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Klimawandel: Studie zum Meeresspiegel schlägt Wellen

Das Wasser steigt. Aber wie hoch? Ein Forscherteam hat nun seine Berechnungen zurückgezogen - sie hätten in die Ergebnisse für das 20. und 21. Jahrhundert "kein Vertrauen mehr".

Die Erderwärmung lässt den Meeresspiegel steigen. Höhere Temperaturen bringen einerseits große Mengen Gletschereis zum Schmelzen. Andererseits erwärmt sich das Ozeanwasser selbst und dehnt sich aus, was zu einem weiteren Anstieg der Pegel führt. Zusammengenommen ergeben sich derzeit rund zwei Millimeter Anstieg im Jahr. In welchem Maß sich die Ozeane in Zukunft aufs Land schieben, darüber streiten die Fachleute.

Die Diskussion hat jetzt eine neue Wendung genommen, als ein Team um Mark Siddall von der Universität Bristol eine im Juli 2009 veröffentlichte Studie zurückzog. Ihre Simulation zum Meeresspiegelanstieg bis 2100 war im Fachblatt „Nature Geoscience“ erschienen (Band 2, Seite 571). Je nachdem wie stark die globale Erwärmung ausfällt, errechneten sie einen Pegelanstieg in diesem Jahrhundert von 7 (Erwärmung um 1,1 Grad Celsius) bis 82 Zentimeter (Erwärmung um 6,4 Grad). Ähnliche Werte sind auch im Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) von 2007 zu finden.

In einer Online-Erklärung auf „Nature Geoscience“ erklären Siddall und Kollegen, sie hätten in ihre Berechnungen für das 20. und 21. Jahrhundert „kein Vertrauen mehr“. Grund dafür seien zwei Fehler, die ihnen erst nach der Veröffentlichung bewusst geworden sind. Die Wissenschaftler bedanken sich ausdrücklich bei dem Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf und seinem Helsinkier Kollegen Martin Vermeer für ihre Hinweise.

Sowohl Rahmstorf und Vermeer als auch Siddalls Team wählten für ihre Berechnungen zum Meeresspiegelanstieg einen ungewöhnlichen Ansatz. Sie haben – vereinfacht ausgedrückt – Temperatur- und Pegeldaten aus der Vergangenheit in einer mathematischen Formel miteinander verknüpft und setzen darin zum Beispiel die für 2100 erwartete Temperatur ein. Am Ende steht dann ein Wert für den Meeresspiegel.

Während Siddall im Falle einer deutlichen Erwärmung um sechs Grad dann auf einen etwa 80 Zentimeter höheren Pegel kommt, sehen Rahmstorf und Vermeer im Vergleich zu 1990 sogar ein Plus von rund 180 Zentimeter („PNAS“, Online-Ausgabe). Der Unterschied könnte damit zusammenhängen, dass Siddall für seine Meersspiegelformel unrealistische Parameter gewählt hat. Wie er schreibt, habe er die Unsicherheit bei den Temperaturabschätzungen für die letzten Jahrhunderte zu eng gefasst, was die Projektionen des 20. und 21. Jahrhunderts beeinträchtigt.

Mit der Rücknahme der Publikation ist das Problem aber nicht gelöst. Im IPCC-Report stehen nach wie vor Daten zum Pegelanstieg, die ein Drittel geringer ausfallen als Rahmstorfs Resultate. „Wir haben einen ganz anderen Ansatz gewählt“, sagt Jürgen Willebrand vom Ifm-Geomar in Kiel, Hauptautor des betreffenden Kapitels im IPCC-Bericht. Man habe die einzelnen Vorgänge wie Gletscherschmelze an Land, Eisverlust in Grönland und der Antarktis oder temperaturbedingte Wasserausdehnung separat begutachtet und die Effekte dann addiert. „Da sind natürlich Unsicherheiten enthalten, denn manche Prozesse haben wir bisher kaum verstanden.“ Dazu gehört etwa das plötzliche „Auslaufen“ kleiner Gletscher am Rande Grönlands. „Wir wissen nicht, ob das Phänomen in Zukunft häufiger oder seltener auftritt – dementsprechend schwierig sind die Berechnungen.“

Trotzdem bezeichnet Willebrand die IPCC-Angaben als eine „sehr gute Basis“. Er sieht aber auch, dass die beiden konkurrierenden Berechnungsansätze für den künftigen Wasserstand unvereinbare Resultate liefern. „Die Forschung geht weiter, beide Modelle werden sich annähern“, sagt er. Bei welcher Marke das sein wird, das lasse sich jetzt kaum vorhersagen. „Das wird hoffentlich der nächste Sachstandsbericht klären.“ In etwa vier Jahren soll er erscheinen. Ralf Nestler

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