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Eiskalte Furcht. Fiele der Golfstrom aus, sähe der Strand von Sylt häufiger so aus wie auf dieser Aufnahme vom Dezember.

© picture alliance / dpa

Klima: Golfstrom - verschlungene Pfade im Ozean

Der Golfstrom ist komplizierter als gedacht. Wahrscheinlich lässt er nach – die große Kälte bleibt aber aus.

Klirrende Kälte im Dezember, frühlingshafte Temperaturen Anfang Februar. Immer wenn das Wetter ungewöhnlich ist, dauert es nicht lange, bis der Golfstrom ins Spiel gebracht wird. Denn die warme Meeresströmung beeinflusst das Klima in Europa wesentlich. Umso wichtiger ist daher die Frage: Verändert sich der Golfstrom, wird er schwächer – oder doch nicht? Erst kürzlich gab es wieder Schlagzeilen, als ein Team um Moritz Lehmann von der Universität Basel berichtete, dass die Strömung im Atlantik nicht wie befürchtet abnimmt, sondern sogar an Einfluss gewinnt. Das hätten Untersuchungen an Korallen ergeben, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „PNAS“. Andere Fachleute sind jedoch skeptisch.

Ohne den Golfstrom wäre das reiche Leben im nördlichen Europa undenkbar. Hier, jenseits des 50. Breitenkreises, dürften eigentlich nur Moose und Flechten gedeihen. In dieser Tundra sollten nur kälteresistente Tiere leben, wie zum Beispiel die Karibus in Kanada. Stattdessen finden sich in Mitteleuropa Laubwälder und saftige Wiesen sowie gute Bedingungen für Ackerbau und Viehzucht. Und in Südengland können sogar Palmen die harten Winter überleben. Das ist dem Golfstrom als einer warmen, rasch fließenden Meeresströmung im Atlantik zu verdanken.

30 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde befördert er im südlichen Abschnitt, dem Floridastrom, bei einer Geschwindigkeit von 1,8 Meter pro Sekunde. Die Menge steigt im weiteren Verlauf auf bis zu 150 Millionen Kubikmeter. Das ist mehr als hundertmal so viel Wasser, wie alle Flüsse der Welt zusammen ins Meer bringen. Die dabei umgesetzte Energie entspricht etwa der Leistung von vier Millionen Kernkraftwerken. Kein Wunder, dass immer wieder die Frage auftaucht: Was passiert, wenn das Golfstromsystem sich abschwächt, ja sogar ganz ausfällt, wie im Kinofilm „The Day After Tomorrow“?

2005 gab es in dieser Hinsicht einige Aufregung. Im Fachblatt „Nature“ berichtete der britische Ozeanograf Harry Bryden von einer angeblich starken Abschwächung des Golfstromsystems. Ein Drittel weniger Wasser werde nach Norden gespült, las er aus den Daten von fünf Schiffsexpeditionen zwischen 1957 und 2004. Nach anderen Untersuchungen zeigt Europas Warmwasserheizung aber keine Anzeichen von Nachschubproblemen. Mehr noch, ihnen zufolge verstärkt sie sich sogar – trotz Klimaerwärmung.

„Das Problem solcher Aussagen besteht darin, dass es messtechnisch unmöglich ist, die Strömung über den gesamten Ozean zu ermitteln“, sagt Claus Böning vom Institut für Meereswissenschaften IFM Geomar in Kiel. „Es sind immer nur Punktmessungen.“ Um auf Schwankungen der transportierten Wassermassen zu schließen, werden verschiedene Geräte und Verfahren genutzt, etwa Propellerströmungsmesser. „Ihre Umdrehungszahl gibt die Fließgeschwindigkeit des Wassers wieder“, erläutert Martin Visbeck, der ebenfalls am IFM Geomar forscht. Außerdem nutzen die Wissenschaftler die Physik der Ozeane: Aus der Dichte der unterschiedlichen Wasserschichten und Bodendruckänderungen schließen sie auf Strömungen.

