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Künstlich befruchtet. Frauen können im Ausland riskante Mehrlingsschwangerschaften umgehen.

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Kinderwunsch: Weiter Weg zum Nachwuchs

Viele Paare, die sich Kinder wünschen, reisen zur medizinischen Betreuung ins Ausland. Dort können sie Verfahren nutzen, die hierzulande verboten sind.

Manche bezeichnen es als fortpflanzungsmedizinischen Tourismus, wenn Paare wegen einer künstlichen Befruchtung nach Spanien oder Belgien fahren. Doch das trifft die Sache nicht: Diese Menschen wollen schließlich nicht reisen. Sie wünschen sich ein Kind. Und die meisten von ihnen möchten dafür Wege gehen, die ihnen in ihrem Heimatland nicht offen stehen. Die Europäische Gesellschaft für Menschliche Reproduktion und Embryologie (ESHRE) schlägt deshalb vor, lieber von „grenzüberschreitender reproduktiver Betreuung“ (Cross-border reproductive care) zu sprechen.

Welches Ausmaß dieser kleine Grenzverkehr inzwischen angenommen hat, darüber fehlen verlässliche Zahlen. Eine Studie, die 2010 in der Fachzeitschrift „Human Reproduction“ erschien, liefert erste Anhaltspunkte. Dafür wurden in 46 belgischen, tschechischen, dänischen, slowenischen, spanischen und Schweizer Zentren einen Monat lang Daten gesammelt. Insgesamt lagen danach Informationen von 1230 Frauen vor, die aus einem anderen Land in das jeweilige Zentrum gekommen waren, jede siebte aus Deutschland. Die Autoren nehmen an, dass in den Zentren jährlich rund 15000 ausländische Patientinnen behandelt werden.

Viele von ihnen haben allenfalls mit Eizellen einer anderen Frau die Chance auf eine Schwangerschaft. Doch die Eizellspende ist in Deutschland verboten. Bei der ESHRE schätzt man, dass in jedem Jahr rund 2000 deutsche Frauen in ein Land fahren, in dem sie problemlos möglich ist, bisher vor allem nach Spanien oder Tschechien.

„Es vergeht keine Woche, in der nicht ein bis zwei Frauen das Thema mit mir besprechen möchten“, sagt der Fortpflanzungsmediziner Heribert Kentenich von den DRK-Kliniken in Berlin-Westend. Die Beratung, auch über medizinische Aspekte, gehört nach seinem Selbstverständnis zu seiner Fürsorgepflicht als Arzt. Sie kann aber bereits als Beihilfe zu einer Straftat gewertet werden. „Wir sitzen hier sehr ungemütlich zwischen zwei Stühlen“, sagt der Gynäkologe.

Paare, die sich für knapp drei Stunden in die Bahn setzen, können nun auch im polnischen Posen Eizellen einer anderen Frau befruchten und einpflanzen lassen. „Die polnische Gesetzeslage ermöglicht effektivere medizinische Verfahren. Die Erfolgsquote wird dadurch deutlich erhöht“ heißt es im Werbeprospekt der „Europäischen Kinderwunschzentren InviMed“, die Klinikfilialen in Warschau, Posen, Breslau und Gdingen betreiben. Und die mit dem Verweis auf gute Erfolgsraten und das Einhalten internationaler Standards nun beginnen, gezielt um Frauen und Paare aus dem Nachbarland zu werben. „Unsere Ärzte sprechen alle gut Englisch oder Deutsch“, versichert der Urologe Tomasz Deja, der im Zentrum in Posen arbeitet und seine Ausbildung teilweise in Deutschland absolviert hat.

Bisher gibt es im katholischen Polen weder zu Präimplantationsdiagnostik (PID), noch zu Samen-, Eizell- oder Embryonenspende und Leihmutterschaft gesetzliche Regelungen. Dass Methoden wie die Eizellspende zulässig sind, erhöht die Chancen auf das ersehnte Kind und wird von vielen deutschen Fortpflanzungsmedizinern als richtig angesehen. Die Kehrseite dieser Liberalität sieht Kentenich im mangelnden gesetzlichen Schutz der Frauen, die Eizellen spenden. Es sei nicht auszuschließen, dass hie und da finanzielle Notlagen junger Frauen ausgenutzt werden, um durch zu starke hormonelle Stimulation die Ausbeute an vermarktbaren Eizellen zu erhöhen.

Mit den „effektiveren medizinischen Verfahren“, mit denen InviMed wirbt, ist allerdings vor allem die Befruchtung einer ganzen Anzahl von Eizellen der Patientin selbst gemeint, von denen dann die meisten eingefroren und nur eine einzige, besonders vielversprechende in diesem Behandlungszyklus eingesetzt wird. Ob das deutsche Embryonenschutzgesetz das erlaubt, ist umstritten. „In diesem Punkt wünschen wir uns in Deutschland eine liberale Regelung“, sagt Kentenich. Studien aus Skandinavien haben nämlich gezeigt, dass die Erfolge mindestens gleich gut sind, wenn man nur einen ausgewählten Embryo einsetzt. Dazu fallen alle medizinischen Probleme weg, die mit Mehrlingsschwangerschaften einhergehen.

„Das Ideal wäre es, wenn alle Patienten in ihrem Heimatland einen fairen Zugang zur fortpflanzungsmedizinischen Behandlung hätten“, so leitet die europäische Fachgesellschaft ESHRE eine Stellungnahme zur „Cross-border reproductive care“ vom März ein. Der werde nicht allein durch restriktive Gesetze, sondern auch durch lange Wartelisten und hohe Kosten eingeschränkt. Prinzipiell sei es deshalb sinnvoll, wenn mündige Bürger die Freizügigkeit innerhalb der EU auch auf diesem Feld nutzten.

Zu ihnen gehören auch lesbische Paare, die sich ihren Kinderwunsch auf dem Weg einer Samenspende erfüllen möchten. Dass zwei Mütter oder auch zwei Väter genauso gute Eltern abgeben können, haben Studien inzwischen gezeigt. Ein Problem ist in Kentenichs Augen jedoch die Anonymität der Samenspende, die in einigen Ländern sogar die einzige Möglichkeit bildet. „Wir wissen aus Studien, dass das Kennenlernen des genetischen Ursprungs für das Kind Bedeutung hat.“ Besonders ein Kind mit zwei Müttern wird früh von selbst danach fragen.

Viele Fragen haben meist auch die Paare, die sich ein Kind wünschen. Beratung und psychologische Unterstützung sollte im jeweiligen Zentrum in einer Sprache möglich sein, die die Patienten gut verstehen, andernfalls solle auf eine Behandlung verzichtet werden, fordert deshalb die ESHRE in ihrem Papier zur Behandlung im Ausland. Das Gespräch in der Muttersprache ist umso wichtiger, wenn der Weg zur ersehnten Mutterschaft steinig ist.

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