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© Thilo Rückeis

Kiezdeutsch: Berlin, wie sprichst du?

Sprachbiotop Hauptstadt: Menschen aus 186 Ländern reden in Berlin durcheinander, oft verschmelzen ihre Sprachen. Das fordert konservative Vorstellungen heraus, wie Sprache zu sein habe.

Berlin ist ein Sprachbiotop. In Neukölln heißen Imbissbuden „King of Çiğ-Köfte“, in Kreuzberg sprechen Jugendliche „Kiezdeutsch“, Menschen aus 186 Ländern reden durcheinander, und alles, was modern klingen soll, ist auf Englisch. Aber die Sprachgrenzen verlaufen nicht einfach nur zwischen Deutsch und Türkisch oder Englisch und Arabisch.

„Urbane Sprechgemeinschaften sind keine monolithischen Gebilde, wie der Mainstream sie sich manchmal vorstellt“, sagt Berna Turam, Bostener Professorin für Soziologie. Vielmehr finde man bei genauem Hinsehen unendlich viele nach Geschlecht, Klasse, Bildung und Ethnizität differenzierte Sprechweisen, die die Identitäten der Sprecher reflektierten. So zerfalle auch „Kiezdeutsch“, der Szenejargon zweisprachig aufgewachsener, meist türkischstämmiger Jugendlicher, in viele verschiedene Zeichensysteme.

Kiezdeutsch zerfällt in verschiedene Zeichensysteme

„Fragmentierungen“ nennt Turam diese sprachlichen Abgrenzungen – passend zum Titel der Konferenz, auf der sie ihre Feldforschung über Identitäten in Kreuzberg vorstellt: „Urban Fragmentation(s)“ heißt die dritte „Borders & Identity“-Konferenz, die 2010 von der University of York in Newcastle upon Tyne ins Leben gerufen wurde. Zum ersten Mal fand sie in diesem Jahr Berlin statt – veranstaltet von den Geisteswissenschaftlichen Zentren Berlin (GWZ).

Damit bündeln die drei Berliner Zentren erstmals ihre Kompetenzen für ein gemeinsames Projekt. Vor zwanzig Jahren wurden die GWZ auf Empfehlung des Wissenschaftsrates gegründet, seitdem erforschen sie in Kooperation mit Universitäten die menschliche Sprachfähigkeit und die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte Europas, des Nahen Ostens, Afrikas und Asiens.

Finanziert werden die Zentren seit 2008 durch das Land Berlin, durch das Bundesforschungsministerium und durch Fördereinrichtungen. Doch in etwa zwei Jahren könnten sie in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen werden: In der vergangenen Woche entschied die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, zwei der drei Zentren – das Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) und das Zentrum Moderner Orient (ZMO) – vom Wissenschaftsrat evaluieren zu lassen. Die Evaluierung des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung wurde wegen des im Sommer dieses Jahres anstehenden Direktorinnenwechsels zunächst zurückgestellt. Bei einer positiven Evaluation und einer Aufnahme der Zentren in die Leibniz-Gemeinschaft wäre ihre die Finanzierung auf lange Sicht gesichert.

Wie werden Identitäten im städtischen Raum ausgehandelt?

Gemäß dem Motto „Zukunftsstadt“ des Wissenschaftsjahres 2015 referieren und diskutierten auf der Konferenz nun fast 100 internationale Wissenschaftler drei Tage lang über urbane Gesellschaften als Schauplätze kulturellen Wandels. Wie werden Identitäten im städtischen Raum ausgehandelt, wie entstehen Grenzen und Ausgrenzungen, welche Rolle spielt die Sprache dabei? „Berlin mit seiner Geschichte als Grenzstadt und seinen vielfältigen kulturellen und sozialen Divisionen ist der ideale Ort, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen“, sagte Manfred Krifka, Direktor des ZAS, in seiner Eröffnungsrede.

Besonders mit den Herausforderungen und Chancen multikultureller Gesellschaften beschäftigen sich viele der Wissenschaftler: Berna Turam kommt zu dem Schluss, dass in Kreuzberg aus den angeblich so tiefen Gräben („Fragmentierungen“) zwischen deutscher und deutsch-türkischer Bevölkerung neue Allianzen erwachsen, die die Demokratie stärken statt erschüttern.

Die vielen Sprachen in Berlin werden oft kreativ verschmolzen

Janet Fuller, Anthropologie-Professorin aus Illinois, zeigt, dass die Sprecher Berlins ihre vielen Sprachen oft kreativ verschmelzen – und damit konservative Vorstellungen herausfordern, wie Sprache zu sein habe. „Gleichzeitig sind sie damit konfrontiert, dass Sprechweisen gewertet und eingeordnet werden“, fügt sie hinzu. So würden zum Beispiel Unterschiede zwischen „Elite-Bilingualität“ wie bei Deutsch- und Englisch-Muttersprachlern, und „Immigrantischer Bilingualität“ gemacht – wie bei Sprechern von Deutsch und Türkisch. Ebenso werde „Kiezdeutsch“ oft als defizitär empfunden. „Aus linguistischer Sicht ist Kiezdeutsch jedoch ebenso wie Mundarten eine gleichberechtigte Variation des Deutschen“, erläuterte Stefanie Jannedy vom ZAS.

Die Konferenz schloss mit Vorträgen über literarische Repräsentationen israelischer Städte, über identitätsstiftende Akzente polnisch-deutscher Kinder und über zentralafrikanische Jugendsprachen. Jutta Koch-Unterseher, Leiterin der Abteilung Technologie und Forschung der Berliner Senatsverwaltung, fasste zusammen: „Die GWZ zeigen mit der interdisziplinären Konferenz, dass sie für das Selbstbewusstsein der Geisteswissenschaften stehen, die Wirklichkeit umfassend analysieren zu wollen“. Sie sehe die Zentren damit auf dem besten Weg in die Leibniz-Gemeinschaft.

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