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Grundlagen schaffen. In Südfrankreich entsteht derzeit der Fusionsreaktor Iter. Hier ein Bild vom August 2014, es zeigt die Fundamente für das Reaktorgefäß, das hier errichtet werden soll.

© Iter Organization, 2014

Kernfusion: Letzte Chance für Iter

Bernard Bigot, neuer Chef des Fusionsprojekts, muss das Milliardenvorhaben wieder auf Kurs bringen. Andernfalls droht das Aus - das hätte dramatische Folgen für die Zukunft dieser Technologie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Nestler

Die Kernfusion ist ein alter Traum von Physikern – und ein Albtraum von Finanzpolitikern. Wo ließe sich das besser zeigen als an Iter, dem internationalen Forschungsreaktor, der nahe Saint-Paul-lès-Durance in Frankreich gebaut wird. Eine neuartige Energiequelle soll dort erschlossen werden: sauber, sicher und nahezu unerschöpflich. Mittels Kernfusion, also dem Verschmelzen von leichten Atomkernen zu schweren Elementen wie es auch im Inneren der Sonne geschieht, könnte in einigen Jahrzehnten ein maßgeblicher Anteil des Strombedarfs gedeckt werden.

Aber noch ist der Weg (auf Latein „iter“) zu diesem Ziel ein sehr weiter. Fünf Milliarden Euro waren für den Bau des Reaktors einmal vorgesehen, jüngere Zahlen kommen auf das Dreifache, wobei auch das wohl nicht reichen wird. Der Zeitplan hängt ebenfalls um Jahre hinterher, erste Tests mit heißem Plasma wird es erst nach 2020 geben.

Magnetfelder sollen das 100 Millionen Grad heiße Plasma festhalten

Einer der Gründe für die Verzögerung ist die Fusionstechnik an sich. Sie verlangt Physikern und Ingenieuren das Äußerste ab. Ein Plasma aus den Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium muss her, 100 Millionen Grad heiß, sonst kommt die erwünschte Fusion zu Helium nicht in Gang. Kein Material hält dieser Temperatur auch nur Bruchteile von Sekunden stand. Daher soll die irrsinnig heiße Suppe mithilfe starker Magnetfelder in der Schwebe gehalten werden, damit sie den Gefäßwänden nicht zu nahe kommt. Zudem muss man die Apparatur so hinbekommen, dass sie am Ende mehr Energie freisetzt als anfangs hineingesteckt wurde.

Bei Iter, getragen von der EU, China, Indien, Japan, Südkorea, Russland und den USA, gibt es noch weitere Probleme. Ein interner Bericht von 2013 kritisiert zahlreiche Hemmnisse, darunter Bürokratie und ein schwaches Management. Der bisherige Generaldirektor Osamu Motojima, dessen Amtszeit eigentlich bis zum Sommer währen sollte, wurde Anfang des Monats von Bernard Bigot abgelöst. Der Franzose kündigte radikale Reformen an.

Die EU hat ein finanzielles Limit festgelegt - mehr gibt's nicht

Das ist höchste Zeit. Wenn das Vorhaben nicht bald Gestalt annimmt, droht ein Fiasko. Bereits im Sommer warnte Motojima, dass eine weitere Verzögerung um fünf Jahre das Ende bedeuten würde. Auch beim Geld ist das Limit erreicht. Die EU hat ihre Zahlung auf höchstens 6,6 Milliarden Euro begrenzt.

Scheitert Iter, würden die Anstrengungen, aus der Kernfusion einmal Energie zu gewinnen, um Jahrzehnte zurückgeworfen. Ein Forschungsreaktor – erst im nächsten Schritt würde ein Kraftwerk gebaut werden – kann nur in internationaler Zusammenarbeit errichtet werden. Wer würde den Mut für einen zweiten Anlauf aufbringen, wenn das aktuelle Projekt eine Bruchlandung macht?

Kritiker wenden ein, die Kernfusion sei unnötig

Kritiker wenden ein, dass die Kernfusion unnötig sei: Sie könne frühestens in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts nennenswert zur Stromerzeugung beitragen – bis dahin seien die erneuerbaren Energiequellen und Speichertechniken so gut entwickelt, dass keiner die Fusion braucht.

Das ist ein Trugschluss. Der globale Energiebedarf wird weiter steigen. Es ist unklug, heute bestimmte Arten der Stromerzeugung kategorisch auszuschließen. So wichtig und sinnvoll Energieeinsparung und Ökostrom sind, sie allein werden das Problem nicht lösen. Bereits jetzt, wo in Deutschland der Grünstrom ein knappes Drittel ausmacht, hält sich die Begeisterung für weitere Windräder, Fotovoltaikparks und Biogasanlagen in Grenzen.

Der neue Chef will die nationalen Agenturen entmachten

Die Machbarkeit der Kernfusion muss daher – gerade mit Blick auf bevölkerungsreiche und aufstrebende Nationen – weiter erforscht werden. Iter ist dabei ein wesentliches Element. Bigot muss es schaffen, den Laden auf Vordermann zu bringen. Zuzutrauen ist es ihm. Als Leiter des französischen „Kommissariats für Kernenergie und alternative Energien“ mit gut 16 000 Forschern hat er Erfahrung mit Großprojekten und genießt unter Fusionsforschern hohes Ansehen.

Bigot will die Macht der nationalen Iter-Agenturen beschränken. Die sind darauf bedacht, dass die jeweils von ihnen vertretenen Länder Schlüsselkomponenten bauen, damit die heimische Industrie das Know-how der Fusionstechnik erlernt. So werden weitgehend identische Teile von mehreren Zulieferern gefertigt – was nicht gut gelingt. Für die beteiligten Länder mag es auf den ersten Blick eine Zumutung sein, wenn der neue Chef mehr Einfluss fordert. Sie sollten begreifen: Es ist ihre letzte Chance.

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