfiffig designen. Unbedingt sollte man die jungen Leute selbst an diesen Kampagnen beteiligen – und nicht hinter ihrem Rücken herumwurschteln. Das irritiert und zerstört Vertrauen.

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