In der Praxis geschieht das durch autonome Messsysteme, beispielsweise in Form eines bis zu vier Kilometer langen Seils, das am Meeresgrund verankert ist und durch Gaskugeln den nötigen Auftrieb erhält. Daran sind Strömungsmesser und Temperatursensoren befestigt. Am südlichen Ausgang der Labradorsee vor der kanadischen Küste wird damit die kalte Tiefenströmung gemessen. Diese Daten zeigten zwar Schwankungen im Lauf der betrachteten Jahre, aber kein erkennbares Muster, das sich im Zwölfmonatsrhythmus wiederholt, haben die Kieler Forscher herausgefunden.

Zum weiteren Bestand gehören „Argo Drifter“: zylindrische Treibmessgeräte, die im Abstand von rund 300 Kilometern global verteilt alle eisfreien Ozeane vermessen. „Jeder Drifter kommt alle zehn Tage an die Meeresoberfläche und funkt Informationen über Temperatur sowie Salzgehalt zur Zentrale“, erläutert Visbeck. Schließlich kommen Satelliten zum Einsatz, von denen aus die Meeresspiegelhöhe vermessen wird, was ebenfalls Informationen über die Druckverteilung und damit Strömungsgeschwindigkeit liefert.

Um vernünftige Aussagen über die komplexen Meeresströmungen zu erhalten, müssen die vielen Informationen zusammengeführt werden, sagt Böning. Allerdings: „Es gibt bislang keine etablierte Methode, längerfristige Veränderungen des Golfstroms zu bestimmen.“ Was man über die Schwankungen der letzten Jahrzehnte wisse, sei sehr lückenhaft.

Deshalb wurde das Forschungsvorhaben „Nordatlantik“ gestartet. Dort arbeiten mehrere meeres- und klimawissenschaftliche Institute an einem Modell, das die Zirkulation im nördlichen Atlantik und in der Nordsee abbildet. Darüber hinaus soll mithilfe von Klimasimulationen untersucht werden, wie sich diese Strömungen in Zukunft entwickeln. Zumindest über eine kürzere Zeitraum von zehn Jahren lasse sich feststellen, dass die Stärke des Golfstroms nicht nachgelassen habe, fasst Böning zusammen.

Schwankungen im Verlauf einiger Wochen und Monate seien nicht ungewöhnlich. „Sie gehen auf natürliche Veränderungen in der Atmosphäre zurück“, sagt der Wissenschaftler. Denn auch das haben die Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt: Das Golfstromsystem wird nicht allein vom Absinken kalten Wassers im Norden und der Erwärmung in tropischen Breiten angetrieben. Auch der Wind beeinflusst die Wassermassen, indem er sie mitzieht oder bremst.

In den nächsten Jahrzehnten aber, da sind sich die meisten Forscher einig, wird die Fernheizung Europas schwächer werden. Grund dafür ist die Erderwärmung. Sie führt dazu, dass das Wasser im hohen Norden nicht mehr so stark abkühlt, seine Dichte ist dann vergleichsweise gering, weshalb es nicht mehr so gut in die Tiefe sinkt.

Der Weltklimarat schätzt, dass die Leistung bis zum Ende des Jahrhunderts um rund 25 Prozent abnimmt. „Also sucht jetzt alle Welt nach Anzeichen für diese Abschwächung oder nach Hinweisen, die das Gegenteil belegen“, sagt Böning. „Man wird Jahrzehnte brauchen, um einen klaren Trend festzustellen.“

Selbst wenn der Golfstrom tatsächlich spürbar schwächer wird, bricht in Europa keine neue Eiszeit an. Der „kühlende“ Effekt der schwachen Strömung wird durch die generelle Erderwärmung ausgeglichen. Deshalb, so zeigen Simulationen, steigen die Temperaturen bei uns nicht mit dem Tempo, wie es etwa für Nordamerika erwartet wird. Kälter wird es den Prognosen zufolge jedenfalls nicht.

Bernhard Mackowiak

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